Investigativer Journalismus: Wie sich das RISE-Projekt den journalistischen Herausforderungen in Rumänien und der Republik Moldau stellt

Von Julia Wasser

  1. Das RISE-Projekt und der investigative Journalismus

Das RISE-Projekt ist eine Non-Profit-Organisation, die 2012 von rumänischen Journalist*innen und Programmier*innen gegründet wurde (Annual Report RISE 2013, S. 3). Das RISE-Projekt, nachfolgend auch RISE Netzwerk oder RISE genannt, in der Republik Moldau wurde 2014 ins Leben gerufen (Rise Moldova, 2019) Es hat sich zur Aufgabe gemacht, organisiertes Verbrechen und Korruption in Rumänien und in der Republik Moldau zu bekämpfen (Rise-Project, 2019; Rise Moldova, 2019). Anhand der Analyse von Dokumenten aus Offshore-Gebieten und der Erstellung von Datenbanken würden die Journalist*innen Informationen zusammenfügen, die  Politiker*innen und Geschäftsleute zu verheimlichen versuchten. Dabei handele es sich in ihren Berichten oftmals um die Themen Geldwäsche, Schmuggel, Steuerbetrug oder Waffenhandel. So ist RISE auch Bestandteil der internationalen Recherchen zu den Panama Papers (Rise Moldova Annual Activity Report 2016, S. 16). Die Informationen aus den Panama Papers halfen den Journalist*innen von RISE, ein System korrupter und krimineller Geschäfte aufzudecken, das namhafte Politiker*innen, Medienvertreter*innen und Geschäftsleute des Landes nutzten, um sich finanziell zu bereichern (Hromadske international; Rise Moldova Annual Activity Report 2016; RISE Panama Papers).  So belasteten die Recherchen zum Beispiel den ehemaligen Ministerpräsidenten der Republik Moldau Ion Sturza (ebd.). Laut Paul Radu, Gründer von RISE in Rumänien, haben die Recherchen zu den Panama Papers einen ersten Beitrag dazu geleistet, die Durchführung illegaler Geldgeschäfte für die Beteiligten zu erschweren (Hromadske international).

Alternative Online-Nachrichtenmedien, insbesondere RISE,  spielen im investigativen Journalismus in Osteuropa eine tragende Rolle (Stetka & Örnebring, 2013, S. 413, 423). So haben sie gegenüber den Printmedien den Vorteil, dass Inhalte ohne Zeitverzug veröffentlicht und nicht so leicht zensiert werden können (ebd., S. 423).
Das Besondere am RISE-Projekt ist außerdem, dass die Journalist*innen vornehmlich investigativ arbeiten und sich somit vom gängigen Journalismus in ihren Ländern (siehe 2. Die Mediensysteme der Republik Moldau und Rumänien) abheben.

Die Journalisen von RISE bei ihrer Arbeit (Annual Report RISE 2013, S. 3)

Journalismus im Allgemeinen “provides the public independently and periodically with information and issues that are considered newsworthy, relevant and fact-based” (Weischenberg, Malik, & Scholl 2012, 208f.). Journalist*innen sollten nur wahre und von ihnen geprüfte Informationen an ihr Publikum weitergeben (Kovach & Rosenstiel 2007, S. 12f). Sie seien Beobachter*innen der Mächtigen einer Gesellschaft und somit auch Wächter*innen über die freiheitlichen Rechte ihres Publikums.

Investigativer Journalismus im Speziellen kann verstanden werden als nachhaltige Berichterstattung über Verstöße gegen Recht und Moral, die hochrangigen Personen zugeschrieben werden (Stetka & Örnebring, 2013, S. 415). Kurz: Investigativer Journalismus bringt die versteckte Wahrheit ans Licht (Gerli, Mazzoni, & Mincigrucci, 2018, S. 25) und setzt somit einen verstärkten Fokus auf die Beobachtung der Mächtigen und die Wahrung der Rechte der Bevölkerung. Im Gegensatz zum herkömmlichen Journalismus erfordert die investigative Recherche jedoch mehr finanzielle und personelle Ressourcen (Stetka & Örnebring, 2013, S. 415). So müssten vor der Veröffentlichung von Artikeln teils geheime Dokumente beschafft, analysiert und ausgewertet werden, Personen interviewt und Beweise gesammelt werden.

