Von Sebastian Aumüller
Örnebring, Henrik (2012): Clientelism, Elites, and the Media in Central and Eastern Europe. In: The International Journal of Press/Politics 17 (4), S. 497–515.
Camaj, Lindita (2016): Between a rock and a hard place: Consequences of media clientelism for journalist-politician power relationships in the Western Balkans, in: Global Media and Communication (2016), Vol. 12(3), S. 229-246.
Lilienthal, Volker (2017): Korruption im Journalismus? URL: http://www.message-online.com/korruption-imjournalismus/ Message, 27. Juli 2017.
1. Einführung: Klientelistische und korrumpierte Systeme in der CEE-Region
Dass Mediensysteme in Mittel- und Osteuropa anders strukturiert sind und daher auch völlig andere Funktionsweisen und Machtverhältnisse aufweisen als beispielsweise das Mediensystem in Deutschland, wurde schon an anderer Stelle in diesem Blog vorgestellt und diskutiert. Gerade in Bezug auf die Machtverhältnisse innerhalb der Mediensysteme haben sowohl Henrik Örnebring als auch Lindita Camaj im Rahmen von Studien versucht, durch Interviews mit verschiedenen Akteuren aus unterschiedlichen Mediensystemen Osteuropas klientelistische Strömungen aufzudecken. Das Interessante an den Herangehensweisen der beiden Forscher ist es, dass die interviewten Personen jeweils an verschiedenen Punkten auf der Klientelismus-Skala anzutreffen sind, die durch Klienten auf der einen und einflussreichen Personen auf der anderen Seite begrenzt wird. Doch obwohl beide Ansätze einen guten Beitrag zur Aufarbeitung klientelistischer Strömungen in der Region leisten und sich im ersten Moment scheinbar gut ergänzen, zeigt sich am Ende, dass sie der Bandbreite an klientelistischen Vorgängen nicht gerecht werden können. Zur Situation in Deutschland hat Volker Lilienthal von Message, der internationalen Zeitschrift für Journalismus, seine Einschätzungen preisgegeben, die hier ebenfalls kurz vorgestellt werden sollen.
2. Klientelismus in den Medien Mittel- und Osteuropas aus Sicht der Eliten
Der Anlass von Örnebrings Forschung war es, dass die ursprüngliche Definition von Klientelismus, die stark politikwissenschaftlich geprägt ist, den Problemen und Machtverhältnissen in der Region von Mittel und Osteuropa (CEE) nicht gerecht wird. Grundlage ist dabei unter anderem eine Definition von Kitschelt und Wilkinson, die Klientelismus als ein Verhältnis zwischen Politikern und Wählern verstanden haben, bei dem in erster Linie die Stimmen der WählerInnen gegen gewisse Gefälligkeiten ausgetaucht werden, die sowohl finanzieller, aber auch materieller oder emotionaler Natur sein können (vgl. 2007, S. 2). Nach Örnebring mangelt es dieser Definition an einer Einordnung der Rolle der Medien. Zwei zentrale Rollen, die Medien im Rahmen von klientelistischen Handlungen einnehmen, können sein:
- Von Parteien genutzte Ressource, um Wählerstimmen zu gewinnen. Somit müssen keine Wählerstimmen gekauft werden, da die WählerInnen über die Medien beeinflusst werden.
- Als ordnende Kraft, die explizit gegen den Klientelismus arbeitet, indem sie dessen Netzwerke offenlegt und hinterfragt.
