Das OSI wandelt sich derzeit fundamental. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß dieses Wandels wird erst allmählich deutlich; wann er aufhören und wie das Institut danach aussehen wird, ist noch nicht abzusehen. Dieser Artikel soll beschreiben, welche Dinge sich verändern, welche Folgen das hat und wie mensch eventuell dagegen vorgehen kann.
Was gerade passiert
Rückblick
Vielleicht ist es als Einstieg hilfreich, sich daran zu erinnern, wie am OSI noch vor wenigen Jahren studiert und geforscht wurde. Diese Rückschau soll nicht idealisierend daherkommen – viele unserer heutigen Probleme sind institutioneller Natur und haben sich lediglich verschärft, während andere ganz neu dazu gekommen sind. Dennoch: vor noch nicht allzu lange Zeit war das OSI geradezu ein Biotop kritischer Wissenschaft. Mit Elmar Altvater, Bodo Zeuner, Peter Grottian, Wolf-Dieter Narr, Brigitte Wehland-Rauschenbach und anderen war eine ganze Riege linker ProfessorInnen am OSI versammelt. Grottian und Narr verzichteten jeweils auf ein Drittel ihres Gehalts, um eine eigene Gender-Professur am Institut zu ermöglichen. Die personelle und räumliche Ausstattung des Instituts war deutlich besser: zu den zwölf festen ProfessorInnen-Stellen im Strukturplan kamen bis zu acht Überhangsstellen. Die Gebäude rund um das Institut (Ihnestraße 21, 22 und 26 , Garystraße 55) waren für Politikwissenschaft, Soziologie und das Osteuropa-Institut reserviert. Das OSI besaß eine eigenständige Bibliothek mit großem Leihbestand. Seminare und Vorlesungen waren damals wie heute überfüllt, aber Teilnahmebeschränkungen dennoch nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Das Gedränge in Hörsälen und Seminarräumen wurde nicht noch durch Anwesenheitszwang gefördert. Studieren konnte mensch auf Diplom oder Magister; beide Studienordnungen erlaubten es den Studierenden sehr viel mehr, ihren eigenen Interessen nachzugehen und gingen mehr in die Tiefe. Gleichzeitig wurde das OSI in ganz Deutschland ob der Breite seines politikwissenschaftlichen Angebots bewundert. Obwohl der institutionelle Rahmen in den Gremien natürlich der selbe war – Stichwort professorale Mehrheit – wurden Studierende und ihre Anliegen nicht mit an Feindseligkeit grenzender Verachtung behandelt.
Und Heute?
In den letzten Jahren haben sich fast alle dieser Punkte zum Negativen gewandelt. Das hängt zum Teil mit der personellen Struktur zusammen: die oben erwähnten Professoren sind sämtlich emeritiert. Als letzter verabschiedete sich Grottian, und mit ihm auch die Genderprofessur. In diesem Bereich gibt es bis heute keinen adäquaten Ersatz. Die Nachfolge der prominenten Linken am OSI wurde im Sinne einer neoliberalen Umstrukturierung des Instituts geregelt. Elmar Altvaters Lehrstuhl in Politische Ökonomie hat heute etwa Susanne Lütz inne, deren Einführungsvorlesung im unkritischen Vorbeten von Direktinvestitions-Statistiken und Jahreszahlen von GATT-/WTO-Verhandlungen besteht. Bodo Zeuners politische Erwachsenenbildung wurde sang- und klanglos begraben, inklusive des gesamten Lehrbereichs. Politische Erwachsenenbildung gibt es heute nur noch im Rahmen von ABV-Kursen und bezahlpflichtigen „weiterbildenden“ Masterprogrammen. Für Gerhard Göhler, der zuletzt die Professur für Ideengeschichte innehatte, wurde bis heute (Göhler emeritierte im Jahr 2005!) kein Ersatz gefunden. Stattdessen wurde die Stelle im Strukturplan zur Juniorprofessur abgewertet und Klaus Roth, der über Jahre hinweg als Gastprofessor die Ideengeschichte mit viel Engagement vertrat, geradezu über Nacht geschasst. Leider ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Viele ProfessorInnen, die die Umstrukturierung der Universität, den Bolognaprozess oder die Exzellenzinitiative kritisch sehen, stehen kurz vor ihrem altersbedingten Abschied, so etwa Hajo Funke, Siegfried Mielke oder Sabine Berghahn.
