Eine studentische Perspektive

In erster Generation zu studieren, kann sich auf unterschiedliche Weise äußern.

Viele Studierende aus nicht-akademischen Familien beschreiben eine ambivalente Erfahrung. Zum einen fühlen sich viele auf eine intellektuelle Art in der Universität sehr wohl, zum anderen ist da dieses seltsame Gefühl, man könnte “auffliegen”: Eigentlich gehöre man ja nicht wirklich hierher, und alle anderen wissen das auch. Alle können es sehen und alle können es hören. Und gleichzeitig bewegt man sich auch in einer selbst auferlegten Unsichtbarkeit. Man soll oder darf nicht gesehen werden, man darf nicht auffallen.

Das erste Thema, das viele Studierende der ersten Generation in Bezug auf ihre Erfahrung nennen, ist Geld. Geld spielt eine bedeutende Rolle darin, ob eine Person studieren kann oder nicht. Viele von uns sind mit permanenten finanziellen Sorgen beschäftigt. Ein nicht zu unterschätzender Teil unserer Zeit und Kraft (die wir lieber in unser Studium stecken würden) wenden wir für Anträge, Ämter und Jobs auf. Einige berichten von der Angst vor dem Bafög-Amt und der Scham, den eigenen Eltern für wichtige Unterlagen hinterherrennen zu müssen. Dies ist besonders schwierig bei einem schlechten Verhältnis zu den Eltern, die einem wortwörtlich einen Strich durch die Rechnung machen können. Selbst wenn man trotz Informationsmangel zur Studienfinanzierung das Privileg eines Stipendiums genießt: Jegliche finanzielle Unterstützung ist daran gekoppelt, in der Regelstudienzeit abzuschließen. Diese Erwartung und eine allgemeine Leistungslogik führen zu einem sehr angespannten Verhältnis zum eigenen Studium. Die Freiheiten und Leichtigkeiten, von denen viele Studierende und Alumni schwärmen, scheint nur finanziell besser situierten Personen vorbehalten. Auch die Möglichkeit, (unbezahlte) Praktika für Berufseinstiegschancen wahrzunehmen, ist uns durch eine prekäre finanzielle Lage (und einen Mangel an Kontakten) häufig verwehrt. In der Lohnarbeit sieht es nicht besser aus: Vielen jobben in der Gastro und im Einzelhandel, um über die Runden zu kommen. Irgendwann scheint es unmöglich, die Branche zu wechseln. Viele von uns können es sich schlichtweg nicht leisten, “picky” zu sein: Man nimmt, was man kriegt. Diese Prekarität nimmt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Uni Raum ein. Seminare oder Vorlesungen zu schwänzen oder die Eigenarbeit in der Bibliothek abzubrechen, um bei der Arbeit einspringen, sind keine Seltenheit. Angebote rund um Informationen zur Studienfinanzierung, transparente Stellenausschreibungen an der Uni, und die Möglichkeiten zum Austausch nennen viele als Positivbeispiele für das Angehen dieser Probleme.

Während die materiellen Erfahrungen im Austausch sehr ähnlich waren, sind die Erlebnisse in Bezug auf Zugehörigkeit etwas unterschiedlicher. Einige berichten, teilweise in der Universität eher überfordert gewesen zu sein, andere konnten sich inhaltlich schnell einleben. Doch egal wie aktiv oder passiv man sich in Seminaren und Vorlesungen zeigt: Viele beschreiben ständige Selbstzweifel. Jede Hausarbeit birgt das aufkommende Schamgefühl, dass die eigenen Texte nicht gut genug sind. Es scheint, dass Personen mit akademischem Hintergrund eine ganz andere Art von Selbstbewusstsein „zu Hause“ vermittelt bekommen haben. Für viele Akademiker:innenkinder wirkt es selbstverständlich, an der Universität zu sein, während sich viele in der Ersten Generation ständig hinterfragen.

Geprägt von einem meritokratischen Weltbild, das auch in der Schule vermittelt wird, sind viele Studierende zu einer Überkompensation verleitet. Um dasselbe zu erreichen wie andere Studierende, müssen wir sehr viel mehr leisten. Dabei stellt die finanzielle Lage eine Doppelbelastung dar. Die Vorstellung, dass jede:r des eigenen Glückes Schmied:in ist, mag manche auf den ersten Blick ermächtigen. In der Praxis führt es dazu, dass viele von uns unerreichbare Erwartungshaltungen an uns selbst setzen. Für viele wird es zum Ziel, Bestleistungen zu erbringen, um den Platz an der Universität zu “verdienen”, um so zu glänzen, dass keine Person einem den Hintergrund ansehen kann. Der Fokus rückt damit nur auf eine individuelle Leistung. Damit wird verkannt, dass der Unterschied zwischen Studierenden mit und ohne akademischen Hintergrund zum größten Teil auf Erbe basiert, sei es bzgl. Bildung, Kultur oder in monetärer Hinsicht. Um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, müssen diese Unverhältnismäßigkeiten aufgebrochen werden.

Im Austausch mit anderen Studierenden wird klar: Wir sind nicht allein. Wir gehören hierher. Und wir können die Strukturen gemeinsam angehen.

Dieser Beitrag setzt sich aus den Erfahrungen einiger Studierender der Freien Universität Berlin zusammen.

