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Von Toten und Lebensrettern

Nachdem wir im Vorfeld der Exkursion schon einleitende Worte zum Zentralfriedhof Budapests gehört hatten, fand am heutigen Freitag ein Ausflug zu eben diesem statt. Am Eingang wurden wir von Dr. Peter Apor von der Central European University empfangen, der uns als Einleitung die Entstehungsgeschichte des Friedhofes schilderte. So erfuhren wir, dass der Friedhof im Jahr 1855 hinter der Pester Stadtmauer errichtet wurde und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als zentraler Friedhof genutzt wurde und als Gedenkstätte für Kommunisten der roten Revolution Ungarns 1919.

Beim Hineingehen wirkt das Areal wegen der breiten Straßen, die an vielen Grünanlagen vorbeiführen, wie eine große Parkanlage. Bei der Führung wurde sehr gut deutlich, wie von den  kommunistischen Machthabern ein Narrativ erzeugt werden sollte. Die erste Parzelle, die wir uns genauer ansahen, wurde zu Ehren gefallener Ungarn errichtet, die im Auftrag der Sowjetunion gegen die Revolutionäre Bewegung 1956 kämpften. Die Niederschlagung dieses Aufstands wurde als Kampf gegen Faschismus dargestellt.

Es war sehr interessant zu sehen, wie Geschichte und Gedenken auf dem Friedhof dargestellt und politisiert wurden. Beispielsweise wurde dem ersten ungarischen Ministerpräsidenten Lajos Batthyány gedacht, der nach der Niederschlagung der Revolution 1848 hingerichtet wurde. Damit versuchte das kommunistische Regime, eine Kontinuität von der antimonarchischen Bewegung 1848, über die kurze Phase der Räterepublik Ungarn 1919, bis hin zum siegreichen Kommunismus 1945 herzustellen.

Im Gegensatz dazu findet man direkt daneben ein Denkmal, das an István Bethlen erinnert. Er war ungarischer Ministerpräsident unter Horthy von 1921 bis 1931 und starb unter ungeklärten Umständen, nachdem er 1945 von der Roten Armee inhaftiert wurde.

Auf dem Friedhof wird an viele Nationalhelden erinnert. So standen wir beispielsweise vor dem beeindruckenden Kossuth-Mausoleum, das zum Gedenken an einen der Revolutionsführer von 1848 erinnert.

Da der Friedhof so viele interessante Facetten hat, war es aus Zeitgründen leider nicht möglich, alles zu sehen, wie die Gräber vieler bekannter Künstler und die beiden Parzellen 298 und 301, die vom Regime nach 1945 als Massengräber benutzt wurden und nach 1989 zu einem zentralen Gedenkort wurden.

 

Um 14.00 begann unsere Führung durch Újlipótváros. Laut Wochenplan hätte sie den Titel „Nazis and Comrades“ tragen sollen. Inhaltlich arbeiteten wir uns dann an einigen „landmarks“ ab – ohne dabei „Nazis and Comrades“ explizit zu behandeln, sondern vielmehr mit Blick auf das kommunistische Nachkriegsungarn. An unserer ersten Station setzte unsere Stadtführerin zeithistorisch etwas früher ein. Während des Zweiten Weltkriegs befand sich in Újlipótváros das sogenannte internationale Ghetto. Einige vorwiegend großbürgerliche Stadthäuser dienten jüdischen Verfolgten als Verstecke. Die Häuser wurden weitgehend von ausländischen Diplomaten organisiert. Die bekannteste Figur in diesem Zusammenhang ist der Schwede Raoul Wallenberg, der durch sein Engagement vielen jüdischen Verfolgten das Laben rettete.

Wir hatten nun die Gelegenheit, zwei „protected houses“ von Innen zu sehen. Die beiden Häuser sind heute nicht als Museen oder Gedenkstätten eingerichtet, sondern sie sind normale Wohnhäuser. Dennoch geben sie einem einen Eindruck der Dimension, einen Eindruck davon, wir schwierig es gewesen sein muss, hunderte, gar tausende von Menschen auf nur wenigen Stockwerken unterzubringen.