It’s not all the SFB’s fault!
Die NutznießerInnen dieser Entwicklung sind zum einen jene im Sonderforschungsbereich (SFB) 700 versammelten WissenschaftlerInnen, die in den letzten Jahren die Gremien am OSI und am Fachbereich dominierten und für zahlreiche der umstrittenen Entscheidungen verantwortlich zeichneten. Mittlerweile arbeitet die weit überwiegende Mehrheit der ProfessorInnen und Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen (WiMis) am OSI für den SFB; der SFB wirbt die meisten Drittmittel ein, hat beste Kontakte zum Präsidium und zum Dekanat und sämtliche Stellenbesetzungen der letzten Jahre wurden nicht zuletzt davon beeinflusst, ob die/der KandidatIn zum Profil des SFB passt. Aber nicht alles, was der kritischen Forschung und Lehre in den letzten Jahren geschadet hat, geht auf den SFB zurück oder nutzt diesem. Wichtigster „Profiteur“, wenn mensch das so nennen will, der Umstrukturierung ist denn auch vielmehr der abstrakte Prozess hin zu einem angepassten, „bequemen“ und wettbewerbstauglichen Institut. Das OSI verliert in immer rasanterer Geschwindigkeit jenen rebellischen Geist, für den es jahrzehntelang bekannt war. Das äußert sich mittlerweile schon in Äußerlichkeiten: Plakate studentischer Gruppen hängen im Schnitt eine halbe Stunde an den Bäumen rund um’s Institut. Die im Treppenhaus der Garystraße 55 aufgemalten Bilder und Parolen – die im Gegensatz zu vielen anderen Kritzeleien nicht unästethisch waren – wurden in den soeben vergangenen Semesterferien mit abgestuften Weißtönen übermalt. Der politischen Theorie, jener Bereich also, von dem wohl noch am ehesten erwartet wird, dass Kritik geübt wird, wird schrittweise der Garaus gemacht. Ein Beispiel am Rande: im vergangenen Wintersemester entfielen laut KVV-Nachtrag mehr als die Hälfte der Theorie-Hauptseminare. Und nach Ende der Vorlesungszeit im Februar wurde bekannt, dass Klaus Roth gekündigt wurde, und damit die Professur Ideengeschichte wieder mindestens bis zum Wintersemester 2009/10 komplett vakant ist. Mit Klaus Roth verlässt auch der letzte Marxist das OSI.
Ebenfalls Sorge bereiten sollte die in der letzten Sitzung am 22.4. des Fachbereichsrates (FBR) verabschiedete veränderte Förderung der Zuschüsse für Forschungsprojekte. Bis letzte Woche musste der Fachbereich 10 % eines Forschungsprojekts aus eigenen Mitteln beisteuern, nun sind es 20%. Es ist abzusehen, wozu diese Neuregelung an einem finanziell chronisch knapp ausgestattenen Fachbereich wie PolSoz führen wird: einer steigenden Abhängigkeit von Drittmitteln der Deutschen Forschungsgesellschaft und anderen externen Geldgebern – die fördern traditionell aber eher selten kritische, nicht unmittelbar verwertbare Wissenschaft. Dieser Beschluss reiht sich ein in die seit einiger Zeit zu beobachtende Verknappung bestimmter Güter am OSI bzw. am Fachbereich PolSoz allgemein. So klagen viele nicht SFB-assoziierte WissenschaftlerInnen über eine völlig unzureichende Ausstattung mit WiMi- und anderen Stellen. Von Personen, die am SFB mitarbeiten, kommen solche Klagen „seltsamerweise“ nie. Immer wieder müssen Arbeitsstellen – häufig auf Druck des Governance-/IB-Bereichs – ihre Büroräume verlassen und woanders hin umziehen; eine Bibliotheksmitarbeiterin bezeichnete dies im letzten Jahr als „Karussell“. Nach dem Umzug herrscht üblicherweise Platznot. Die Konkurrenz unter den einzelnen Arbeitsstellen nimmt zu, ein solidarisches Handeln gegen Kürzungspläne des Dekanats oder des Präsidiums bleibt aus.
Und die Studierenden?
