Mein Blog

Willkommen in meinem Blog! Hier kommentiere ich Aktuelles — Reden, Interviews, politische und soziale Phänomene im Dialog mit früheren Denkern, Philosophen, Rhetorikern oder Wissenschaftstheoretikern.

Welche Lösungen bietet Aristoteles dazu an? Wie analysiert Platon solche Verhaltensweisen? Was ist die Meinung Kants dazu? Welche antike oder neuzeitliche Theorie und welche Praxis der Rhetorik — Rhetorik verstanden als Technik des Kommunizierens — steht hinter einer Rede oder Äußerung? Das gibt eine neue Perspektive auf aktuelle Fragen oder Ratlosigkeiten und hilft bei der Einordnung.

Es gibt heute einen wichtigen Stachel dafür, daran zu erinnern, dass die Geschichte von Rhetorik und Philosophie nicht nur als etwas interessant ist, das längst vergangen ist: Und dieser Stachel ist die Tatsache, dass es heute Gruppen und Orte gibt, in denen man es sich leisten kann, Fakten zu leugnen, eigene Fakten zu erfinden, ja, überhaupt zu bestreiten, dass es einen Unterschied macht, ob etwas wahr ist oder nicht, ob es zutrifft oder nicht.

Wir müssen hierzu nicht ratlos die Schultern zucken und meinen, dazu könne man ja gar nichts mehr sagen. Denn die Denker und ihre Texte, die aus der Antike und anderen späteren Zeiten überliefert sind, sagen gerade zu dieser postfaktischen Situation, zu dieser Haltung vieles. Wir finden hier Antworten und Strategien, die aus der Ratlosigkeit, griechisch: Aporie, heraushelfen können. Es ist Zeit, dieses Potential noch mehr zu nutzen!

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Meinungsbildungsprozesse und postfaktische Diskussions(un)kultur

Mein Artikel zu Meinungsbildungsprozessen in Zeiten postfaktischer Diskussions(un)kulturen, der in: Forschung & Lehre 06/17 erschienen ist, ist nun auf wissenschaftsmanagement-online abrufbar unter:

https://www.wissenschaftsmanagement-online.de/beitrag/wie-kommt-man-zu-einer-begr-ndeten-meinung-ber-filterblasen-und-echokammern-einer-zeit-des-7830

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Mit der Vernunft zusammenrücken

Angela Merkel sprach kürzlich unter den Eindrücken des G 7-Gipfels und Donald Trumps Auftritten in Sizilien davon, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen müsse. Ja, in der europäischen Union scheint sich auch über Deutschland und Frankreich hinaus ein allgemeiner Konsens einzustellen, dass man jetzt noch mehr zusammenrücken und mit einer Stimme sprechen müsse.

Und Bundespräsident Steinmeier beantwortet in seiner Rede auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin im Angesicht des Postfaktischen oder „einer zunehmenden Aversion gegen Fakten“ seine eigene Frage, ob denn die Vernunft noch zu retten sei mit dem folgenden Satz: „Was anderes soll uns denn retten als Vernunft?“ Recht so, möchte man sagen. Denn das Thema Vernunft und Wissen ist zurück auch in nicht-akademischen Debatten. Man spricht wieder über rationale Gründe, weitsichtige Abwägungen und Einschätzungen, selbst verantwortete Meinungsbildung.

Doch ein Moment an Frank-Walter Steinmeiers Rede ließ aufhorchen: Hier wurde nämlich Luther neben Augustinus, Kant und Freud als Verfechter der Vernunft aufgerufen. Sicher, wir müssen zusammenrücken angesichts der Herausforderungen des Postfaktischen – aber so eng? Das Problem liegt dabei nicht darin, dass sich nicht tatsächlich Verbindungen, Kontinuitäten zwischen den genannten Denkern aufzeigen lassen – hier hat die wissensgeschichtliche Forschung im Gegenteil in den letzten Jahrzehnten viel Neues erkannt. Wir wissen jetzt, dass die Geschichte der Vernunft in Europa und darüber hinaus keine Geschichte einfacher Brüche und Neuanfänge war.

Und trotzdem ist es wichtig, die Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Begriffen und Verständnisweisen davon, was Vernunft ist und was sie leisten kann, nicht aufzuheben oder wegen der großen Herausforderungen durch die Unvernunft zu suspendieren. Im Gegenteil: gerade jetzt ist es erforderlich, darüber zu streiten, ob die Art von Rationalität, die Augustinus aufbauend auf einem platonischen Bildungshorizont und unter dem tiefen Eindruck der Rhetorik der Paulus-Briefe präsentiert, dieselbe ist, mit der Immanuel Kant den Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit durch die Vernunft fordert. Das hat auch etwas mit einer an der Sache orientierten Streitkultur zu tun. Wie für so vieles, so hat auch hierfür Platon das anschaulichste Bild entworfen.

In seinem Dialog Menon windet sich Sokrates‘ Hauptgesprächspartner hartnäckig gegen die rationalen Argumente seines Gesprächspartners. Weil er nun trotzdem zugeben muss, dass seine Meinung über die Tugend, von der der Dialog handelt, nicht haltbar ist, beschreibt er Sokrates und seine Gesprächstaktik mit einem Zitterrochen: Denn auch Sokrates versetze denjenigen, der ihm zu nahe komme, in eine Schockstarre, freilich in eine intellektuelle.