Der erste Punkt muss hier mit der Einschränkung gesehen werden, dass PolitikerInnen teilweise durch die Kontrolle der Medien trotzdem Stimmen kaufen, da es in klientelistischen Systemen durchaus der Fall sein kann, dass man als PolitikerIn gleichzeitig hohe politische Ämter und die Geschäftsführung eines Medienkonzerns innehaben kann. Im zweiten Punkt begründet sich wiederum, warum Klientelismus in westlichen Industrienationen wie Deutschland – wenn überhaupt – nur sehr schwach ausgeprägt ist, da die Medien in der Regel einer schwachen politischen Kontrolle ausgesetzt sind, ganz im Gegensatz zur CEE-Region. Hinzu kommt, dass in Ländern dieser Region eine gewisse parteiische Polyvalenz für Medien gilt. Dies bedeutet, dass die Medien sehr opportunistisch agieren und eben nicht einen bestimmten Akteur über einen längeren Zeitraum unterstützen. Die Loyalität hängt hier sehr stark von Machtwechseln der Regierung ab. Durch die ständigen Machtwechsel und dem Opportunismus der Medien sind sie noch wichtigere Werkzeuge für Elite-zu-Eliten-Kommunikation (EEK) sowie für Elite-zu-Massen-Kommunikation (EMK).
2.1. Methode und Forschungsziel: Interviews der Elite
Mit seiner Studie wollte Örnebring nun Verbindungen zwischen Medien und Politik charakterisieren und typische Muster und Praktiken im Rahmen des Klientelismus zwischen Medien und Politik analysieren. Zu diesem Zweck führten er und sein Team insgesamt 272 Experteninterviews mit Mitgliedern der s. g. „Elite“ durch, die allesamt aus zehn Ländern kommen, deren System postkommunistisch geprägt ist und die nach 2004 in die EU eingetreten sind (Bulgarien, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei und Slowenien). Die „elitären“ InterviewpartnerInnen konnten insgesamt in 5 Kategorien eingeordnet werden:
- PolitikerInnen: Vor allem Mitglieder des jeweiligen Parlaments
- VertreterInnen aus der pol. Kommunikation: MitarbeiterInnen aus PR-Abteilungen
- MedienvertreterInnen: Medienbesitzer, Chefredakteure, etc.
- ExpertInnen: Politik- und WIrtschaftswissenschaftlerInnen
- Regulatoren: Z. B. RepräsentantInnen aus Presseausschüssen, etc.
Da man nun InterviewpartnerInnen aus verschiedenen Gruppen und Ländern zur Verfügung hatte, wurden nicht immer die gleichen Fragen gestellt, sondern auf die jeweilige Kategorie zugeschnittene Fragen erstellt. So wurden beispielsweise PoltikerInnen nach der Wahrnehmung von Klientelismus während politischer Prozesse gefragt, während MedienvertreterInnen nach Wohlwollender Berichterstattung für gewisse Parteien oder Personen in Folge einer Zahlung gefragt wurden.
2.2. Ergebnisse I: Die Medien-Politik-Beziehung auf dem Elitenlevel
Insgesamt konnte nach Auswertung der Interviews grundlegend festgestellt werden, dass es in allen repräsentierten Ländern und dem Urteil aller vertretenen Eliten-Gruppen nach klientelistische Netzwerke existieren. Dieses ist vor allem dort der Fall, wo immer sich Politik mit wirtschaftlichen Interessen überschneidet. Die Medien hingegen, werden im Rahmen dieser klientelistischen Netzwerke eher selten von den InterviewpartnerInnen genannt, was ihrem Charakter und ihrer Rolle innerhalb der Netzwerke aber nicht gerecht wird. Erstens sind auch Medien bzw. Medienhäuser oder Verlage wirtschaftliche Unternehmen, in denen Klientelismus beobachtet werden kann, und zweitens sind Medien gerade deshalb besonders mit diesen Netzwerken verbunden, da sie von Seiten der Elite genutzt werden, um vor allem in Wahlperioden EEK zu betreiben. Zudem wird eine klientelistische Verbindung zwischen Medien und Politik seltener auf Ebene der Journalisten selbst, als vielmehr auf Ebene der Medienbosse deutlich, die entweder eine direkte Verbindung zur Regierung haben oder aber selbst politisch tätig sind. Personifiziert werden kann diese klient. Verbindung beispielsweise durch Oligarchen bzw. Mogule.