Um die Relevanz der Arbeit von RISE zu verstehen, folgt ein kurzer Überblick über die medienspezifischen Rahmenbedingungen in den Ländern Republik Moldau und Rumänien.

  1. Die Mediensysteme der Republik Moldau und Rumänien

Laut Reportern ohne Grenzen (2019) nimmt die Republik Moldau von 180 gelisteten Ländern, Platz 81 in Bezug auf die im Land vorherrschende Pressefreiheit ein. Grund hierfür ist das intransparente, oft von der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes beeinflusste Mediensystem (ebd., auch interessant: Mehr Unabhängigkeit der Medien nötig). So besteht die Fernsehlandschaft einerseits aus staatlichen Kanälen und andererseits aus privaten Sendern, deren Eigentümer*innen meist im Hintergrund agieren, weshalb von Verflechtungen in wirtschaftliche und politische Kreise ausgegangen wird (ebd.). Die Arbeit von Journalist*innen in der Republik Moldau ist nicht einfach, da Gewaltandrohungen und die korrupte Justiz tiefgründige Recherchen erschweren können (ebd.). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International (2018) (Skala: 0= sehr korrupt, 100= einwandfrei) erreicht die Republik Moldau daher nur 33 Punkte.
Rumänien erreicht eine Punktzahl von 47 auf dem Korruptionsindex (Transparency International 2018) sowie einen im Vergleich zur Republik Moldau besseren, aber dennoch auf gravierende Schwächen hinweisenden, Platz 44 auf dem Index für Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen, 2019). Zahlreiche Fernsehsender gehören politisch motivierten Geschäftsleuten, die Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, um ihren persönlichen politischen und wirtschaftlichen Zielen näher zu kommen (ebd.). Auch in Rumänien wird Journalist*innen mit Gewalt gedroht, wenn ihre Recherchen Missstände aufdecken könnten (ebd.). Folgt man den Ergebnissen von Castro Herrero, Humprecht, & Engesser et al. (2017) lässt sich das Mediensystem von Rumänien in das Ost(europäische)-cluster einordnen. Laut den Autor*innen (ebd., S. 4810) sind die Merkmale dieser Mediensysteme vor allem geringe Pressefreiheit, hoher politischer Parallelismus und geringe Investitionen in den öffentlichen Rundfunk. Weitere Merkmale des Ost-Clusters sind der geringe Professionalisierungsgrad von Journalist*innen und die nicht vorhandene Regulierung in Bezug auf die Eigentümerschaft von Medien.
Das Mediensystem der Republik Moldau tendiert ebenfalls zum Ost-Cluster, mit den oben beschriebenen Merkmalen (Milewski, 2013, S. 249). Es kann jedoch auch als pluralistisch betrachtet werden (Parmelee, 2009, S. 279). So ließen die allgemeinen Rahmenbedingungen im Land, wie die privatisierte Wirtschaft, fehlende staatliche Zensur privater Medien sowie die sprachliche, ethische und kulturelle Vielfalt, Raum für verschiedene Medienkanäle und journalistische Sichtweisen (ebd, S. 289). Stärker gewichtet werden, sollte jedoch die schwache Wirtschaftsleistung, die dazu führe, dass Journalist*innen auf Jobs bei Medienkanälen angewiesen sein, die vom Staat oder einzelnen Parteien beeinflusst würden (ebd.). Das kann wiederum dazu führen, dass sich die eventuell vorhandene Meinungsvielfalt der Journalist*innen nicht in der Berichterstattung wiederfindet.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass obwohl Rumänien und die Republik Moldau Nachbarländer sind, natürlich nicht exakt gleiche Bedingungen in beiden Ländern vorliegen. So ist Rumänien im Gegensatz zur Republik Moldau seit 2017 EU-Mitglied. Dieser Text geht jedoch davon aus, dass die relevanten medienspezifischen Verhältnisse in den beiden Ländern ähnlich sind.

