Politikberatung

Merkmale erfolgreicher wissenschaftlicher Politikberatung

Auch wenn die Dienste wissenschaftlicher Politikberatung in den meisten Fällen von der Politik selbst bestellt werden, gibt es weder eine Garantie, dass die wissenschaftlichen Handlungsempfehlungen auch tatsächlich Anwendung finden und Beratungsergebnisse umgesetzt werden (Renn 2017: 193). Warum ist das so? Und unter welchen Bedingungen hat wissenschaftliche Politikberatung die größten Chancen in politische Entscheidungen miteinbezogen zu werden? 

Schröder (2020) benennt drei Modi der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen und Politiker:inenn

  • Politikzentrierte Beratungsprozess
  • Wissenschaftszentrierte Beratungsprozess
  • Diskursive Beratungsprozess

Läuft die wissenschaftliche Politikberatung politikzentriert ab, so treten die Wissenschaftler:innen lediglich als Dienstleister auf, da die Politik die Agenda formuliert und nur solche Beratungsergebnisse übernimmt, die ihre Meinung bestätigen (Schröder 2020: 159). Dadurch, dass die Politiker:innen durch den demokratischen Prozess legitimiert sind, obliegt ihnen zweifelsfrei die Gestaltungsmacht (Schröder 2020: 159).

Die wissenschaftszentrierte Politikberatung verläuft gewissermaßen in gegensätzlicher Richtung. Die Wissenschaft formuliert selbst die Aufgabenstellung, die sie für politisch relevant hält und versucht diese an die Politik heranzutragen (Schröder 2020: 159). Da sich Wissenschaftler:innen nach Schröder (2020: 159) durch den wissenschaftlichen Ansatz legitimiert sähen, sei diese Form der wissenschaftlichen Politikberatung besonders für die Früherkennung politischer Probleme und Krisenprävention von Themen, die die Politik vernachlässigt, wichtig. Dieser Ansatz scheitert aber oft am Desinteresse der Politik von der eignen Agenda abzuweichen (Schröder 2020: 159).

Nachdem der politikzentrierte und der wissenschaftszentrierte Ansatz keine großen Erfolgschancen für die Übernahme wissenschaftlich fundierter Handlungsempfehlungen versprechen, ist es vor allem der diskursive Beratungsprozess, der die fruchtbarste Politikberatung produziert, da er als Lernprozess für beide Parteien eingestuft wird. Das bedeutet, dass Agenda und Fragen gemeinsam von Wissenschaftler:innen und politischen Entscheider:innen entwickelt werden und Kritik gegenseitig respektiert und für die Weiterentwicklung von Frageansätzen aufgenommen wird (Schröder : 159). 

Der aktive Austausch beider Parteien ist auch vor dem Hintergrund der Schwierigkeit von Konsensbildung innerhalb von Expertengremien höchst relevant. In der Regel tritt in Expertengremien das „Expertendilemma“ auf, was im Groben widersprüchliche Meinungsurteile in Bezug auf ein Problem unter Gutachtern beschreibt (Wassermann 2014: 18). Dass es zu vieldeutigen Handlungsempfehlungen kommt, liegt an den „Problemen der Unsicherheit und Ambivalenz“ (Renn und Klinke In Renn 2017:  191). Wissenschaftliche Politikberater:innen sind keine Hellseher:innen, weshalb sich die Reichweite ihrer Arbeit auf das Aufzeigen von Folgenpotentialen beschränkt ist (Renn 2017:191). Die Ungewissheit von Prognosen ist vor allem durch komplexe, nicht überschaubare Ursache-Wirkungskettenzufallsgesteuerte Prozesse in Natur, Wirtschaft und Gesellschaft und die Unmöglichkeit wissenschaftlichen und technischen Wandel sowie Wandel des gesellschaftlichen Zeitgeists und Wertewandel vorherzusehen, bedingt (Renn 2017: 191). Trotz der Unvorhersehbarkeit der Zukunft und der Pluralität von Lösungsansätzen „wird sich auf Dauer das durchsetzen, was Akteure in gemeinsamer Gestaltungsarbeit als realistisch, wünschenswert und machbar wahrnehmen“ (Renn 2017:192). Die aktive Einbindung von politischen Entscheider:innen in den Beratungsprozess ermöglicht es also, deren Intentionen in den Urteilprozess miteinfließen zu lassen und durch die Zusammenarbeit das Eintreten der gewünschten Zukunft wahrscheinlicher zu machen (Renn 2017: 192). Denn es gilt: Zukunft geschieht nicht nur, sondern wird weitgehend auch gemacht (Renn 2017: 192). 