2.3. Ergebnisse II: Mediale Erzeugnisse im Rahmen klient. Netzwerke
Nicht nur auf Ebene der Eliten, sondern auch auf Ebene der journalistischen Erzeugnisse von Medienhäusern und Verlagen lässt sich ein Einfluss der Politik auf die Medien feststellen. Dabei sind besonders zwei in Mittel- und Osteuropa sehr verbreitete Formate von großer Bedeutung, die sowohl bei EEK als auch bei EMK gebraucht werden:
- Advertorials: Ein scheinbar normaler Artikel, in dem Mal mehr und Mal weniger offensichtlich Werbung für ein Unternehmen, ein Projekt oder eine bestimmte Person gemacht wird, wobei es dabei eher um Positivismus und die Promotion geht als um kritische Inhalte. Dabei wird nicht kenntlich gemacht, dass es sich um einen bezahlten Artikel handelt, was jedoch in den meisten Fällen offensichtlich der Fall ist. Hierzulande würde man dieses Format wohl unter dem Schirm von Hidden Advertising oder Paid News betrachten. Hier möchte man vor allem die Massen durch positive Darstellungen erreichen, sodass hier vor allem EMK stattfindet.
- Kompromat: Ein Format, das vor allem in Russland genutzt wird, in dem es einzig darum geht, einen politischen Gegner zu kompromittieren. Dieses geschieht durch das gezielte Streuen von falschen Informationen oder Gerüchten, sodass diese im Gegensatz zu Advertorials eher von Negativismus geprägt sind. Das Format ist auch deshalb so tückisch, da es vor allem in Zeiten einer anstehenden Wahl entscheidenden Einfluss auf den Ausgang dieser haben. Da es sich oft wie angedeutet nur um Gerüchte handelt, sind die Informationen häufig nicht verifiziert, sodass man sie mit dem Phänomen der Fake-News und Misinformationen vergleichen kann. Kompromate sind sowohl EEK als auch EMK zuzuordnen, da sie auf der einen Seite andere Mitglieder der Elite versucht zu diskreditieren, auf der anderen Seite sollen aber die Massen dieses Format rezipieren, um beeinflusst zu werden.
Insgesamt liegt das Ziel solcher Formate offensichtlich darin, die Position der eigenen Person bzw. Partei innerhalb eines klient. Netzwerkes zu stärken und auch politische Ämter für politische Verbündete zu sichern (oder anders herum formuliert: Rivalen an der Bekleidung bestimmter Ämter zu hindern).
2.4. Fazit: Elite-zu-Massen-Kommunikation als wichtiger Faktor
Schlussendlich lässt sich für die CEE-Region festhalten, dass klientelistische Systeme und Netzwerke wohl in jedem der in Örnebrings Studie repräsentierten Länder zu finden sind, jedoch ist es niemals so, dass ganze Mediensysteme und damit auch der Journalismus gänzlich von diesem Klientelismus durchdrungen werden. Eine andere wichtige Erkenntnis ist, dass sich Medien durch ihre Handlungen selbst mitschuldig daran machen, dass klient. Handlungen und Prozesse stattfinden können wie etwa das Beispiel der Advertorials zeigt, bei dem die Journalisten selbst wählen können, ob sie diesen Artikel nun schreiben oder nicht, wobei diese Entscheidung dann eng an das geknüpft ist, was von Seiten des jeweiligen Geldgebers geboten wird. Investigativer Journalismus ist in der Region nur schwer möglich, solange sich Medien ständig der aktuellen Regierung unterordnen müssen und wie ein Fähnchen im Wind ihre eigenen „Ansichten“ und Arbeitsweisen anpassen müssen.