  1. Die Herausforderungen des investigativen Journalismus in der Republik Moldau und Rumänien

Nachfolgend werden die medienspezifischen Herausforderungen in der Republik Moldau und Rumänien, mit denen sich die investigativen Journalist*innen konfrontiert sehen, erläutert. Dies sind (Un-)Abhängigkeit der Berichterstattung von Politik und Wirtschaft, Transparenz, Finanzierung, Zugang zu und Umgang mit Daten, die Professionalität der Journalist*innen sowie das mangelnde Publikumsinteresse. Es soll darauf aufbauend den Fragestellungen nachgegangen werden (1) Wie tritt RISE den Herausforderungen der länderspezifischen Mediensysteme entgegen? Und (2) Inwiefern kann RISE unter diesen Umständen seiner Beobachterfunktion nachgehen?

3.1 (Un-)Abhängigkeit der Berichterstattung von Politik und Wirtschaft

Zwar geben im Vergleich mit anderen zentral- und osteuropäischen Ländern überdurchschnittlich viele Journalist*innen in Rumänien an, investigativ zu arbeiten (Stetka & Örnebring, 2013, S. 420). Es bestehe jedoch der Verdacht, dass manche von ihnen „“pseudo” investigative journalists“ (ebd.) sind. Das heißt, dass sie nur vorgeben frei, unabhängig und tiefgreifend zu recherchieren, während sie in Wirklichkeit eigene politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen.
So sind viele einflussreiche Positionen bei Medienkanälen in Rumänien von Politiker*innen besetzt (Coman, 2010, S. 588). Sie nutzen die damit verbundene Möglichkeit, sich selbst in der Öffentlichkeit zu inszenieren, um ihre eigenen politischen Karrieren voranzutreiben (ebd., S. 588, S. 591). Für einen wirtschaftlichen Vorteil treffen Eigentümer*innen von Massenmedien geheime Vereinbarungen mit verschiedenen politischen Gruppen. Für Coman (ebd.) ist das Thema Pressefreiheit in Rumänien daher eng verflochten mit politischer und wirtschaftlicher (Un-)Abhängigkeit (S. 588).
Im Laufe der Zeit sind immer mehr Medienkanäle in den Besitz von Medienmogulen übergegangen (Coman, 2010, S. 589f.). Ihre geheimen Absprachen mit Politik und Wirtschaft hätten Anteil an der mangelnden Medienfreiheit und dem schwachen Einfluss von Journalist*innen im Land (,siehe auch Klientelismus und Korruption). Medienmogule werden in ihren Vorhaben unterstützt durch „journalist-managers“ (ebd., S. 590). Diese erhalten viel Geld. Nicht dafür, dass sie ein Presseunternehmen managen, sondern dafür, dass sie ihre besondere Position ausnutzen, um Verbindungen zur Politik oder wirtschaftlichen Interessengruppen einzugehen, die dem Medienmogul zu Gute kommen (ebd., S. 592f.).
Auf die Abhängigkeit der Journalisten von den Manager*innen der Medienunternehmen weist auch eine Befragung von Milewski (2016) in der Republik Moldau hin. So gaben circa 30 % der Journalist*innen an, dass ihre Arbeit von den Besitzer*innen und auch den Manager*innen der jeweiligen Nachrichtenorganisation beeinflusst wird (ebd., S. 4). Befragt nach ihrem Rollenverständnis antworteten die meisten moldauischen Journalist*innen jedoch, dass sie eher neutral gegenüber der Regierung sind (Milewski, 2016, S. 2). Die meisten bezeichnen sich weder als Gegner*innen der Regierung, noch wollen sie ein besonders positives Bild von der Regierung zeichnen. Die Antworten derartiger Befragungen können jedoch immer von dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit verzerrt sein. Das heißt, dass die Befragten unter Umständen nicht zugegeben haben könnten, politisch beeinflusst zu sein, um keinen negativen Einfluss bei der Interviewerin zu hinterlassen.

