Ukraine-Krise

#throwbackthursday

Oder wie wir die Ukraine-Krise 2014 wahrgenommen haben

Es braucht nicht mehr viel und wir werden bereits unsere erste Podcast-Folge aufnehmen. Vor diesem Hintergrund haben wir diesen Blogpost genutzt, um noch einmal in uns zu gehen und zu rekapitulieren, wie wir damals die Ereignisse, die aus der Ukraine um die ganze Welt gegangen sind, wahrgenommen haben. Unsere persönlichen Erinnerungen haben wir hier zusammengetragen.

Valentina: Ich wurde in der Ukraine geboren und verbrachte eine Hälfte meines Lebens dort. Für die politischen Geschehnisse habe ich mich nie wirklich interessiert. Sowjetunion wurde uns als etwas „gutes“, die westliche Welt als „Bösewicht“ dargestellt. Damit kam ich bis zum gewissen Alter klar. Die Orangene Revolution von 2004 brachte Menschen auf die Straßen, weil sie ein besseres Leben haben wollten, ich habe das Ganze aber noch nicht realisieren können, ich war zu jung dafür. 2005 sind meine Familie und ich nach Deutschland umgezogen. Dann merkte ich. wie sehr sich das Leben dort und hier unterscheidet. Ich habe meinen „Ostblock“ aus einer anderen Perspektive betrachtet und es hat sich herausgestellt, dass nicht alles so war, wie es uns damals in der Schule erzählt wurde. Die Maidan Revolution kam für mich plötzlich und unerwartet. Ich habe die ganzen politischen Vorgeschichten nicht gekannt. Anfangs war es sogar lustig, weil ich nicht wusste, was Leute schon wieder erreichen wollen, für mich waren sie eben das Volk, das immer nur revolutioniert aber im Endeffekt nichts zu ändern schafft. Nachdem Menschen ermordet wurden, habe ich die Situation als sehr seriös betrachtet. Schnell erkannte man, wie der „größere Bruder“ diejenigen, die eigenen Weg gehen wollen „liebt“. Die ganzen Hassreden und Kommentare gegen mein Volk waren überall, seien es Soziale Netzwerke oder eben Bekanntschaften beim persönlichen Treffen. Die Sache mit grünen Männchen auf der Krim (uns gibt es hier nicht), dann Russkij Mir, dann Krim ist und war russisch, so viele verwirrende Sachen, die ein normaler Menschenverstand nicht verarbeiten kann. Dieser hybride Krieg hat viele russisch-ukrainische Familien zerstört und eine freundschaftliche Beziehung zwischen UA-RU wird es nicht mehr geben.

Thilo: Ich erinnere mich noch ziemlich genau daran, wie ich zuhause saß und gerade die Neuigkeit gelesen hatte, dass russische Separatisten den Flughafen in Donezk angegriffen haben. Dazu hatte ich einen Livestream auf YouTube gefunden, der von einem Wohnblock aus über den Flughafen schaute. Es war ca. 1 Uhr morgens, man konnte fast nichts sehen, außer ein Wohnhaus, indem jemand so laut Popmusik hörte, dass man die Schüsse im Hintergrund kaum noch hören konnte. Es war ein ziemlich dystopisches Erlebnis. Ca. 2 Jahre später habe ich online einen Freund, der in der Ukraine lebt, kennengelernt, er hat nicht gerne über den Krieg gesprochen, aber er war einer, der in den Westen der Ukraine geflohen ist. Von ihm habe ich auch zum ersten Mal über die kulturelle und politische Spaltung der Ukraine gehört. Andere Freunde aus z.B. Tschechien und Litauen waren auch ziemlich besorgt darüber, wie weit Russland gehen würde. Das war für mich die erste richtige Begegnung mit Krieg und was dieser verursachen kann und das auch wir in Europa davor nicht sicher sind.