Letztendlich möchte Örnebring die eingangs kritisierte bzw. nicht als angemessen bezeichnete Definition von Klientelismus erweitern, die Medien bislang vor allem als Elite-zu-Massen-Kommunikationsmittels begriffen hat, was auch immer noch zutrifft. Seiner Ansicht nach müsse jedoch auch die Rolle der Medien als Elite-zu-Elite-Kommunikationsmittel begriffen werden, da diese Form der Kommunikation inzwischen einen ebenso wichtigen Teil eines Wahlkampfes ausmacht wie die Kommunikation mit den Wählern.
3. Klientelismus in Südosteuropa aus Sicht der Journalisten
Einen etwas anderen Ansatz wählte Lindita Camaj, die den Klientelismus-Prozess von der anderen Seite, also aus Sicht der JournalistInnen beleuchtete. Ihr Ziel war es vornehmlich, die Beziehung zwischen der politischen Elite und den JournalistInnen nachzuvollziehen, wobei der Fokus besonders auf der Nachrichtenakquise lag und wie diese durch klient. Verbindungen beeinflusst wird. Anders als Örnebring geht sie in ihrer Exposition erst einmal auf die Mediensysteme in der CEE-Region ein, die sie als Hybridsysteme charakterisiert, die zwar auf dem Papier als sozial verantwortungsvoll handeln, wobei aber dennoch stets der Einfluss der politischen Eliten zu spüren ist. Diese versuchen, die Medien einer Art paternalistischem System unterzuordnen und sehen JournalistInnen eher als kooperativ anstatt kritisch. Tatsächlich haben die Medien durch Reformen, Privatisierungen und das Aufkommen von Online-Plattformen augenscheinlich eine größere Unabhängigkeit, jedoch entstanden so neue Abhängigkeiten von Akteuren der Elite. Auch die Interaktionen zwischen JournalistInnen und PolitikerInnen in Mittel- und Osteuropa wurde zu einer Hybridform der politischen Kommunikation, die von einer Two-Way statt von einer One-Way-Kommunikation geprägt ist. Mit Hybridform ist in diesem Fall gemeint, dass JournalistInnen auf der eine Seite zwar autonom arbeiten können und so auch mit investigativem Journalismus ihre demokratische Funktion wahrnehmen können, auf der anderen Seite sind die Medienmärkte extrem von Kommerzialisierung und Tabloidisierung geprägt und auch die Wirtschaftskrise trug ihren Teil dazu bei, dass investigativer Journalismus bedeutungstechnisch in den Hintergrund rückte. Dennoch sollte diese Rolle des investigativen Journalismus nicht unterschätzt werden, denn auch er kann – wie auch der Boulevardjournalismus – von der Elite genutzt werden, um bestimmte Informationen zu beschaffen und andere Personen zu diskreditieren (siehe Kompromat).
3.1. Methode: Interviews von südosteuropäischen JournalistInnen
Wie bereits Örnebring, so hat auch Camaj Interviews geführt. Nun jedoch nicht mit Mitgliedern der Elite, sondern mit insgesamt 60 JournalistInnen aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo, wobei diese sowohl von privaten (also eher regierungskritischen) als auch von öffentlich-rechtlichen (also eher regierungsfreundlichen) Medienhäusern kamen. Der Fokus lag bei der Befragung auf drei übergeordneten Themen:
- Ihre persönliche Einschätzung ihres persönlichen und des Verhältnisses ihres Arbeitgebers mit der Regierung.
- Einschätzung ihrer eigenen Unabhängigkeit im Prozess der Nachrichtenauswahl.
- Erfahrungen während der Recherche zu Informationen, die Regierungssituationen betreffen.
Die drei Ländern wurden unter anderem deshalb ausgewählt, da sie alle im Rahmen des Modells von Hallin und Mancini in die Kategorie der mediterranen/polarisierend pluralistischen Mediensysteme einzuordnen sind und vergangene Studien (vgl. Coman 2010, Gross 2008) zeigten, dass Balkanländer einige der härtesten Fälle repräsentierten, was instrumentalisierte Medien angeht.
