Ich bin in Altenberge/Westfalen nahe bei Münster geboren, einzelnen Philosoph*innen ist diese Kleinstadt geläufig, da Hans Blumenberg während seines letzten Lebensabschnitts dort lebte. In der Nähe bin ich in einer sehr ländlichen Gegend im Münsterland als mittleres Kind mit älterem und jüngerem Bruder aufgewachsen und meine Eltern haben während meiner gesamten Kindheit eine Gärtnerei mit mehreren Angestellten betrieben. Neben dem Schulbesuch war der Alltag von der Mithilfe im elterlichen Unternehmen gekennzeichnet, die harte, körperliche Arbeit darstellte, verbunden mit dem Bewusstsein, die materiellen Lebensgrundlagen sichern zu müssen. Für meine Eltern war es während meiner gesamten Kindheit selbstverständlich, dass die gesamte Familie sich in dem Betrieb einbringt, so dass Wochenenden und Schulferien zu einem großen Teil davon bestimmt waren.
Neben dieser von Monotonie durch Massenproduktion gekennzeichneten Arbeit, die das Familienleben stark bestimmte, bin ich in einem mehr oder weniger geschlossenen katholischen Milieu aufgewachsen. Institutionell besuchte ich vom Kindergarten bis zum Abitur ausschließlich katholische Bildungseinrichtungen. Zugleich durchzog das kirchliche und spirituelle Leben normativ autoritär den familiären Alltag: Der Gottesdienstbesuch mindestens an Sonn- und Feiertagen galt als absolute Pflicht, das Gebet vor jeder Mahlzeit als eine Selbstverständlichkeit, die (regelmäßige) Teilnahme an den verschiedenen Sakramenten verbunden mit den entsprechenden moralischen Vorstellungen des Katholizismus war gefordert, die Übernahme von Ämtern in der Kirche wurde erwartet.
Es lässt sich nicht leugnen, dass auch die Lektüre von Büchern durchaus eine Rolle in meiner Familie spielte, ebenfalls ermöglichten mir meine Eltern das Erlernen von Instrumenten. Bei aller Unterstützung, für die ich auch bis heute dankbar bin, wurde diesen kulturellen Tätigkeiten allerdings nur marginale Bedeutung im alltäglichen Lebensvollzug zugesprochen, ganz zu schweigen davon, sie als eine ernsthafte berufliche Perspektive anzusehen. Bereichernd wirkte sich mein Besuch der weiterführenden Schule auf die Entwicklung meiner geistigen Welt aus. Begünstigt wurde dies durch ein funktionierendes Gesamtschulkonzept. Als eine der ersten Gesamtschulen in der Bundesrepublik mit der Besonderheit der katholischen Trägerschaft war sie – in den Grenzen ihrer Möglichkeiten – geprägt von einer schichtenübergreifenden Schüler*innenschaft. Auch wenn der konfessionelle Rahmen gegeben war, so fehlte doch der gymnasiale Elitismus, das gemeinsame Lernen und Arbeiten mit Schülerinnen und Schülern aller sozialen Klassen und Leistungsniveaus hat meine Sicht auf den Bildungsbegriff nachhaltig geprägt.
Die Wahl meiner Studienfächer, meiner Abschlüsse und letztlich auch die meiner konkreten Studieninhalte ist von diesen biographischen Erfahrungen stark beeinflusst: Neben Philosophie habe ich katholische Theologie mit dem Ziel Staatsexamen und Lehramt studiert. Ich verspürte angesichts meiner Erfahrungen mit körperlicher Arbeit in meiner Kindheit einen Drang nach Geisteswissenschaften, einem zweckfreien Nachdenken über die Welt, mit dem Studium der Theologie wollte ich erkunden, was es letztlich Bedeutsames mit der Religion und dem Glauben auf sich hat. Das akademische Leben mit Forschung und Lehre, mit dem meine Herkunfsfamilie so gut wie keinen Kontakt hatte, eröffnete mir im Verlauf meines Studiums eine neue Welt und die Bildungsidee wurde für mich immer mehr zu einem zentralen Wert von orientierender und befreiender Größe. Inhaltlich arbeitete ich mich in meinen Studienfächern an der rationalen Durchdringung meiner Glaubensbiographie ab, philosophisch interessierten mich zunächst ethische Konzepte, um mich rational mit den starken normativen Gehalten meiner Erziehung auseinanderzusetzen.
Nach meinem Studium schlug ich zunächst aufgrund meiner positiven Schulerfahrungen und meines Bildungsidealismus die Möglichkeit einer Promotion zugunsten des Lehramtes aus. Nach über zehn Jahren Lehrtätigkeit am Gymnasium kehrte ich an die Universität zurück, promovierte in Bildungsphilosophie bzw. Philosophiedidaktik und lehre in diesem Bereich inzwischen genauso lange. Insgesamt sind meine biographischen Erfahrungen leitend für meine Haltung zur Frage der Bildung. Sie stellte für mich die Möglichkeit der Befreiung aus einem Leben dar, welches ich mir nicht selbst gewählt habe, in das ich aber mehr oder weniger hineingeboren wurde. Leitend für meine philosophische Arbeit ist daher die Konzeption eines unverkürzten Begriffs (philosophischer) Bildung und seine Weitergabe an Schüler*innen und angehende Lehrer*innen.
Klaus Feldmann ist Akademischer Rat am Philosophischen Seminar der Bergischen Universität Wuppertal.