Doch Platon zeigt sehr klar: Menon hat keineswegs begriffen, was Sokrates‘ zentrales Argument ist und dass er vor allem dem Mangel an Begründung in den Meinungen des Menon kritisiert. Menon ist immer noch sehr zufrieden mit sich selbst, lobt sich, wie oft er schon, und zwar sehr gut, über die Tugend gesprochen habe. Und als die geduldige „Wissenshebamme“ Sokrates noch einmal von vorne mit ihm beginnen möchte in der Definitionssuche, blockt Menon ab und besteht – ganz wie am allerersten Anfang des Gesprächs – darauf, dass sie sich nun über die Lehrbarkeit der Tugend unterhalten und die ganze lästige Definitionssuche überspringen sollten.

Keine Frage, auch Menon argumentiert im Dialog durchaus rational. Er bringt Begründungen, er führt Beispiele an, er versucht, sich argumentativ durchzusetzen. Aber sein Rationalitätsverständnis ist ein ganz anderes, als das, das Platon seinem Sokrates in den Mund legt. Denn Sokrates geht es darum, einfache Meinungen, die einen Wahrheitsanspruch enthalten, und wirkliches Wissen, von dem der Wissende selbständig, konkret und hinreichend Rechenschaft ablegen kann, voneinander zu unterscheiden. Der mit allen Wassern der sophistischen Rhetorik gewaschene Menon hingegen will im Agon, im Wettstreit der Intellektuellen, als Sieger aus dem Ring gehen. Seine Rationalität ist ein bloßes, manipulierendes und manipulierbares Instrument.

– Was anderes kann uns retten als die Vernunft? Nichts, aber nur dann, wenn wir nicht zu sehr zusammenrücken, sondern darüber streiten, welche Vernunft das zu leisten im Stande ist. Denn viele der Formen von Vernunft und Rationalität, die in der Geschichte des Wissens entworfen wurden, haben gerade die Abneigung gegen das „Vernünfteln“ provoziert, mit der wir heute, allerdings auf einem ganz anderen Niveau, zu kämpfen haben.

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Weshalb heisst dieser Blog „Theaitetos“?

Theaitetos war ein griechischer Mathematiker, der im 4. Jhd. v.Chr. lebte und ein Schüler Platons war. Platon lässt ihn in seinem gleichnamigen Dialog mit Sokrates darüber diskutieren, was Wissen (griech: Episteme) eigentlich ist.

Hier geht es darum, dass es notwendig ist, das, was man meint, auch zu begründen. Hier geht es um Antworten auf Menschen, die der Meinung sind, sie bräuchten gar keine Wahrheitskriterien, und um Strategien, wie man dem begegnen kann, wenn sich jemand weigert, Gründe anzugeben.

Solche Strategien sind heute wichtiger denn je. Denn diejenigen, die Fakten einfach leugnen und sich in Netzwerke zurückziehen, die ihnen nur nach dem Mund reden, sind eben solche Verweigerer. Sie versuchen sich aus der Verantwortung für das, was sie denken und sagen, zu stehlen.

Unser Theaitetos setzt etwas dagegen. Und das ist alles andere als antiquiert, längst überholt oder angestaubt. Im Gegenteil: es rüstet uns gegen das Postfaktische.

Ein Beispiel: In dem Gespräch zwischen Sokrates und Theaitet in Platons Dialog wird auch der Homo mensura-Satz kritisch analysiert. Der Satz wird dem Sophisten Protagoras zugeschrieben. Er soll gesagt haben, dass jeder einzelne Mensch das Maß dafür ist, wie etwas ist und wie es nicht ist. Dem einen erscheint eine Johannisbeertorte, die vor ihm steht, als zuckersüß, dem anderen dieselbe Torte als sauer; für den einen fühlt sich das Wasser des Schwimmbeckens kalt an, dem anderen heiß. Hier soll nach Protagoras nun niemand kommen und sagen, wie die Dinge wirklich sind, sondern sich mit diesen unterschiedlichen, aber gleichermaßen berechtigten Meinungen zufriedengeben.

Sokrates und Theaitet nehmen die Grundlage für  diese Argumentation genau auseinander. Sie zeigen gemeinsam, dass das lediglich eine wenig durchdachte erste Intuition ist. Tatsächlich müssen wir voraussetzen, dass es keineswegs egal oder gleichwertig ist, wie jeder ein und dieselbe Sache beurteilt, und dass wir nur nicht richtig differenziert haben und bei den uns plausibel erscheinenden Fällen nicht genau genug hingesehen haben: denn wenn dem einen die Torte süß erscheint und dem anderen dieselbe Torte als sauer, dann nicht deshalb, weil man das gar nicht entscheiden kann, wie sie denn nun wirklich ist, sondern weil der eine die gleiche Torte mit seinen Geschmacksorganen wahrgenommen hat, die eine andere Disposition hatten, als die des anderen. Der eine hatte zuvor nur Wasser getrunken, und sein Sinn war aufnahmefähig für die Geschmacksunterschiede der Torte, während  der andere vielleicht gerade einen Karamellbonbon gegessen hatte. So war sein Geschmackssinn von dieser Süße noch gereizt. Wenn man die Situation also vollständig betrachtet, liegt gar kein Widerspruch oder lieegleichberechtigte Ansprüche vor.

Sokrates zeigt auch: Wir verhalten uns in der Praxis auch tatsächlich gar nicht so, dass wir uns nach dieser Auffassung richten, sondern wir machen Unterschiede und finden in den Eigenschaften von Dingen Gründe dafür, was von einem Gegenstand zutrifft und was nicht.

Theaitet jedenfalls ist ein gelehriger Schüler des Sokrates: Er lässt sich vom Reiz des Postfaktischen nicht locken. Er macht es stattdessen wie der Protophilosoph Sokrates: er will etwas wirklich wissen und nicht nur irgendwelche Meinungen vertreten.

Theaitetos ist daher kein schlechtes Modell. In dem Blog spielen diese und ähnliche Strategien, Analysen und Angebote eine zentrale Rolle.

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