3.2. Ergebnisse: Das Machtverhältnis von Journalisten und Politikern
Die Auswertung der Interviews ergab grundlegend, dass das Verhältnis zwischen JournalistInnen und der politischen Führung sich in den letzten Jahren enorm verbessert hat, was weitestgehend auf die nun vorhandene Two-Way-Kommunikation zurückzuführen, bei der ein beidseitiger Austausch von Informationen stattfinden kann. Dieses gilt allerdings nur für Montenegro und Albanien, was bei Ersterem mit dem Bestreben, früher oder später in die EU einzutreten, erklärt werden kann und im Falle Albaniens damit, dass der Premierminister dafür sorgte, dass Mitglieder des Kabinetts JournalistInnen nicht mehr ohne Weiteres verklagen dürfen.
Dennoch, und das ist die zweite Erkenntnis aus den Interviews, gibt es häufiger Probleme bei der Beschaffung von Information, was vor allem auf die zunehmende Bürokratisierung von Informationen bzw. dem Zugang zu diesen zurückzuführen ist. Als Beispiel führen einige JournalistInnen an, dass man früher noch bei der entsprechenden Stelle anrufen konnte und man auf jeden Fall sicher sein konnte, dort sofort eine Information zu erhalten. Heute muss man sich wiederum an die PR-Abteilungen von Parteien und PolitikerInnen wenden und dort erhält man in den seltensten Fällen umgehend eine Antwort. Ein weiterer Faktor, der bei der Dauer der Informationsweitergabe eine Rolle spielt, ist die Art der Anfrage: Wenn es z. B. um Finanzen geht, dauert eine Antwort länger, was darauf zurückzuführen ist, dass Finanzen im Rahmen des Klientelismus ein entscheidender Faktor sind und man sich dort ungern in die Karten schauen lässt geschweige denn dabei erwischt werden, gewisse Zahlungen zum eigenen Vorteil zu tätigen. Eine gute Chance darauf, schneller die nötigen Informationen zu bekommen, hat man allerdings dann, wenn man bereits eine angefangene Story hat.
Die letzte zentrale Erkenntnis Camajs ist, dass Angriffe auf investigative Journalisten, die zu großen Teilen auch regierungskritisch agieren, in letzter Zeit deutlich zurückgegangen sind. Dennoch kommt es natürlich vor, dass JournalistInnen vor der Veröffentlichung eines Artikels oder gar schon während des Rechercheprozesses von ranghöheren MitarbeiterInnen oder direkt von der politischen Elite dazu gedrängt, einen Artikel nicht zu veröffentlichen, da es sonst persönliche Konsequenzen hätte. Mehrere interviewte JournalistInnen bestätigten dieses Vorgehen, indem sie auf Situationen verwiesen, in denen sie Artikel nicht veröffentlichen durften, da ihre Chefs einen Anruf von PolitikerInnen erhielten, denen eine Veröffentlichung des jeweiligen Artikels schaden würde.
3.3. Fazit: JournalistInnen als schwächstes Glied im Spektrum des Klientelismus‘
Die in 3.2. beschriebenen Zustände führen insgesamt zu zweierlei Konsequenzen: Zum einen beschließen talentierte investigative Journalisten aus der Branche auszusteigen, da die Arbeitsbedingungen ihren Werten und Vorstellungen von Journalismus nicht mehr gerecht werden. Zum anderen werden sie durch jüngere, meist sehr unerfahrene JournalistInnen ersetzt, denen schlicht die Erfahrung fehlt, was sie auch angreifbarer für Druck von elitären Akteuren macht. Hier entsteht also ein kleiner Teufelskreis, dessen hauptsächlicher Profiteur die Politik ist, die weitestgehend unbehelligt im klient. System agieren kann.
