Im „Jewish Community Center“ hatten wir heute die Gelegenheit Katalin Pécsi zu treffen, die an der Umsetzung einiger Teile der Dauerausstellung im Holocaust Memorial Center beteiligt war. In einem gemeinsamen Gespräch konnten wir offene Fragen vom Vortag klären und einige kontroverse Punkte vertiefen, wie etwa die dezentrale Lage des Gedenkzentrums im Vergleich zum Terrorhaus oder die Kritik an der Konzeption eines Holocaust-Museums in einer Synagoge. Katalin Pécsi stellte das Verhältnis von Museum, Dauerausstellung und Fidesz-Regierung differenziert dar, wodurch uns die politische Dimension von Geschichte und Öffentlichkeit in Ungarn nur noch deutlicher wurde. Konzipiert wurde die Dauerausstellung von unabhängigen Historikern und Architekten. Das Museum selbst ist allerdings in staatlicher Hand, weshalb es in der Chef-Etage des Museums einen Wechsel gab: natürlich nach Fidesz-Geschmack. Die international sehr gut rezipierte Dauerausstellung unterliegt jedoch dem Copyright des unabhängigen Teams, was eine Änderung seitens des neuen Museumsdirektors unmöglich macht – glücklicherweise. Jegliche Kooperation mit dem „Jewish Communitiy Center“ ist jedoch seither auf Eis gelegt. „Local visitors“ seien ohnehin eher die Ausnahme, vor allem da der Besuch im Holocaust-Museum von Schuldirektoren, Lehrern oder Eltern nicht immer erlaubt wird. In diesem Zusammenhang erfuhren wir auch, dass in Ungarn Holocaust-Leugnen nicht illegal ist, was sich nicht nur im ungarischen Parlament, sondern auch in etlichen Geschichtsbüchern widerspiegelt. Die Zeiten, in denen Geschichtslehrer selbst entscheiden konnten, welches Buch sie im Unterricht verwenden, sind in Ungarn leider vorbei.
Katalin Pécsi zeichnete ein eindrückliches Bild von der Ambivalenz des heutigen jüdischen Lebens in Budapest. Einerseits blühe die jüdische Kultur in der Hauptstadt, die immer mehr Jüdinnen und Juden anziehe. Andererseits hege sie auf politischer Ebene keine Hoffnung für eine tolerante und demokratische Zukunft in Ungarn.
Von Sarah Scherzer
Geschichte studieren. Das heißt nicht nur Diskussionen mit Historikern führen und Museen besuchen, sondern beinhaltet eben auch die „harte Arbeit“ im Archiv.
Aus diesem Grund besuchen wir am Nachmittag das „Open-Society-Archiv“. Dieses Archiv befindet sich in einem großen, einladenden Gebäude in der Arany János utca 32 in Budapest. Dort werden audiovisuelle aber z.B. auch schriftliche Quellen aufbewahrt. Ebendiese schriftlichen Quellen befinden sich im Untergeschoss des Gebäudes. Die verschiedenen Papiere werden in quadratischen, grauen Boxen, die in hohen Regalen aufbewahrt werden, gelagert. Wir erfahren, dass sich dort zum Beispiel Interviews mit Zeitzeugen, die vom Osten in den Westen geflohen sind, aber auch gesammelte Informationen über bestimmte Personen befinden. Schwerpunkt liegt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also auf dem Kalten Krieg. Sowohl Radio Free Europe und Radio Liberty Forschungsberichte als auch Reportagen über die Bierproduktion in Slowenien sowie Zeitungsartikel über Roma in der ungarischen Gesellschaft lassen sich dort nachlesen. Besonders stolz ist man z.B. auf die von dem bekannten Journalisten David Rohde dem Archiv überlassenen Quellen über „Srebrenica“. Unter den Gegenständen befinden sich neben den gesammelten Aufzeichnungen auch Patronenhülsen, ein Taschentuch oder ein Kamm – alles Gegenstände, die in der Nähe der Massengräber gefunden wurden.
Wir verlassen das Archiv mit gemischten Gefühlen. Wir sind überwältigt von der Vielzahl der Quellen, die in diesen Räumlichkeiten lagern. Wir haben die Bilder der Öffnungen der Massengräber im Balkan vor Augen, die uns gezeigt wurden. Gleichzeitig übermannt uns die Müdigkeit. Die ganzen Eindrücke und Erlebnisse der letzten Tagen müssen verarbeitet werden. Die Bilder in unseren Köpfen müssen geordnet werden. Und wo könnte man dies besser tun als in einem der heimlichen Wahrzeichen der Stadt Budapest: den ungarischen Kaffeehäusern? Die Kaffeehaustradition ist für jeden Ungarn-Reisenden ein Muss und erinnert an die Zeiten der Donaumonarchie Österreich-Ungarn. Wir entschließen uns nicht irgendein Kaffeehaus aufzusuchen, sondern dem wohl bekanntesten ungarischen Café, dem „Café Gerbeaud“ einen Besuch abzustatten.
Schon beim Betreten der Räumlichkeiten verschlägt es uns fast den Atmen. Von der Decke hängen pompöse Kerzenleuchter, die im Licht funkeln und glitzern. Die einzelnen Räume werden von schweren rubinroten Vorhängen abgetrennt. Die Tische und Stühle sind aus dunklem Holz gefertigt. Wir fühlen uns, als wären wir mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist. Und tatsächlich: Dieses Café blickt auf eine lange Geschichte zurück. Es wurde 1858 von Henrik Kugler gegründet. Es war schnell eines der beliebtesten Treffpunkte der Stadt, da es sich durch „die beste Eiscreme in Pest“ auszeichnete. 1882 traf Kugler dann seinen späteren Geschäftspartner Emil Gerbeaud. Dessen außergewöhnlichem Talent war es zu verdanken, dass der Erfolg des „Café Gerbeaud“ stetig wuchs und wir auch noch über 150 Jahre später einen anstrengenden Tag in außergewöhnlichem Ambiente ausklingen lassen können.
Von Franca Fischer