Bezogen auf die Unabhängigkeit von RISE lässt sich feststellen, dass das Netzwerk gemeinnützig und nicht gewinnorientiert arbeitet. Initiator und Leiter des RISE-Projektes in Rumänien ist Paul Radu (Rise Project, 2019). Sein Lebenslauf lässt keinerlei Absichten erkennen, die RISE politisch oder wirtschaftlich beeinflussen könnten. Er scheint sich ganz dem investigativen Journalismus verschrieben zu haben. So ist Radu auch Vorstandsvorsitzender und Mitbegründer des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) (ebd.). Es ist davon auszugehen, dass seine zahlreichen internationalen absolvierten Stipendien zu einer hervorragenden journalistischen Ausbildung beigetragen haben. Hierbei ist hinzuzufügen, dass er im Rahmen seiner Stipendien in den USA (drei Aufenthalte) und in Österreich ausgebildet wurde. Lurie Sanduta leitet RISE in der Republik Moldau (RISE Moldova, 2019). Er ist ebenfalls Mitglied des OCCRP. Seine Recherchen wurden mehrfach ausgezeichnet, was auf die Qualität seiner Arbeiten hinweist. Näheres zum Lebenslauf des Journalisten lässt sich leider nicht in Erfahrung bringen.

Das RISE-Projekt ist international anerkannt und erhält Unterstützung durch verschiedene weltweite Partnerschaften. So ist ein Partner des RISE-Projektes in Rumänien das Nachrichten-Internetportal Hotnews (Rise Project, 2019). Sein Bekanntheitsgrad ist in Rumänien relativ hoch und es gibt an, politisch neutral zu berichten (Eurotopics, 2018). So würden auch Artikel über Korruption veröffentlicht werden. Partner von Hotnews ist im Übrigen auch die Deutsche Welle (Hotnews, 2019), sodass man, auch in Anbetracht fehlender Untersuchungen, davon ausgehen kann, dass es sich eher um ein qualitativ gutes Medium handelt, von dem RISE politisch unabhängig ist.
Außerdem ist RISE in Rumänien und in der Republik Moldau Bestandteil des Global Investigative Journalism Network und Mitglied des oben bereits erwähnten OCCRP (Rise Project, 2019). Als Plattform für investigativen Journalismus verbindet es Projekte und Journalist*innen weltweit (OCCRP, 2019). Es wird finanziert durch verschiedene, mehrheitlich US-amerikanische Institutionen und Stiftungen (ebd.). Das Global Investigative Journalism Network verbindet ebenfalls verschiedene internationale Organisationen von Journalist*innen und setzt sich für den Informationsaustausch zwischen ihnen ein. Auch diese Organisation ist in den USA registriert und wird von diversen US-amerikanischen Stiftungen finanziert.
Die Finanzierung durch gemeinnützige Stiftungen kann sowohl positiv als auch negativ bewertet werden (für eine Zusammenfassung der Debatte siehe Medienunternehmerische Krise: Stiftungsfinanzierung als Alternative?). So steht die gemeinnützige Unterstützung investigativer Recherchen und die Stärkung von Pressefreiheit und demokratischen Werten einem potentiellen Einfluss privater Interessen der Stifter*innen auf die Unabhängigkeit der Journalist*innen gegenüber (Holland-Letz, 2017). Leider lässt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht genau ermitteln, welchen Einfluss die RISE, direkt oder indirekt (zum Beispiel über das OCCRP) fördernden, Stiftungen auf die Arbeit der Journalist*innen haben. Positiv zu werten ist, dass das Projekt von vielen Stiftungen gefördert wird, sodass vermutet werden kann, dass das Netzwerk nicht von den Interessen einer einzelnen Person, wie einem Medienmogul, beeinflusst wird. Dass die Stiftungen mehrheitlich US-amerikanisch sind und auch die zahlreichen Aufenthalte Paul Radus in den USA, könnten jedoch eine bestimmte Prägung hinterlassen. So ist langfristig zu vermuten, dass eine mit der Stärkung des Journalismus eventuell einhergehende fortschreitende Demokratisierung und Öffnung von Rumänien und der Republik Moldau gegenüber dem Westen von Vorteil für wirtschaftliche und politische Partnerschaften zugunsten der USA wären. Die Finanzierung durch Stiftungen bleibt dennoch vor dem Hintergrund weniger anderer Möglichkeiten, eine gute Alternative ein Projekt wie RISE zu ermöglichen.