Insgesamt konnte Camaj also mit ihrer Studien Auswirkungen von klient. Verbindungen zwischen Medieneliten und der politischen Elite auf die Autonomie von JournalistInnen aufdecken. JournalistInnen müssen sich demnach als letztes und schwächstes Glied der Kette dem klient. System unterordnen, während die Eliten aus Politik und Medien zusammen die Medienagenda bestimmen. So bleibt für die JournalistInnen meist nur die Rolle als Werkzeug jener Eliten, mit dem politische Gegner bekämpft werden können. Als Projekte, die diesem Prozess entgegenwirken, können beispielsweise „BIVOL“ in Bulgarien oder das „Rise Project“ aus Rumänien (mehr dazu an anderer Stelle dieses Blogs), die – häufig auch in Zusammenarbeit – investigative und unabhängige Recherchen betreiben und so effektiv Machtmissbräuche offenlegen.
4. Korruption im Journalismus? Eine Einschätzung zur Situation in Deutschland
Obwohl Klientelismus und Korruption als Teil dessen vermeintlich eher Teil von polarisierend pluralistischen Mediensystemen sind, so ist auch der Journalismus in Deutschland nicht ganz geschützt vor klientelistischen Strukturen bzw. Vorgängen. Der Herausgeber der Zeitschrift „Message“, Volker Lilienthal, versuchte im Rahmen einer Rede in der Handelskammer Hamburg auf Einladung von Transparency Deutschland einen Problemaufriss der Situation in Deutschland, wobei er nicht nur Probleme aufzeigte, sondern auch Lösungsvorschläge lieferte.
Gleich zu Beginn verweist er darauf, dass man in Deutschland mit der Vorstellung von Korruption im Journalismus vor allem den Begriff der „Lügenpresse“ in Verbindung bringe, was jedoch nicht ganz richtig sei. Der Vorwurf derjenigen, die diesen Begriff verwenden, lautet oftmals, dass die Presse von den Eliten des Landes bezahlt und entsprechend gesteuert werde, womit einerseits der Elitenbegriff wieder aufgegriffen wäre und andererseits Zustände wie in der CEE-Region beschrieben werden. Jedoch dürfe man nach Lilienthal nicht so leicht pauschalisieren und dem Journalismus generell Korruption unterstellen, da die wenigsten JournalistInnen oder MedienarbeiterInnen in Deutschland korrupt seien. Gleichzeitig relativiert er, dass sich natürlicherweise einzelne JournalistInnen oder Medienbetriebe auf Grund eigener Interessen und marktgetriebener Zwänge offen für korrupte Handlungen zeigen bzw. sich generell für diese öffnen. Als Beispiele nennt er hier den Automobil- und Modejournalismus als anfällige Themenbereiche, aber auch Medizin- und Pharma- sowie der Sportjournalismus sind extrem anfällige Felder, wobei er letzteres anhand eines Beispiels von Jürgen Klinsmann untermauert: Dieser sprach einst von „Informationskorruption“, womit die Gewährung von exklusiven Informationen im Gegenzug für gewogene Berichterstattung gemeint ist. Bleibt die Gewährleistung dieser Informationen aus, so schwenkt die Agenda des Sportjournalismus‘ sehr schnell um.
Wirft man abseits der Journalismusgenres einen Blick auf die redaktionellen Vorgänge, so kann beispielsweise auch der Leistungsaustausch von Anzeige gegen redaktionelle Berichterstattung als Korruption angesehen werden, da es gegen den Pressekodex verstößt. Aus diesem Grund sind die bereits zuvor genannten Advertorials auch äußerst kritisch zu sehen, da diese eine Mischform aus beidem sind und nicht entsprechend als Werbung gekennzeichnet werden. Im Kontext des Austausches von Anzeigen gegen Artikel sieht Lilienthal vor allem kleinere Städte bzw. Landkreise und den dort ansässigen Redaktionen anfälliger für Korruption. Ihr Vertrieb wird teilweise durch Anzeigen von örtlichen Unternehmen finanziert, sodass diese Unternehmen mehr Macht auf die Redaktionen ausüben können.
