Exkursion: Sommer im Sozialismus

– beigetragen von Caroline Wilke

Während der Zeit am Balaton konnten wir einem sehr interessanten Vortrag beiwohnen. Uns besuchte ein junger Doktorand aus Budapest, der seine Magisterarbeit über die „Informal relations among the workers“ in der Kadar-Ära geschrieben hatte und uns an seinen Ergebnissen teilhaben ließ. Die Verbindung zwischen Alltag und Dissens wurde hier sehr deutlich. Die Arbeiter nutzten u.a. Westmaterialien, um andere notwendige Gebrauchsgegenstände zu entwickeln. Bemerkenswert hierbei war, dass auch das Regime die Fähigkeiten der „worker“ für sich genutzt hat bzw. auf sie angewiesen war. Das sogenannte Fusi, also das Umfunktionieren von Gegenständen für andere notwendige Zwecke, war ein offenes Geheimnis.

Die anschließende Gruppendiskussion lud dazu ein, etwas grundsätzlicher über Dissens und Kriminalität in diesem Kontext zu sprechen. Wie könnte man diese Form des Dissens bewerten? Stabilisierte sie das System, indem sie Lücken füllte, oder ist sie als destabilisierender Faktor anzusehen, da sie Ausdruck von Not ist und in ihrer Gesamtheit ein System ins Wanken bringen kann? In diesem Zusammenhang betrachteten wir auch den Begriff der Kriminalität. Ab wann wird Dissens zur Kriminalität? Welchen Maßstab legt man dafür an? Ab wann ist es nicht mehr vertretbar?

Dies sind alles Fragen, die am Ende dazu einladen grundsätzlich über Recht und Unrecht, Legalität und Illegalität nachzudenken. Besonders in einem Staat, in dem das Unrecht der Legalität oft näher ist als der Illegalität, wird einem bewusst wie fließend diese Grenzen sind und welch unterschiedliche Ebenen eine Rolle spielen. Dieses Spannungsverhältnis findet sich auch im alltäglichen und privaten Leben der Menschen wieder. Wird die Bespitzelung an Bekannten legitimierbar, wenn sie zu Gunsten der Gesundheit des eigenen Kindes dient?

Ich empfinde es als wichtig sich diesen Fragen zu stellen, sich selbst zu hinterfragen und nicht in einer vermeintlichen Einfachheit zu verharren.

Dass die Grenzen oft fließend sind, merkten wir auch am Balaton. Ein Ort an dem BRD- und DDR-Bürger sich treffen konnten, gemeinsam den Urlaub verbrachten und ein Stück Freiheit genießen konnten. Neben einem vermeintlich idyllischem Urlaubsgefühl, war jedoch Angst und Misstrauen präsent. Das Gefühl, dass einen nichts mehr in seiner Heimat hält und man keinen anderen Ausweg sieht als zu fliehen, können wir heute nur schwer nachvollziehen.

Auf dieser Exkursion mit ihren verschiedenen Stationen sammelten wir viele Eindrücke und kamen den Ereignissen so nah, wie es nur ging.

Der Beitrag wurde am Montag, den 28. Juli 2014 um 16:26 Uhr von Julia Metger veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.