Road Movie oder Migrationsfilm?! Migration als Reise?Reise als Suche?

Migrationsfilm

Der Begriff Migration, der zentral im Seminar ist und Bevölkerungswanderung im weitesten Sinne umschreibt, ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass er durch Personen, die in unseren Augen „migrieren“ häufig nicht verwendet wird. Die eher ökonomisch und humangeographisch dominierte Forschung zur Migration arbeitet viel mit Push und Pull Faktoren (Bamba), die jedoch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive unzureichend sind. Verwenden wir nun diesen Film, der nicht nur eine Widerspiegelung realler Bedingungen darstellt, sondern selbst Teil der sozialen Realität ist (Stuart Hall) können wir diesen als Möglichkeit verstehen uns dem Thema der Migration zu nähern. Im Vergleich zu den anderen Filmen, die wir im Seminar behandelt haben, ist der Film nicht eindeutig und ausschließlich in einem Migrations- und/oder Diaspora Zusammenhang entstanden. Dies ist für uns einer der Gründe, den Film neben den Inhalten vor allem in den Kontext seiner Entstehung zu setzen. Zunächst wird deutlich, dass die Repräsentation der migrierenden Familie, nicht mit der Repräsentation im Cinema Novo übereinstimmt, wie wir es beispielsweise in Vidas Seca sehen können. Dort kämpft die sehr bepackte Familie auf langen Strecken in lebensfeindlicher Umgebung regelrecht ums Überleben. Dies stellte durchaus einen direkten Bezug zur sozialen Realität der späten 1940er bis 1960er dar. Bis in die 1960er stellte die Integration der wenig erschlossenen Gebiete ein nationales Projekt der brasilianischen Regierung dar. Das nationale Territorium sollte wirtschaftliche integriert werden und Arbeiter gewonnen werden. Die Bewegungen zwischen Land und Stadt nahm rapide zu und die urbane Bevölkerung, die 1950 ca. 36% der Gesamtbevölkerung lag, stieg bis 1980 bereits auf 70% und im Jahr 2000 weiter auf 81,2%. In den 1980ern nimmt die Migration in die großen Metropolen jedoch ab, was verbunden ist mit der wirtschaftlichen Rezession und stetig steigender Arbeitslosigkeit, dem geplatzten Traum vieler Hinzugezogenen, die sich in den Armenvierteln wiederfanden. Auch die intraregionale Migration ist nicht zu unterschätzen, beispielweise im Nordosten des Landes, die häufig auf kurze Zeiträume bestimmt war und eine Rückkehr nicht auszuschließen ist, anders als bei der Migration in die großen Metropolen. In unseren Augen sind eher die Bedeutungen und Formen einer solchen Mobilität ausschlaggebend, aus denen neue Lokalitäten konstruiert und reproduziert werden. So kann untersucht werden wie sich Personen flexible in neuen und alten Beziehungsgeflechten positionieren und welche kommunikative Vernetzung möglicherweise genutzt wird.

Anders als die geläufige Darstellung eines Akteurs, der migriert und seine Familie zurücklässt (z.B. in O Céu de Suely), bzw. zu einem späteren Zeitpunkt nachholt, fährt hier die Familie gemeinsam mit ihren Fahrrädern los, die Eltern mit ihren fünf Kindern. Wir wissen wenig über die genaue Herkunft und Situation der Familie. Einziges Motiv scheint das Ziel des Vaters einen Job zu finden, der ihm monatlich 1000 Reais einbringt um die Familie ausreichend zu versorgen. Einige der Möglichkeiten für die Familie Geld zu verdienen, werden nicht wahrgenommen, bzw. nach kurzer Zeit aufgegeben. An dieser Stelle wird Romaos Willen deutlich, seine Familie zu versorgen, jedoch nicht durch erniedrigende Jobs, wie es an einer Stelle im Vergnügungspark der Fall ist. An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass Push und Pull Faktoren in unseren Augen nicht sehr aussagekräftig sind. Zu Beginn des Films befinden wir uns auf dem Platz der Mitte der Welt von dem aus keine Kriterium bestimmen kann in welche Richtung wir aufbrechen werden. Wie der Name des Films „Der Weg der Wolken“ andeutet, handelt es sich möglicherweise um eine unvorhersehbare Reise, die keine bestimmte Richtung aufweist. Der Himmel von dem wir uns per Kamerafahrt in der ersten Szene der Familie nähern ist immernoch der selbe am Ende des Films bei dem die Kamera zurück über die Wolken düst. In O Caminho das Nuvens andererseits können andere Kriterien Anwendung finden, etwas über den Bedeutungskontext der Mobilität zu erfahren. Beispielsweise zieht sich die Musik Roberto Carlos‘ wie ein roter Faden durch die Geschichte, in die bis zu acht seiner Lieder integriert werden. Zum einen singt die Familie seine Lieder um sich ein wenig Geld zu verdienen, zum anderen repräsentieren diese eine sehr romantische Darstellung des Lebens, von der die Familie in unseren Augen stark beeinflusst ist. Zu guter letzt repräsentiert er auch die technisch nicht anders mögliche Kommunikation zwischen der Familie. Während eines Roberto Carlos Fernsehprogramms sehen wir wie Antônio getrennt von seiner Familie das Programm auf seiner Arbeit verfolgt, während seine Geschwister an einem anderen Ort dem Programm im Fernsehen folgen. Weiterhin ist auffällig, dass im Film der Übergang in ein neues Milieu allmählich geschieht. Durch das langsame Vorankommen über lange geographische Distanzen scheint der Übergang für die Familie weniger einschneidend. Dies ist vor allem im Vergleich mit anderen Filmen deutlich. Die Protagonistin Macabéa in A Hora da Estrela, die aus dem Nordosten nach Rio kommt versucht durch fleißiges Arbeiten und den Aufbau sozialer Kontakte Fuß zu fassen. Es wird vor allem ihre Situation in der Stadt dargestellt, während in Caminho das Nuvens die Reise zentral ist.