Auch neuere Medienentwicklungen wie etwa soziale Netzwerke und die immer einfacher werdende Möglichkeit, User Generated Content zu entwickeln, kritisiert er. Hier entsteht ein Hybrid, der Werbung und Scheinjournalismus miteinander verknüpft, wobei hier als Stichworte „Native Advertising“, „Sponsored Post“ und „Paid Content“ genannt werden, bei denen es sich um eine Simulation von Journalismus handelt, die kommerzielle Botschaften als vermeintlich informierende Inhalte verpackt. Für Lilienthal fallen diese Formate jedoch nicht unter den Deckmantel der Korruption, da es ja in den meisten Fällen ordnungsgemäß gekennzeichnet wird. Jedoch wird die Wahrnehmung des Journalismus beim Publikum dadurch korrumpiert, was sich zum Beispiel dadurch äußert, dass laut einer Standford Studie 80% der Schüler davon ausgehen, dass es sich bei einem Sponsored Post um eine echte Nachrichtengeschichte handle. Nicht nur, dass das Ergebnis eine verzerrte Wahrnehmung beim jungen Publikum offenlegt, auch ein erheblicher Mangel an Medienkompetenz wird hier offensichtlich.
Schlussendlich liefert Lilienthal einige Punkte, die prophylaktisch zu Gunsten eines korruptionsfreien Journalismus in Betracht gezogen werden können:
- Bessere finanzielle und personelle Infrastruktur für Redaktionen
- Angemessene Vergütung, auch von freien Autoren
- Keine betriebliche Ausgliederung von Redaktionen
- Tolerierung von Umsatzeinbußen, z. B. bei Anzeigenboykott von einer aufgeklärten Geschäftsleitung
- Nebentätigkeiten müssen genehmigt werden und es dürfen keine Interessenskonflikte entstehen
- Klare räumliche und inhaltliche Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung
- Höhere interne Transparenz
- Klare Richtlinien für jede Redaktion
5. Limitation und Kritik der Ansätze
Wie bereits eingangs angedeutet, scheinen die Ansätze von Örnebring und Camaj in Kombination einen guten Überblick über den Themenkomplex „Klientelismus in Mittel- und Osteuropa“ zu geben. Das ist jedoch nur stark eingeschränkt richtig: Zwar baut Camaj in Teilen sogar auf Örnebrings Studie auf, jedoch sind sie nur bedingt geeignet, um einen allumfassenden Blick auf die Thematik zu werfen.
Das Problem bei Örnebring begründet sich vornehmlich darin, dass er Klientelismus nur von Seiten der Elite aus untersucht hat, also jener Seite, die von klientelistischen Prozessen besonders durch Steigerung der eigenen Macht profitiert. Natürlich kann man ihm das nicht vorwerfen, schließlich war es sein Vorhaben, eben genau diese Seite zu untersuchen, allerdings limitiert es die Fähigkeit, klientelistische Vorgänge in der CEE-Region objektiv einzuordnen. Auch die Informationen selbst, die man durch die Interviews gewinnen konnte, sind – wie auch Örnebring selbst schon feststellte – mit Vorsicht zu genießen, da Mitglieder der Elite kaum offen über klientelistische Prozesse sprechen, an denen sie z. B. selbst beteiligt gewesen wären. Trotz der Vorsicht bei der Interpretation der Aussagen liefert Örnebrings Forschung dennoch einen brauchbaren Überblick über die Tendenzen, die sich vor allem von Seiten der Elite in der CEE-Region bilden können.