Als einen weiteren Faktor, der die Aufnahme der wissenschaftlichen Urteile in den politischen Prozess begünstig, ist die Anschlussfähigkeit (Renn 2017:193). Gemeint ist „die Überführung der Ergebnisse in eine politikwirksame Form“ (Renn 2017:193), damit die wissenschaftlichen Empfehlungen im politischen System Anwendung finden können.

Zuletzt wird noch Legitimation als Merkmal erfolgreicher wissenschaftlicher Politikberatung genannt. Wissenschaftliche Politikberatung ist dann legitim, wenn „die dort formulierten Empfehlungen auch für Außenstehende nachvollziehbar sind und als kompetent, effizient und fair angesehen werden, so dass sie durch die Kraft der Argumente und durch den Einbezug politischer Vorgaben (legale Normen und politische Präferenzen) Verbindlichkeit beanspruchen können“ (Nollert, Weingart und Lentsch In Renn 2017: 195). 

Erneut zeigt sich, dass erfolgreiche wissenschaftliche Politikberatung maßgeblich von der Kommunikation zwischen Wissenschaftler:innen und Politiker:innen abhängt sowie von der Kommunikation mit der Öffentlichkeit abhängt (Glasmacher 2008: 463). Damit ist der diskursive Beratungsprozess ist der vielversprechendste, dennoch ist diese Form extrem selten. Ein Beispiel für eine erfolgreiche wissenschaftliche Politikberatung auf Basis eines diskursiven Beratungsprozesses ist das Szenarioprojekt „Russland 2012“ des Auswärtigen Amtes und der Forschungsgruppe Russland/GUS (SWP) bei dem (vgl. Schröder 2020: 153):

  • es eine ergebnisoffene Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Beamten gab 
  • der Arbeitsgruppe ausreichend Zeit für die Analyse zugestanden wurde (was unüblich für das, in der Politik, übliche Reagieren auf tagesaktuelle Entwicklungen ist)
  • die Ergebnisse des Projekts in ein politisches Konzept aufgenommen wurden
  • dem Stab, aufgrund der Bereitschaft des Außenministers, genügend Spielraum gegeben war
  • der Leiter des Planungsstabes eine systematische und vorausschauende Analyse unterstütze

Zusammenfassend gilt also, „der Beratungsprozess ist im Idealfall eine Gemeinschaftsaufgabe von Wissenschaft und Politik“ (Glasmacher 2008: 459).

Faktoren, die im Zusammenspiel erfolgreiche wissenschaftliche Politikberatung begünstigen können sein: 

  • Qualifizierte Expert:innen
  • Ausreichend Zeit für die eine systematische, vorausschauende Analyse
  • Ergebnisoffene, gleichberechtigte, vertrauensvolle Diskussion 
  • Offenheit von Seiten der Politik
  • Konsens über konkurrierende Wahrheitsansprüche
  • Anschlussfähigkeit 
  • Legitimation

Referenzen

Kurth, R., & Glasmacher, S. (2008). Quality of scientific advice to politics. Lecture at the Berlin-Brandenburg Academy of Science and Humanities: Akademievorlesung bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 51(4), 458–466.

Renn O. (2017) Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik. In: Bonfadelli H., Fähnrich B., Lüthje C., Milde J., Rhomberg M., Schäfer M. (eds) Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Springer VS, Wiesbaden. 

Schröder, H.-H. (2020). Politikberatung und ihre Grenzen: Lehren aus drei Jahrzehnten Osteuropaforschung. Lessons from three decades of research into Eastern Europe. Osteuropa70(1–2), 141.

Wassermann, S. (2014) Expertendilemma. In Methoden der Experten- und Stakeholdereinbindung in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 15–32.

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