Im Anschluss an unsere Führung durch die „protected houses“ war unsere nächste Station ein Raoul-Wallenberg-Denkmal unweit der Donau. Das Denkmal stellte einen männlichen Akt dar im Kampf mit einer Schlange; auf einer Metallplakette wurde an Raoul Wallenberg erinnert. Unsere Stadtführerin erzählte uns, dass es keinesfalls eine Selbstverständlichkeit sei, dass das Denkmal an diesem Platz stehe. Die ungarischen Sozialisten wollten sich nicht mit der Geschichte Wallenbergs auseinandersetzen und verbannten das Denkmal – nachdem es anfänglich bereits dort stand, wo es sich heute befindet – in die ungarische Provinz. Dort fristete es ein unwürdiges Dasein vor der Produktionsstätte eines Pharmabetriebes, dessen Logo zufällig auch ein männlicher Akt war, der mit einer Schlange ringt. Erst nach der Wende in den 1990er Jahren fand das Wallenberg-Denkmal wieder seinen Platz an der Donau in der Nähe der „protected houses“.

Nach der Darstellung des Schicksals des Wallenberg-Denkmals machten wir einen kurzen Abstecher zu einem Gebäude, das heute der ungarischen Parlaments- und Ministerialverwaltung als Garage für einen Teil ihres Fuhrparks dient. Vor dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Gebäude einen Automobil-Klub. Nach dem Krieg war den Sozialisten die Idee eines Automobil-Klubs zu bourgeois; jeder sollte über ein Auto verfügen. Sich exklusiv mit Autos in einem Klub zu beschäftigen war ein Unding. Im sozialistischen Ungarn wurden Parteioberen jedoch nicht ihren Idealen gerecht. Nicht jeder Ungar fuhr ein Auto und ironischerweise wurde das Gebäude des ehemaligen Automobil-Klubs in Újlipótváros von den ungarischen Sozialisten als Garage für ihre eigenen Autos, vorwiegend Limousinen, genutzt.

Der Weg führte weiter zum Weißen Haus, wo wir unsere Ausweise abgeben und durch einen Metalldetektor gehen mussten, dann aber tatsächlich Eintritt erhielten. Das Weiße Haus ist heute ein Gebäude der ungarischen Parlamentsverwaltung mit Abgeordnetenbüros. Nach dem Krieg diente das vormalige Apartmenthaus dem ungarischen Inlandsgeheimdienst als Zentrale. Dreh- und Angelpunkt unseres Besuchs im Weißen Haus war ein riesiges Wandgemälde im Eingangsbereich. Im Stil des sozialistischen Realismus zeigt  es Arbeiter in einer Grube und Menschen in Sitzbänken, scheinbar politischer Bildungsarbeit ausgeliefert. Das Besondere ist, dass die Arbeiter auf dem Gemälde nicht arbeiten, sie stehen rum, schwatzen, drücken sich vor der Arbeit. Als Kulisse sieht man die Silhouetten einer Stadt, darunter auch die einer Kirche. Diese subtile Kritik am sozialistischen System scheint über Jahrzehnte niemandem aufgefallen zu sein. Das Gemälde wurde sogar von einer Expertenkommission bewilligt. Jeden Tag also, für Jahrzehnte, war das Erste, was die Mitarbeiter des Sicherheitsapparats morgens sahen, ein Gemälde, das das System, für das sie Unrecht taten, durch den Kakao zog. Dass das niemandem bewusst war, ist eine beinahe fantastische Geschichte.

Anschließend gingen wir zu einem nahe gelegenen Mahnmal, welches an die Ermordung ungarischer Juden durch die Pfeilkreuzler 1944/45 erinnert. Es besteht aus 60 metallenen Schuhpaaren, die direkt am Donauufer befestigt sind. Um die Schuhpaare herum stehen Kerzen und liegen Steine. Im Boden eingelassen, befinden sich unauffällige Gedenktafeln, die auf Englisch, Ungarisch und Hebräisch an die Verbrechen der Pfeilkreuzler erinnern.

Konrad Michaelys und Philipp Fritz

7 Reaktionen zu “Von Toten und Lebensrettern”

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