Betrachtet man nun die Forschung von Lindita Camaj im Vergleich, so wird zwar die Perspektive der Journalisten eingenommen, also genau die entgegengesetzte Sichtweise zu der Elite, jedoch ist auch dieses im Kontext des Klientelismus in Mittel- und Osteuropa kritisch zu sehen. Ihre InterviewpartnerInnen kommen aus Montenegro, Albanien und dem Kosovo, die allesamt Länder der Balkanregion sind, weshalb man sie, auch im Kontext dieses Blogs, nur bedingt zu den Staaten der CEE-Region zu zählen kann. Hinzu kommt – wiederum im Quervergleich mit Örnebring – dass die InterviewpartnerInnen hier aus völlig anderen Ländern kommen, sodass es schwer ist, die Machtverhältnisse im Rahmen der klientelistischen Systeme richtig einzuordnen, da man aus den betreffenden Ländern keine Vergleichsmöglichkeiten von Mitgliedern der Elite hat. Das lässt sich im Übrigen genauso auf Örnebrings Eliteinterviews ummünzen, denen es ebenfalls an einem Gegenpol (Meinungen von JournalistInnen aus den entsprechenden Ländern) mangelt.
Volker Lilienthals Ansichten zur Korruption im deutschen Journalismus muss man kontextgerecht einordnen. Es handelt sich um eine Rede, bei der es anders als in geschriebenen Texten schwer möglich ist, explizit auf Quellen einzugehen und diese in Kontext zu eigenen Einschätzungen zu setzen. Auch wenn es nur ein kurzer Eindruck ist, den man durch seine Rede bekommt, liefert er wichtige Punkte, die zum Verständnis um die Problematik von Korruption und klientelistischen Vorgängen in deutschen Medien beitragen. Er stellt besonders anfällige Journalismusgenres heraus, die durch ihre Strukturen und Vorgehensweisen eine besonders große Anfälligkeit für Korruption bieten. Zudem verweist er auf die Probleme, mit denen kleinere Lokalredaktionen zu kämpfen haben und liefert gleichzeitig Ansätze zur Verbesserung der allgemeinen Lage. Doch auch wenn seine Lösungsvorschläge erst einmal per se richtig und wichtig sind, so muss dennoch hinterfragt werden, wie man diese erreichen kann. Eine Verbesserung der Infrastruktur kann nur über zusätzliche finanzielle Mittel erreicht werden und wo sollen diese herkommen, ohne auch nur den leisesten Verdacht von Korruption zu wecken? Wie stellt man sicher bzw. wie kann man garantieren, dass einzelne JournalistInnen nicht einem korrupten Angebot verfallen?
Insgesamt bleiben Klientelismus und Korruption Probleme, mit denen Medien und MedienarbeiterInnen überall auf der Welt zu kämpfen haben. Sicherlich manifestieren sich diese Probleme mancherorts offensichtlicher als anderswo, was auch an unterschiedlichen politischen Strukturen und Mediensystemen liegt, jedoch kann nie komplett ausgeschlossen werden, dass klientelistische Vorgänge vonstatten gehen werden. Die hier dargelegten Studien und Ansichten liefern zumindest einen kleinen Einblick in die Problematik und liefern gute Forschungsansätze, decken jedoch lange nicht alle Aspekte der Thematik ab.
6. Literatur
Camaj, Lindita (2016): Between a rock and a hard place: Consequences of media clientelism for journalist-politician power relationships in the Western Balkans, in: Global Media and Communication (2016), Vol. 12(3), S. 229-246.
Coman I (2010): Journalistic elites in post-communist Romania: From the heroes of the revolution to the media moguls. Journalism Studies 11(4), S. 587–595.
Gross P (2008): Back to the (uncertain) future: Politics, business and the media in Romania. Global Media Journal 1(4), S. 51–68.
Kitschelt, H. & Wilkinson, S. (2007): “Citizen-Politician Linkages: An Introduction.”, in: Patrons, Clients, and Policies, edited by Herbert Kitschelt and Steven I. Wilkinson, Cambridge, UK: Cambridge University Press. S. 1-49.
Lilienthal, Volker (2017): Korruption im Journalismus? URL: http://www.message-online.com/korruption-imjournalismus/ (Letzter Abruf: 21.03.2019)
Örnebring, Henrik (2012): Clientelism, Elites, and the Media in Central and Eastern Europe. In: The International Journal of Press/Politics 17 (4), S. 497–515.