Viele Studierende haben kaum noch Zeit, die Veränderungen am Institut wahrzunehmen, geschweige denn kritisch zu begleiten. Im Wintersemester 2008/09 wurde das Diplom „ausgesetzt“; noch ist offen, ob es bei der Zahl von Null Zulassungen zum Diplom bleibt. Viele derjenigen, die zur Zeit im Grundstudium sind, tun sich schwer damit, sich eine andere Form von Studieren überhaupt vorzustellen. Dass Anwesenheitslisten, Teilnahmescheinklausuren, platzzahlbeschränkte Seminare und andere Widerlichkeiten noch vor wenigen Jahren am OSI so absurd schienen, dass sie nicht einmal diskutiert werden brauchten, erscheint undenkbar. Der – an vielen anderen Stellen schon häufig beklagte – Leistungsdruck im Bachelorstudiengang macht es schwer, sich politisch zu engagieren. Wer nach sechs Semestern die Uni schon wieder verlassen soll, tut sich schwer damit, sich für vier Semester in ein akademisches Gremium wählen zu lassen. Wer einen der knappen Masterplätze ergattern will, überlegt es sich vermutlich zweimal, ob neben Lernen und Hausarbeiten schreiben noch Zeit für politisches Engagement bleibt. Dass die Studierenden nach sechs Semestern auch tatsächlich wieder weg sind, dafür wird am OSI viel getan. Der Prüfungsausschuss hat es sich mittlerweile sogar zur offiziellen Politik gemacht, Leistungen äußerst großzügig anzuerkennen – nicht etwas als Entgegenkommen gegenüber Studierenden, sondern (richtig!) damit diese nach Möglichkeit in der Regelstudienzeit bleiben.
Wenn die Studierenden dann doch mal aufbegehren, wird gedroht, getrickst und Notfalls sogar Gewalt angewendet. Die FBR-Sitzungen unter der Leitung „unserer“ ehemaligen Dekanin Barbara Riedmüller sind im Bezug auf die ersten beiden Dinge fast schon legendär. Mehrfach konnten sich Studierende nur mit großer zahlenmäßiger Präsenz und viel Hartnäckigkeit das Recht erkämpfen, bei Entscheidungen überhaupt angehört zu werden. Seinen Höhepunkt erreichte das „System Riedmüller“ Ende letzten Jahres: bei der entscheidenden Abstimmung im FBR über den neuen Strukturplan wurde der Sitzungssaal vom FU-eigenen Sicherheitsdienst bewacht, zwei Streifenwägen der Polizei hielten sich in der Nähe des OSI in Bereitschaft. Zwei Tage später versuchte besagter Sicherheitsdienst, eine SFB-kritische Veranstaltung in der Ihnestraße 21 mittels körperlicher Gewalt gegen BesucherInnen zu verhindern.
Wie weiter?
Eins ist sicher, ein OSI wie vor 10, 15 oder 20 Jahren wird es an der FU auf absehbare Zeit nicht wieder geben. Die VertreterInnen der herrschenden Linie am OSI sitzen noch ein Weilchen auf ihren Posten. Trotzdem ist es wichtig, nicht zu resignieren. Es gibt immer noch kritische Lehre am OSI, auch wenn mensch in bestimmten Bereichen mittlerweile lange danach suchen muss. ProfessorInnen und WiMis sind kein monolithischer Block mit uniformen Interessen. Zweckbündnisse in den Gremien sind durchaus möglich – die Zusammensetzung des neugewählten FBR lässt beispielsweise durchaus ein wenig hoffen. Viel wichtiger ist aber, dass wir als Studierende auch „außerparlamentarisch“ aktiv sind und unsere Interessen wieder und wieder nach außen vertreten. Das kann bedeuten, dass wir Anwesenheitslisten verschwinden lassen und uns nicht von Drohungen mit „mid-term Klausuren“ spalten lassen, das kann bedeuten, dass wir massenhaft bei Gremiensitzungen auftauchen und erzwingen, dass unsere Meinung gehört wird, das kann auch bedeuten, dass wir deutlich sagen wenn uns Inhalte oder Form der Lehre nicht passen… Und es kann bedeuten, dass wir irgendwann sagen „es reicht!, it’s enough!, ça suffit!, ¡ya basta!…“ und unser Studium und unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen.