Elif Özmen

Ich bin in der schönen Hansestadt Bremen geboren und in einer kleinen, mit Büchern vollgestopften Mietwohnung aufgewachsen. Meinen soziokulturellen Hintergrund würde ich als bildungsverliebt beschreiben: Kultur, Bildung und die Künste gelten in meiner Familie als Eigenwert, aber auch als Kapital für die Persönlichkeitsentwicklung und Lebensführung. Felsefe (Philosophie) als Beruf stellt gewissermaßen die Vollendung dieses überaus bürgerlichen Ideals dar.

Quer dazu steht unsere Migrationsgeschichte und die damit verbundenen biographischen Zäsuren und persönlichen Herausforderungen. Ich bin ein sogenanntes Gastarbeiterkind; meine Eltern sind im Rahmen des Anwerbeabkommen mit der Türkei in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik migriert. Damit war der Traum vom Studium für beide erledigt und wurde anstandslos ersetzt durch einen anderen Traum vom guten Leben in Deutschland (und ab Mitte der 1990er Jahre auch als Deutsche).

Dass ich „die kleine Türkin“ sei, habe ich das erste Mal in der Grundschule vernommen, aber auch als Professorin unter Kollegen ist es mir schon passiert, dass sich jemand verwundert über meine Akzentlosigkeit oder den „komischen Namen“ zeigt. Ich versuche damit genauso hart, herzlich oder ignorant umzugehen, wie mit den Mühsalen und Widerständen, die die akademische Karriere, gerade auch in der Philosophie, für uns Frauen bereithält.

Eigentlich glaube ich, dass mein eher dickes Fell und mein Hang zu Widerrede, Trotz und freundlicher Beharrlichkeit auch meinem familiären Hintergrund geschuldet ist. Immerhin sind meine Eltern als junge Menschen in ein gänzlich fremdes Land aufgebrochen und dort allen Widrigkeiten zum Trotz heimisch geworden. Dazu gehören Mut, Selbstvertrauen und die Hoffnung, es schaffen zu können. Über dieses positive Erbe der sons and daughters of Gastarbeiter wird viel zu selten gesprochen.

In finanzieller Hinsicht war mir von Beginn meines Studiums über alle Qualifikationsstufen bis zur ersten Ruferteilung klar, dass ich keine längere Zeit ohne gesicherte Finanzierung durch Stipendien und akademische Stellen durchhalten könnte, einfach weil die finanziellen Polster und familiären Rücklagen fehlten. Das bedeutet für die ohnehin schon prekären Verhältnisse des Nachwuchses, die durch #IchBinHanna gegenwärtig viel Aufmerksamkeit erfahren, noch eine zusätzliche Beschwernis. Dass so wenige Nichtakademikerkinder promovieren und noch weniger den Sprung zur Professur schaffen, hat eben auch was damit zu tun, dass man sich Wissenschaft als Berufsziel leisten können muss.

Ich weiß nicht, ob diese persönliche Geschichte von Philosophie in erster Generation mit besonderen Einsichten oder Perspektiven einhergeht. Für die Wahl der Themen und Probleme, die mich philosophisch beschäftigen, spielt es eher keine Rolle. Im Umgang mit Studierenden und Mitarbeiter:innen glaube (hoffe) ich, dass ich aufmerksam und vor allem ansprechbar bin auch für Fragen und Probleme, die nicht fachwissenschaftlicher Natur sind, aber den Studienerfolg und das akademische Vorankommen gleichwohl beeinflussen können. Die Frage nach der Finanzierung ist zum Beispiel einerseits ziemlich persönlich, aber ich stelle sie bei auffällig klugen und motivierten Studierenden dann doch, um herauszufinden, ob und in welcher Weise eine Unterstützung ermöglicht werden kann. Mir scheint, dass ich auch etwas weniger empfänglich bin für die Autorität des professoralen Habitus, der einem ja immer noch regelmäßig begegnet in Fachbereichssitzungen, Berufungskommissionen oder Vortragsdiskussionen. Es hat eben auch Vorteile, wenn man diesem Gehabe, gerade weil man es nicht von Hause aus beherrscht, distanziert gegenüberstehen kann.

Elif Özmen ist Professorin für praktische Philosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Ein Gedanke zu „Elif Özmen“

  1. Sie schreiben: „Für die Wahl der Themen und Probleme, die mich philosophisch beschäftigen, spielt es eher keine Rolle“. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass eine Sozialisation mit diesem speziellen Migrationshintergrund (das Aufwachsen zwischen zwei verschiedenen Gedankenwelten) zwar keine einheitlichen (zwangsläufigen), aber doch, je nach individueller Ausprägung, mehr oder minder starke Auswirkungen auf die Wahl der Themen und Probleme, vor allem aber auch auf den Zugang zu (die Beschäftigung mit) diesen Themen und Problemen hat. Die interessante sich anschließende Frage lautet meines Erachtens: schlagen sich diese Auswirkungen dann auch tatsächlich im allgemeinen Diskurs nieder, der überwiegend von Teilnehmern ohne diesen speziellen Hintergrund gestaltet wird, oder erfolgt eine irgendwie geartete bewusste oder unbewusste Elimination potentieller Niederschläge?

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