Max Rosenbaum

Wie würdest Du Deinen sozialen Hintergrund beschreiben?

Ich wuchs nur kurze Zeit in der DDR auf und bin dann als Flüchtlingskind in der BRD groß geworden. Nachdem meine Eltern (beide damals Schriftsetzer) und ich aus der DDR übergesiedelt und sie dafür längere Zeit inhaftiert waren, ließen sie sich scheiden. Ich wuchs dann bei meiner Mutter auf und hatte nur wenig Kontakt zu meinem Vater. Das Viertel, in dem ich aufwuchs, war ein multikulturelles Arbeiterviertel, in dem niemand große Sprünge machen konnte. Bei den meisten meiner Bekannten stand schon fest, dass sie den Weg ihrer Eltern übernehmen würden. Meine Mutter und ich waren dort aber auch diejenigen, die fast obdachlos wurden, weil es eben ständig an Geld fehlte. Dennoch hat meine Mutter meine Neugier am Lernen immer unterstützt und mir auch klar gemacht, dass, wenn meine Noten auch mal schlecht sein sollten, ich keine Angst davor haben sollte, sie ihr zu zeigen. Denn ich würde nicht für sie lernen, sondern für mich selbst. Somit wurde ich auch der erste in meiner Familie, der ein abgeschlossenes Studium vorweisen konnte.

Was waren für Dich besondere Schwierigkeiten, die mit Deinem Hintergrund zu tun hatten oder haben, und gibt es ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die diese gut veranschaulicht?

Mir fallen zwei Beispiele ein, die ein wenig aufeinander fußen und sehr prägend waren.

Am Ende der Orientierungsstufe erhielt ich das Prädikat „Geeignet für Hauptschule“. Nachdem ich dann das dritte Mal umzog, probierte ich es dennoch an einer Realschule, wo mir von Anfang an ganz klar gesagt wurde, dass es Kinder mit einer Hauptschulempfehlung hier so oder so nicht schaffen würden. Seltsamerweise hatte ich in allen Fächern durchschnittlich gute Leistung, bis auf die drei Hauptfächer Deutsch, Mathe und Englisch. Nach einem Jahr wechselte ich dann die Schule, weil ich dadurch nicht in die nächsthöhere Klasse kam, so wie es „prophezeit“ wurde.

Später wollte ich dann Abitur machen. Der Oberstufenleiter riet mir davon ab, schließlich kannte er meinen Werdegang. Er rief sogar meine Mutter auf Arbeit an, um ihr zu sagen, dass sie mir das doch bitte ausreden solle, weil meine Noten nicht so aussahen, als würde ich den erweiterten Realschulabschluss und überhaupt das Abitur schaffen.  Als ich dann mein Abitur in der Tasche hatte, kam er zu mir und entschuldigte sich bei mir, weil er wirklich gedacht hatte, dass ich es nicht schaffen würde. Das war zwar eine nette Geste, dennoch war es wahrscheinlich steiniger, als es hätte sein müssen. Das waren für mich nicht nur Schwierigkeiten, sondern ich hatte an mehreren Stellen aktiven und harten Gegenwind, den man teilweise nur extrem schwer aushalten konnte. Andererseits denke ich, wenn ich diesen harten Weg nicht gehabt hätte, wäre ich vielleicht nicht zur Philosophie gelangt.

Was hat Dir dabei besonders geholfen, diese oder andere Schwierigkeiten zu überwinden, und gibt es auch hier ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die dies gut veranschaulicht?

Ich denke, hierbei hat mir die Mischung aus zwei Denkweisen geholfen.

Einerseits eine gewisse Flexibilität, die ich aber erst in viel späteren Jahren aktiv wahrnahm, die aber sicher teilweise auch durch die ständigen Umzüge mitverursacht wurde. Andererseits das Mindset für Situationen, in denen niemand an dich glaubt und du ganz alleine auf weiter Flur stehst. So nach dem Motto, wenn andere behaupten: „Das schaffst du nie!“ und man antwortet: „Ich werde euch zeigen, wie ich es mache!“ Diese Kombination aus beiden Denkarten hat bei den Problemen und deren Bewältigung eine große Rolle gespielt, denn ich habe aktiv etwas unternommen, in einer fast ausweglosen Situation, und sie nicht einfach über mich hinwegrollen lassen.

Ein Beispiel dafür ist sicherlich meine Zeit nach dem Studium, wo ich sofort in Hartz IV rutschte. Beim Arbeitsamt wurde ich wehleidig angesehen, als ich offerierte, was ich studiert habe, und eine Dame sagte mir im geheimen Kämmerlein, dass ich so gut wie keinerlei Marktwert hätte, selbst wenn ich mit Magister mein Studium vollendet habe. Diesen Marktwert konnte ich mittlerweile verbessern, durch ständige Weiterbildungen in anderen Bereichen, aber auch eben durch meine Arbeit als Blogger. Es ist dann eben nicht der typische Weg, den man als Philosoph vielleicht einschlägt, aber es ist mein Weg und andere hätten das möglicherweise nicht so geschafft. Andererseits habe ich auch noch vor zu promovieren, und selbst die Suche nach einem Doktorvater bzw. einer Doktormutter gestaltete sich bisher schwierig; doch auch das werde ich sicherlich noch schaffen.

 Max Rosenbaum ist Philosophie Blogger auf unter www.denkatorium.de.