Zum Zwecke der Philosophie

Ein Beitrag von Christoph Fritze

Es geht hier um einige Fragen, warum man philosophieren sollte oder um was es in der Philosophie überhaupt geht, vielleicht auch ganz einfach, wozu Philosophie nützt – Nützlichkeit in seinem (fragwürdigen aber zu Recht durchaus interessanten) engen Sinne und aber auch in einem weiten offenen Sinn.

Mit diesen Antworten, die natürlich nicht im Geringsten erschöpfend sind, möchte ich vor allem für Philosophie werben, darum, sich um philosophische Kompetenzen zu kümmern, sich philosophisch zu bilden und selbst zu philosophieren. Aber dann eben bitte über dem Niveau, das der sogenannten Alltagsphilosophie eigen ist, die ja oft (nicht immer!) die Unruhe der Gedanken durch rituelle Beruhigungs- und Reflexionsverhinderungsformeln („… und das ist auch gut so.“ „… und dazu stehe ich auch.“ „… nützt ja doch alles nichts“, „… das ist einfach so (schön /falsch/cool) …“) ausbremst oder durch überspannte Spekulation ins Abseits manövriert.

Platon und andere der großen Alten meinten, dass man nur durch Philosophie glücklich werden bzw. ein gelingendes Leben führen könne. Das muss man nicht so sehen, aber: Ein reflektiertes Leben ist schöner! Nicht leichter, aber in gewisser Hinsicht wirklicher. Und: Erkenntnis macht Freude! Glaub das mal!

Wir stellen häufig als Erstes die Frage nach dem Nutzen von etwas. Gut, fragen wir also in einem pragmatischen Sinn: Zu was nützt mir Philosophie?
Kurzantwort: Man steht überall besser und erfolgreicher da, wo argumentiert und diskutiert wird, weil die Schlüsselkompetenz vernünftiges Denken eingeübt wird und weil wichtige Themen der menschlichen Zivilisation vertieft werden.

Weniger kurze Antwort: – In Philosophie lernt man, wie man „vernünftig“ denkt. Das vernünftige (rationale) Denken ist nämlich bestimmten Regeln unterworfen: den Regeln der Logik. Die lernt und übt man. Man lernt also logisches Argumentieren und Analysieren. Mit dieser Fähigkeit kann man seine Position überall da verbessern, wo argumentiert und diskutiert wird, z.B. im Studium aber durchaus auch in bestimmten Berufen.

Außerdem geht es in Philosophie sehr oft um bedeutende Fragen des Menschen und der Zivilisation: Ein gewichtiger Schwerpunkt z.B. ist die Aufklärung und ihr Konzept der Vernunft mit der Leitidee von Freiheit, Selbstbestimmung und Würde. Wer sich hier in den gedanklich-logischen Zusammenhängen etwas auskennt, wird in politischen und ethischen Fragen, z.B. zu Fragen der Freiheit oder Gerechtigkeit, nicht mehr so schnell auf selbst ermächtigende „starke“ Thesen irgendwelcher Ideologen hereinfallen, weil er sie selbst auf ihre Substanz prüfen kann.

Und ganz allgemein wird man gewandter und reflektierter und kann z.B. in Gesprächen, wo es um Themen geht, die jedermann angehen, klüger und vertiefend argumentieren.

2. Worum geht es in Philosophie? Kurzantwort: Es geht um mich selbst, um das, was jedermann interessiert (Kant), um Philosophien und um Offenheit.

Weniger kurze Antwort: Diese Frage ist in wenigen Worten kaum zu beantworten. Ich will es ansatzweise und so, wie ich es ungefähr sehe, versuchen: – Es geht immer um mich, es geht immer um die Person, die philosophiert, weil philosophieren immer auch bedeutet, sich den Fragen: Wie sehe ich mich? Wer will ich werden? Wie soll ich handeln? Nach welchen Werten will ich mich richten? Und auch: Was kann ich wissen? Welche Stellung habe ich in der Welt?

Auch die Philosophie forscht und analysiert vergleichbar zu anderen Wissenschaften. Aber wer ernsthaft philosophiert, springt zwangsläufig immer auch in die Innenperspektive und wendet die Gedanken auf die eigene Existenz an. Da kann es dann sehr direkt und sehr ernsthaft um „mich“ gehen, wie ich empfinde, wie ich sein will; was ich gut für mich finde und wie ich das begründe; was ich moralisch für gut und richtig halte, wie ich dies wiederum begründe und wie ich das in Übereinstimmung mit dem bringe, was mir für mich gut erscheint (siehe Frage 2, erster Punkt). Viele Menschen erfahren dies früher oder später als eine echte Bereicherung ihrer Möglichkeiten zur ernsthaften Selbstreflexion und persönlichen Entwicklung. Die Unausweichlichkeit dieser „existenziellen Perspektive“ scheint mir ein sehr großer und grundsätzlicher Unterschied zu zum Beispiel allen naturwissenschaftlich vorgehenden Richtungen zu sein: Naturwissenschaften müssen Objektivität anstreben, Philosophie strebt darüber hinaus an, die existenziell-subjektive Seite (das hat nichts mit subjektiver Beliebigkeit und „Laberei“ zu tun!) zu ihrem Recht kommen zu lassen. Philosophie macht da etwas, was die Naturwissenschaften weder dürfen noch können, sie bewegt sich da manchmal auf Gebieten, wo die Naturwissenschaften blind sind.