Road Movie

Bei einem sogenannten „Road-Movie“ handelt es sich um ein Filmgenre, in dem Protagonisten suchen- man reist, weil man sich die Freiheit nimmt und/oder kein zu Hause hat, das Land kennen lernen will und den Platz finden, an den man gehört. Der US-amerikanische Terminus bezeichnet einen Film, bei dem eine Reise im Vordergrund steht und der Prozess dieser Reise zentrales Thema der darstellung ist und weniger, wie beispielsweise in Filmen, die sich explizit mit Migration auseinandersetzen, die Beweggründe für das Fortgehen sowie das „Ankommen“ am Zielort thematisieren. (vgl. Herrmanns…)

O Caminho das nuvens bewegt sich zwischen diesen Kategorien, da er zwar nicht im Stile eines klassischen Road-Movie einen Fokus auf die Freiheit und das Abenteuer legt, aber auch nicht im Sinne einer Darstellung von Migration den Start und das „Ziel“ darstellt.  Es scheint vielmehr wie die eingangs beschriebene Reise, jedoch ohne Rückkehr, die von Hoffungen und Enttäuschungen geprägt ist- so lernt die Familie auf ihrem Weg durch diverse brasilianische gegenden, die divers geprägt sind, unterschiedlichste Menschen kennen, die zum Teil feindselig gestimmt sind, zum Teil aber auch Freundschaft und sogar Arbeit anbieten. Doch Romao und seine Familie zieht weiter auf der Suche nach…sich selbst! Die Reise wird zur Erkundung  auf dem Weg zu sich selbst.

Ein Roadmovie wird eben auch dadurch kategorisiert, dass er eine Suche thematisiert, die nie endet. Romao macht sich auf den Weg mit dem artikulierten Ziel, 8000 Reais monatlich zu verdienen, doch es wird deutlich, dasssich hinter dieser sehr konkret formulierten Absicht die Suche nach sich Selbst verbirgt. Im Gegensatz zum Migrationsfilm stellt „O caminho das Nuvens“  nicht explizit eine „problematische“ Ausgangssituation dar, die darauf schließen lassen könnte, dass die dringende Notwendigkeit zur Migration bestand. Darüber hinaus wird aber auch keine konkretes lokales Ziel der Reise ausgemacht, so lässt sich schließen, dass für Romao und seine Familie vielmehr der Weg das Ziel ist. Vielmehr verhält es sich so, dass zwar durchaus Möglichkeiten für die familie bestehen, sich niederzulassen und auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen, doch Romao will an keinem Ort bleiben! Die Zuschauer fragen sich, warum er sich nicht auf die gebotenen Chancen einlassen kann- und erkennt, dass die Suche Roamos nicht in der Suche nach 8000 Reais liegt, sondern in der Suche nach sich selbst.

So bewegt sich der Film zwischen den beiden Genres,da sich unterschieliche elemente vielseitig zuordnen lassen, auch wenn die Roadmovie-Elemente teilweise überwiegn. Es ist hier also, ratsam, keine Einordnung in eines der beiden Genre zu wählen, sondern eben diese Besonderheit hervorzuheben

  • Weiter)-entwicklung der Vater-Sohn-Beziehung als Versinnbildlichung einer generellen Entwicklung während der Migration bzw. jedes Familienmitglieds stellt unterschiedlichen Umgang mit Migration dar.
  • „Langsame“ Migration ohne Grenze, aber doch Konfrontation mit unterschiedlichsten Situationen auf der Reise, die scheinbar immer angenehmer werden.

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