3.2 Transparenz

Die Transparenz der Arbeit von RISE ist eher mittelmäßig zu bewerten. So finden sich in den der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden, professionell gestalteten, Geschäftsberichten zwar viele relevante Informationen über ihre Arbeit. Seit 2013 hat RISE Rumänien jedoch keinen Geschäftsbericht mehr auf seiner Homepage veröffentlicht. Der letzte von RISE in der Republik Moldau veröffentlichte Geschäftsbericht stammt aus 2017. In die englische Sprache übersetzt wurde der Bericht jedoch zuletzt 2016. Es ist zu vermuten, dass ein Grund für die nicht aktuellen Berichte der Mangel an personellen und finanziellen Ressourcen des Netzwerkes ist.

3.3 Finanzierung

Wie oben bereits angeklungen, ist es eine der größten und das Genre prägenden Herausforderungen, den investigativen Journalismus zu finanzieren (Stetka & Örnebring, 2013, S. 425). So finden sich selten Zeitungsinhaber*innen, die bereit sind, Geld für investigativen Journalismus bereitzustellen, wenn dieser ihnen keinerlei persönliche, in Bezug auf wirtschaftliche oder private Ziele, Vorteile bringt (Gerli et al., 2018, S. 25).

Ein großer Teil der Arbeit am RISE-Projekt basiert auf gemeinnütziger, das heißt unbezahlter Arbeit (Annual Report RISE 2013, S. 6). Wie bereits erwähnt, werden die Journalist*innen durch Zuwendungen verschiedener, meist internationaler Organisationen, unterstützt (für genauere Informationen siehe Annual Report RISE 2013, S. 6 und Rise Moldova Annual Activity Report 2016, S. 38). So fließen unter Anderem Mittel aus der EU, den USA, England und der Schweiz. Auch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördert RISE, und zwar indirekt durch das Journalisten-Netzwerk n-vestigate.
Problematisch zu sehen, ist vor allem die Nachhaltigkeit der Finanzierung. Da Fördersummen und -Zeiträume begrenzt sind, müssen sich die Organisator*innen des Netzwerkes stetig um neue Gelder bemühen. Auch der bürokratische Aufwand nimmt Zeit in Anspruch, die die Journalist*innen sicherlich lieber in ihre Recherchen investieren würden. Um dem Mangel an finanziellen Ressourcen entgegenzuwirken, informiert RISE auf seinen Webseiten zudem über die Möglichkeit für Privatleute für das Projekt zu spenden (Annual Report RISE 2013, S. 6).

3.4 Zugang zu Daten

Schwierigkeiten macht den Journalist*innen in der Republik Moldau vor allem der Zugang zu Daten für ihre Recherchen (Turcanu, 2016, S. 2f.). So würde die Regierung oftmals Informationen, mit der Begründung sie fielen unter den Datenschutz, nicht veröffentlichen. Auch öffentliche Institutionen würden Daten aus Angst vor negativer Berichterstattung zurückhalten. Für den Zugang zu wirtschaftlichen Daten müssten Journalist*innen sogar zahlen. So habe sich eine Industrie um den Handel mit Daten gebildet und staatliche Unternehmen nützten diese als Einnahmequelle.

Aus dem Geschäftsbericht von RISE in Rumänien geht hervor, dass 2000 US-Dollar, die 2013 durch Spenden von Privatleuten zusammengekommen sind, für Reisen der Journalist*innen und für Gebühren für den Zugang zu öffentlichen Registern verwendet wurden (Annual Report RISE 2013, S. 6). Langfristig gesehen, sind private Spenden jedoch eine unsichere Einnahmequelle, um den Datenzugang finanzieren.

3.5 Umgang mit Daten und Professionalität der Journalist*innen

Eine weitere Herausforderung ist der Umgang mit den Daten selbst (Turcanu, 2016, S. 2f.). Die technischen Möglichkeiten, die mit der Digitalisierung einhergehen, würden den Journalist*innen Kenntnisse über Datenvisualisierung und Datenanalyse abverlangen, über die sie oftmals nicht verfügten.
Dem setzt RISE entgegen, dass es sich nicht nur die Aufdeckung von Kriminalität und Korruption zum Ziel gesetzt hat, sondern auch Schulungen für Journalist*innen anbietet (Rise Moldova Annual Activity Report 2016, S. 32). In 2016 wurden von RISE in der Republik Moldau über 20 Trainings mit 20 Journalist*innen zu Themen des investigativen Journalismus durchgeführt (ebd.). So wurde unter anderem der Umgang mit Datenbanken, die Weiterverarbeitung von Daten, Fact-checking und die bildliche Aufbereitung von Informationen vermittelt (ebd.). Dies ist besonders positiv zu bewerten, da es eine Möglichkeit bietet, die, laut Merkmalen des Ostclusters, zu wenig professionellen Journalist*innen für die technischen Herausforderungen des zeitgemäßen Journalismus zu wappnen. Die Arbeiten der Journalist*innen von RISE sind mehrfach ausgezeichnet (Rise Moldova Annual Activity Report 2016, S. 4), so dass man auch deshalb davon ausgehen kann, dass die Trainings einen Mehrwert für andere Journalist*innen darstellen.