Lea: Zum Zeitpunkt der Ukraine-Krise hatte ich persönlich noch keinen Bezug zur Ukraine oder zu Russland. Rückblickend ist es mir fast unangenehm, aber die Existenz der Ukraine hatte ich glaube ich tatsächlich erst im Jahr 2012 im Zuge der Fußball-Europameisterschaft, die das Land gemeinsam mit Polen ausrichtete, wirklich bewusst wahrgenommen. Ohne wirklich etwas über das Land zu wissen, nahm ich es von da an quasi schon als absehbares EU-Mitglied wahr. Als dann etwa eineinhalb Jahre später „plötzlich“ Krieg in eben diesem Land herrschte, fühlte sich dies surreal für mich an. Ich war zwar 2013/14 bereits grundsätzlich an internationaler Politik und dem Weltgeschehen interessiert, jedoch noch nicht explizit an Osteuropa. Außerdem befand ich mich gerade im Auslandsaufenthalt in Spanien und war gefühlt so weit weg von den Geschehnissen in diesem unbekannten Land, dass ich das Ausmaß der Ereignisse dort erst begriff, als die Lage auf dem Maidan im Februar 2014 vollends eskalierte und der Konflikt sämtliche Titelseiten in den Medien einnahm. Dennoch brauchte es noch mehrere Jahre und ein wachsendes Interesse an Osteuropa meinerseits, um die Hintergründe und die Bedeutung der Geschehnisse zu erfahren, sowie persönliche Kontakte und Gespräche mit Russ:innen und insbesondere Ukrainer:innen, um diese auch ansatzweise zu begreifen und zu verstehen.

Henri: Interessanterweise habe ich mit der Zeitungslektüre während des Georgienkriegs 2008 angefangen und in diesem Licht habe ich die Ereignisse 2014 auch wahrgenommen. Persönliche Bezugspunkte hatte ich keine, aber sie haben definitiv meine Annahmen, was in Europa politisch möglich oder unmöglich ist, verschoben. Ich habe Schwierigkeiten mich an Einzelheiten zu erinnern, aber meine mich an eine große „Wer ist denn wirklich Schuld“-Debatte zu entsinnen und darüber hinaus an eine persönliche wie öffentliche große Ratlosigkeit. Aus heutiger Sicht ein sehr deutsches oder westeuropäisches Phänomen. Der wahrscheinlich nachhaltigste Effekt auf mich war die Wahrnehmung Russlands als „spoiler“ und bad boy in den internationalen Beziehungen. Vielleicht kann man das sogar verallgemeinern und von einer „Generation post-2014“ reden, die mit Russland (sofern keine persönlichen Bindungen bestehen) vermehrt Krieg und Aggression assoziieren anstelle Gorbatschow.

Paola: Ich muss gestehen, dass ich im Jahr 2014 noch nicht geglaubt hätte, dass ich mich einmal für Internationale Politik begeistern, geschweige denn sie studieren würde. Dementsprechend erfolgte meine erste Konfrontation mit der Ukraine-Krise über ukrainische Schulfreunde. Unter Tränen berichteten manche, das Haus ihrer Oma sei zerbombt worden und sie überlegen, wie sie Verwandte möglichst schnell nach Deutschland holen könnten. Das war für mich extrem surreal und schockierend zugleich, weil ich Krieg (Gottseidank!) zuvor nie „so nah“ war, dass enge Freunde direkt von den Auswirkung solcher Auseinandersetzungen betroffen gewesen wären.
Dadurch, dass sich das, was auf dem Pausenhof besprochen wurde oft gravierend von dem unterschieden hat, was in den Medien berichtet wurde, wusste ich bald gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Desinformation war 2014 offenbar, zumindest für mich, noch kein so großes Thema wie heute. Ich war jedenfalls mit all dem was dort, nicht allzu weit weg von uns geschah, überfordert und dadurch verunsichert.
Schlussendlich möchte ich sagen, dass diese Zeit für mich, als de facto Unbeteiligte, sehr einprägsam war und mit Sicherheit dazu beigetragen hat, dass ich die politischen Prozesse, die die Welt steuern, besser verstehen wollte. Was uns zum heutigen Tag bringt, an dem es noch viel mehr unbeantwortete Fragen gibt damals…

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