Es geht weiterhin darum, Naivität abzulegen und Meinungen kritisch reflektieren zu können. Der Ausdruck des kritischen Hinterfragens ist zu einem Klischee geworden. Aber was heißt das hier? Es geht darum, sich darüber klar zu werden, dass hinter jeder Wahrnehmung, jeder Meinung, jedem Wissen, jedem Argument und jeder Moral Voreinstellungen und Vorannahmen stecken und – meist verdeckt – wirksam sind. Es geht darum, diese Voreinstellungen zu erkennen (explizit zu machen), sie zu analysieren und sie zu beurteilen, z.B. ob sie richtig sind und man sie weiter vertreten kann oder vielleicht ändern muss. Und es geht darum, zu untersuchen, wie diese Voreinstellungen meine Überzeugungen steuern. In dieser Hinsicht ist Philosophie radikal, sie geht hier weiter als jede andere Wissenschaft, da bleibt gewissermaßen kein Stein auf dem anderen! – Es geht darum, zu klären und immer neu zu klären, worüber wir eigentlich reden, wenn wir von Seele, Mensch, Gott, Geist, Wahrheit, Wissen, Meinung, Bewusstsein, Kausalität, Zweck, Individuum, Freiheit, Autonomie, Gesellschaft, Staat, Recht, Moral, Normen, Konventionen, Sprache, Werte, Ware, Macht, Schönheit, Glück usw. sprechen. Es geht also darum, interessante und bedeutsame „Gegenstände“ zu analysieren und zu deuten, und zwar von da beginnend, wo die Alltagsgespräche aufhören. – Natürlich geht es auch immer darum, Philosophen und Philosophinnen, die Grundlegendes formuliert haben, und ihre Philosophien kennenzulernen. Vermutlich geht es auch darum, staunen zu lernen. Z.B. darüber, dass sich die Menschen oft nicht die Köpfe einhauen, dass wir bestimmte Dinge frei entscheiden können und dies auch wollen. Dass es Leben gibt. Dass es Schönheit gibt und Freundschaft und Liebe…

3. Wird in Philosophie nicht einfach nur „gelabert“? Kurzantwort: Nein! Philosophieren verlangt Genauigkeit, Logik und Argumentation sowie vertiefende Bearbeitung von Problemen und Fragen.

Weniger kurze Antwort: Grundsätzlich ist Philosophieren kein „Labern“! Und zwar deswegen nicht, weil Philosophie methodisch argumentierend vorgeht und darauf aus ist, genau zu klären, was gemeint ist, wenn bestimmte Ausdrücke, Sätze usw. in diesem oder jenem Kontext gebraucht werden. Dadurch bekommt Philosophie oft etwas „Strenges“, d.h. messerscharf präzises, gelegentlich wie in der Mathematik. Warum denken manche dann, dass in Philosophie oft nur wichtigtuerisch rumgeredet wird? Ein Grund könnte sein, dass viele haltlose Diskussionen voller Spekulationen und unbegründeter Behauptungen kennengelernt haben, bei der zwar sich bedeutsam gebende Ausdrücke benutzt werden, deren Gehalt aber nicht klar ist, und bei denen am Ende jeder bei seiner Meinung bleibt. Das ist aber in Philosophie im Allgemeinen nicht so. Ein weiterer Grund könnte sein, dass viele der Ansicht sind, man brauche zu solchen Themen wie Mensch, Seele, Wahrheit, Freiheit, Schönheit usw. (siehe Frage 2) nur eine eigene Meinung zu haben, dies sei schon eine Leistung. Und tatsächlich wäre ja ein reines Austauschen von Meinungen nur Gerede. Aber so ist es nicht in Philosophie, vielmehr muss man seine Meinung argumentativ begründen und vor allem sollte man bereit sein, gewohnte und liebgewordene Denkweisen ernsthaft zu prüfen, und sie, wenn gute Gründe dafür zur Sprache kommen, weiterzuentwickeln oder zu verändern. Dabei sollte man philosophisch strenge Ausdrücke auszuprobieren sowie Aussagen im Detail analysieren und beurteilen. Hierzu wäre noch viel zu sagen, weil hier auch eine Reihe dummer Vorurteile gegen sogenannte „weiche“ Wissenschaften und überhaupt gegen das Reden und Diskutieren eine große Rolle spielen.