RISE Journalisten geben ihr Wissen weiter (Annual Report RISE 2013, S. 21)

3.6 Mangelndes Publikumsinteresse

Das Publikumsinteresse in Presseerzeugnisse ist in Rumänien sehr gering (Standard-Eurobarometer 88 Herbst 2017, S. 12). So gaben nur 6 % der Rumän*innen bei einer Befragung im Rahmen des Eurobarometers an, täglich Zeitung zu lesen. 47 %, und damit die meisten Menschen im EU-Vergleich, sagten, dass sie nie Zeitung lesen würden (ebd.). Die Rumän*innen nutzen außerdem, auch bezogen auf die europäischen Nachbarn, am seltensten das Internet: Nur 42 % der Menschen sind täglich oder fast täglich online (ebd. S. 15). Das am meisten genutzte Medium in Rumänien ist das Fernsehen (ebd. S. 5). Die Rumän*innen bringen folglich dem Fernsehen das meiste Vertrauen entgegen (61%), gefolgt von Printmedien (46%). Dem Internet wird am wenigsten Vertrauen beigemessen (37%).

Das geringe Internetvertrauen spiegelt sich auch in den Nutzungszahlen von RISE wider. So verzeichnete die Webseite von RISE in der Republik Moldau 2017 insgesamt 240.566 Besuche von 229.966 Nutzer*innen. Diese blieben durchschnittlich 1,34 Minuten auf der Webseite (ebd.). Bezogen auf die 3.547.539 moldauischen Einwohner*innen, informierten sich zuletzt gerade einmal ca. 6,5 % von ihnen auf der RISE Webseite. Der Facebook-Account von RISE in der Republik Moldau gefällt aktuell 29.703 Nutzer*innen (abgerufen 20.03.19). Im Durchschnitt wurden die letzten 10 Beiträge nur 50 Mal geteilt.
Noch weniger Traffic verzeichnete die Webseite von RISE in Rumänien mit 197.194 Besuchen von 145.392 Nutzer*innen und einer durchschnittlichen Verweildauer von 2 Minuten in 2013 (;aktuellere Daten liegen leider nicht vor). Die Verweildauer ist zwar etwas länger als bei RISE in der Republik Moldau, sie reicht jedoch ebenso wenig für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit einem Thema aus. Bei der Gesamtbevölkerung in Rumänien von  18.936.946 informierten sich gerade einmal ca. 0,8 % der Bevölkerung in 2013 auf der RISE Webseite. Der Facebook-Account von RISE in Rumänien hat derzeit 145.524 Likes (abgerufen 20.03.19). Durchschnittlich wurden die letzten 10 Beiträge immerhin 1118 Mal geteilt. Die geringen Nutzungszahlen und das generelle Misstrauen in das Internet lassen vermuten, dass der Einfluss der Recherchen von RISE nicht sehr groß ist.

  1. Inwiefern kann RISE unter diesen Umständen seiner Beobachterfunktion nachgehen?

Die journalistische Arbeit von RISE kann als eine vorbildliche Antwort auf die Herausforderungen des Journalismus in Osteuropa verstanden werden. So ließen sich anhand der obigen Recherchen keine stichhaltigen Hinweise auf eine direkte politische oder wirtschaftliche Beeinflussung finden. Die Finanzierung aus Stiftungen und die damit verbundene internationale Unterstützung bedarf zwar stetiger Beobachtung, kann aus Mangel an anderen Möglichkeiten jedoch vorerst als die Unabhängigkeit nicht beeinträchtigend hingenommen werden. Das Netzwerk trägt mit seinem Informationsaustausch und seinen Schulungen dazu bei, die Professionalisierung der Journalist*innen und somit die journalistische Qualität zu verbessern. Wünschenswert wäre jedoch eine stetige Veröffentlichung von Geschäftsberichten. Um die wenigen Ressourcen des Projektes zu schonen und dennoch die Öffentlichkeit zu informieren, genüge hierbei auch eine weniger aufwändige Aufmachung der Geschäftsberichte als bisher.

