Aus dem akademischen Mittelbau

Erfahrungen eines anonymen Postdocs

Wie würdest Du Deinen sozialen Hintergrund beschreiben?

Meine Eltern haben die Schule mit einem Haupt- und einem Realschulabschluss verlassen. Danach haben Sie als Angestellte in Büros gearbeitet. Auch ihr Freundeskreis und mein soziales Umfeld vor der Studienzeit war ähnlich (Straßenbahnfahrer, Bergarbeiter, etc.). Meinen Eltern war es wichtig, dass ich eine Schule besuche, auf die mehrheitlich „normale Menschen“ gehen (und nicht etwa mehrheitlich Ärzte- und Anwaltssöhne und -töchter). Aus diesem Grund wurde ich nicht auf ein Gymnasium sondern auf eine Gesamtschule geschickt. Zu Akademiker:innen habe ich erst im Laufe des Studiums Kontakt gefunden.

Was waren für Dich besondere Schwierigkeiten, die mit Deinem Hintergrund zu tun hatten oder haben, und gibt es ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die diese gut veranschaulicht?

Hier gibt es im Wesentlichen drei Punkte. Bei jedem dieser Punkte möchte ich betonen, dass die Auswirkungen in meinem Fall (weiß, männlich, ohne Migrationshintergrund) vergleichsweise moderat sind. Ich denke aber, sie verweisen auf strukturelle Probleme, die sich bei Personen aus weniger privilegierten Gruppen deutlich drastischer auswirken:

(a) Geld: Auf meiner Gesamtschule gab es keine Veranstaltungen oder Informationen zum Studium (das war und ist nicht auf jeder Gesamtschule so, passiert aber auch heute noch) . So hatte ich, bevor ich an die Uni kam, z.B. nie von der Möglichkeit gehört, durch Begabtenförderwerke finanzielle Unterstützung zu erhalten. Auch die Möglichkeit eines Auslandssemesters bestand für mich nur theoretisch: „Woher soll das Geld kommen?“ Zwar gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich finanzielle Unterstützung für derartige Vorhaben zu organisieren. Entsprechende Informationen waren allerdings zumindest zu meiner Studienzeit (Anfang der 2000er) nicht leicht zugänglich. Zudem ist die Unterstützung vielfach nicht ausreichend, wenn sonst keine Mittel vorhanden sind, die z.B. im Vorhinein ausgelegt werden können. Nun muss niemand ein Auslandssemester machen, um eine akademische Karriere zu starten. Doch ist dies freilich ein gewisser Vorteil, der mehrheitlich Personen zugutekommt, die (i) aus einem sozialen Hintergrund stammen, in dem Auslandserfahrungen während der Studienzeit etwas völlig normales sind und (ii) entsprechende finanzielle Ressourcen vorhanden sind.

(b) Habitus: Für eine erfolgreiche akademische Karriere ist ein gutes Netzwerk entscheidend. De facto werden Netzwerke vielfach während Konferenzdinners und ähnlichen Anlässen gebildet. Sich im Rahmen der dort teils vorherrschenden Üblichkeiten zurechtzufinden ist nicht einfach. Sobald sich das Gespräch von philosophischen Themen auf Themen wie Kunst, Kultur oder Skiurlaube schwenkt, wird man schnell vom Insider zum Outsider. Ähnliche Probleme ergeben sich bei Anlässen, mit denen gewisse Erwartungen im Hinblick auf das äußerliche Auftreten verbunden sind.

(c) Familie: Die meisten Personen aus meinem familiären Umfeld befinden sich in völliger Unklarheit, darüber, was meine Arbeit ist (bzw. ob es sich dabei überhaupt um echte Arbeit handelt). Es ist ihnen nicht ersichtlich, warum die Arbeit immer nur befristet ist und warum es sinnvoll sein könnte, auch während einer Periode ohne Arbeitsvertrag weiteren Anträgen und Aufsätzen zu arbeiten, weiterhin Hausarbeiten ehemaliger Studierender zu korrigieren, an Kommissionssitzungen und Tagungen teilzunehmen; warum es sinnvoll sein kann, auf ein höheres Gehalt zu verzichten, um stattdessen mit bestimmten Personen zu arbeiten, sich die Mühe zu machen, Bücher zu schreiben, wenn man anderen Verkauf keinen Cent verdient, warum man Stipendien „echten“ Jobs vorzieht, etc. Auf Dauer kann das zu einer nicht unerheblichen Belastung auf beiden Seiten führen: von Seiten der Familie ist da der nagende Verdacht, dass ich mir vielleicht seit Jahren auf Kosten der Steuerzahler ein faules Leben ohne geregelte Arbeitszeiten erlaube; von meiner Seite ist da die Unmöglichkeit, zu vermitteln, warum z.B. eine Veröffentlichung in der Erkenntnis ein wichtiger Karriereerfolg ist.

Was hat Dir dabei besonders geholfen, diese oder andere Schwierigkeiten zu überwinden, und gibt es auch hier ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die dies gut veranschaulicht?

Mentor:innen und Freund:innen spielen die größte Rolle, zudem der Kontakt mit anderen Erstgenerationist:innen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Generell ist da die Tatsache, dass es gerade in der analytischen Philosophie dann doch sehr viele Personen gibt, die es verstehen, sich auf Sachfragen zu beschränken, und die sich ihrer eigenen sozialen Identität und den damit verbundenen Vorstellungen von Normalität bewusst sind.

Gibt es besondere Einsichten oder Perspektiven, die Du Deinem Hintergrund verdankst und die für Deine philosophische Forschung oder Lehre von besonderem Wert sind?

Ich versuche meine Erinnerung an die ersten Studiensemester präsent zu halten, da ich mir erhoffe, dass meine Erfahrungen von damals mir ein wenig helfen, Studienanfänger:innen auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist erstaunlich, dass viele Lehrende implizit (und sicherlich unbewußt und in guter Absicht), davon ausgehen, dass die Studierenden ein gewisses bildungs-sprachliches Vokabular beherrschen und sich bestimmter Rede- und Höflichkeitsformen bewusst sind. Das ist aber gerade bei Personen aus einem nicht-akademischen Umfeld eben nicht selbstverständlich. Es kann dazu führen, dass solche Personen selbst den normalen Besuch in einer Sprechstunde als eine große Herausforderung empfinden. So wie Mediziner:innen häufig als „Halbgötter in weiß“ empfunden werden, werden Dozierende (zumal solche mit Professor:innentitel) als unnahbare Halbgötter empfunden.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität.

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