Das Fortbestehen von investigativen Online-Nachrichten-Medien wie RISE ist abhängig von der Nachhaltigkeit ihres Finanzierungsmodells (Stetka & Örnebring 2013, S. 429). Dies ist eng verbunden mit der Unterstützung dieser journalistischen Arbeit durch die Öffentlichkeit (ebd.). Die geringen Nutzungszahlen von RISE stimmen daher wenig optimistisch. Der Einfluss von investigativem Journalismus in Osteuropa ist zudem als sehr schwach einzuschätzen  (Stetka und Örnebring 2013, S. 426; bezüglich Republik Moldau: Ţurcanu, 2016, S. 3). So haben Stetka und Örnebring (2013) herausgefunden, dass Personen, über deren kriminelle Geschäfte berichtet wurde, nur sehr selten von der Justiz verurteilt werden (ebd.). Investigativer Journalismus könne nur an Einfluss gewinnen, wenn seine Arbeit nicht nur unabhängig von Politik und Wirtschaft ist, sondern auch von den verantwortlichen Institutionen wie der Polizei und der Justiz unterstützt wird (Stetka & Örnebring, 2013, S. 427; Ţurcanu, 2016, S. 3). Es kann folglich (noch) nicht von einem effektiven investigativen Journalismus in Rumänien und der Republik Moldau gesprochen werden, solange die Berichte der Journalist*innen nicht zur Änderung der angeprangerten gesellschaftlichen Strukturen führen.

Die beschriebenen medienspezifischen Rahmenbedingungen, insbesondere die Beeinflussung der Medien durch die Eigentümer*innen und die geringe Professionalisierung der Journalist*innen hindern den investigativen Journalismus in Osteuropa derzeit daran, eine effektive Beobachterrolle einzunehmen (Gerli et al. 2018, S. 34). Das RISE-Projekt, als vorbildliches Beispiel für investigativen Journalismus, hat das Potential diesen Kreislauf in Zukunft zu durchbrechen.

 

Literatur

Castro Herrero, L., Humprecht, E., Engesser, S., Brüggemann, M., & Büchel, F. (2017). Rethinking Hallin and Mancini. Beyond the West: An Analysis of Media Systems in Central and Eastern Europe. In International Journal of Communication, 11 (S. 4797–4823).

Coman, M. (2010). Journalistic elites in post-communist romania. In Journalism Studies, 11:4 (S. 587-595).

Gerli, M., Mazzoni, M., & Mincigrucci, R. (2018). Constraints and limitations  of investigative journalism  in Hungary, Italy, Latvia  and Romania. In European Journal of Communication, 33:1 (S. 22-36).

Holland-Letz, M. (2017). Wenn Stiftungen Journalismus finanzieren. In Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 30:4 (S. 91-98).

Kovach, B. & Rosenstiel, T. (2007). The Elements of Journalism: What Newspeople Should Know and the Public Should Expect. New York: Three Rivers Press.

Milewski, N. (2013). Mapping the Moldovan media system and journalism culture. In Central European Journal of Communication, 2 (S. 249-261).

Standard-Eurobarometer 88 Herbst 2017 (2017). Die Mediennutzung in der Europäischen Union, TNS Opinion & Social im Auftrag der Europäischen Kommission.

Stetka, V. & Örnebring, H. (2013). Investigative Journalism in Central and Eastern Europe: Autonomy, Business Models, and Democratic Roles. In The International Journal of Press/Politics, 18:4 (S. 413-435).

Weischenberg, S., Malik, M., & Scholl, A. (2012). Journalists in Germany in the 21st Century. In D. Weaver (Hrsg.) & L. Willnat, The Global Journalist in the 21st Century (S. 205-219). New York: Routledge.