Philosophie in erster Generation auf der GAP.11

Vom 12. bis 15.9. fand in Berlin der 11. Kongress der Gesellschaft für analytische Philosophie (GAP.11) statt. Wir waren dort mit einem „fachpolitischen Forum“ am 14.9. vertreten, bei dem die Situation von Erstakademiker:innen in der Philosophie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurde. Den Anfang machte die Bildungssoziologin Christina Möller, die uns die (leider wenig erfreulichen) empirischen Ergebnisse zu Erstakademiker:innen an deutschen Universitäten vorstellte. Da es keine belastbaren Daten spezifisch zur Philosophie zu geben scheint, stellten wir (Daniel James, Barbara Vetter & Luna Evans) anekdotisch einige Themen vor, die sich aus den Beiträgen dieser Website ergaben, versammelt unter den Titeln: Geld; Sprache; Zugehörigkeit. Schließlich beleuchteten Christian Neuhäuser und Uwe Peters unser Thema aus Sicht der praktischen und der theoretischen Philosophie, genauer: der Gerechtigkeits- und der Wissenschaftstheorie.

Wir haben uns über diese Beiträge und die daran anschließende Diskussion sehr gefreut – es war klar, dass das Thema auf großes Interesse stößt! Umso besser, dass die GAP – eine der beiden großen Fachgesellschaften in der deutschen Philosophie – nach den Vorstandswahlen in Berlin nun eine ganze Reihe von Erstakademiker:innen an der Spitze hat: Markus Schrenk ist (als eine Hälfte einer Doppelspitze mit Elke Brendel) zum neuen Ko-Präsidenten gewählt worden; Elif Özmen und Barbara Vetter gehören als Vizepräsidentinnen dem neuen Vorstand an. Wir hoffen, dass damit für die Sache der Erstakademiker:innen auch verstärkt institutionelle Anbindung und praktische Unterstützung einhergehen werden.

Was könnten wir konkret tun, um Erstakademiker:innen in der Philosophie zu unterstützen? Schreiben Sie uns gerne an firstgenphil@philosophie.fu-berlin.de (oder nutzen Sie die Kommentarfunktion unter diesem Beitrag) mit Vorschlägen und Hinweisen!

Aus dem akademischen Mittelbau

Wie würden Sie Ihren sozialen Hintergrund beschreiben?

Ich bin als ältestes von drei Geschwistern in einer westdeutschen Großstadt aufgewachsen. Meine Mutter hat zunächst viel Haus- und Familienarbeit geleistet. Als die Kinder älter waren, hat sie dann etwas dazu verdient, zeitweise als Reinigungskraft, später als Tagesmutter. Mein Vater ist ein ziemlicher Aufsteiger. Er musste allerdings auch recht weit unten anfangen. Mit zehn Jahren Vollwaise und mittellos, ist er in verschiedenen Pflegefamilien und Kinderheimen in West- und Süddeutschland aufgewachsen. Die Hauptschule hat er mit 14 verlassen (müssen) und mit 18 hat er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann abgeschlossen. Später hat er sich weiter hochgearbeitet, über den zweiten Bildungsweg die Fachhochschulreife nachgeholt und an einer FH Soziale Arbeit studiert. Je nach Definition bin ich, im Gegensatz zu ihm, also auch kein Akademiker der ersten Generation. Mein sozialer Hintergrund ist dennoch, denke ich, in einigen Dimensionen nicht der, den man sich unter einem klassischen akademischen Background vorstellt.

In Anbetracht der geringen finanziellen Mittel, die meiner Familie zur Verfügung standen, haben wir in einer überraschend wohlhabenden Gegend gewohnt. Umgeben von großzügigen Eigenheimen gab es dort auch zwei Wohnungen, die der Stadt gehörten und, weit unter Marktpreisen, an Familien mit geringem Einkommen vermietet wurden. Eine dieser Familien waren wir. Die Wohnung hatte eine seltene Kombination von Vorteilen: geringe Miete bei gleichzeitiger Lage im Einzugsgebiet guter Schulen. Aufgrund dieser Konstellation bin ich immer von vielen Mitschüler:innen umgeben gewesen, die aus Familien mit spürbar höherem sozio-ökonomischen Status kamen. Diese Erfahrung war nicht durchgängig positiv. Ich habe mich oft nicht so recht dazugehörig und unter spezieller Beobachtung gefühlt. Besonders nervös war ich, wenn ich bei Schulfreund:innen „aus gutem Haus“ eingeladen war, auch wegen des enormen Respekts, den ich meine Eltern diesen Familien habe entgegenbringen sehen. Wenn sich dann, in diesen guten Häusern, der Professorenvater schonmal nebenbei über Arbeitslose mokiert hat (während Bekannte meiner Eltern arbeitssuchend waren) oder die Lehrerinnenmutter eine abfällige Bemerkung über die Putzfrau eingestreut hat (während meine Mutter Treppenhäuser geputzt hat), habe ich das als sehr kränkend empfunden. Ich glaube, das hat in mir früh so etwas wie Klassenbewusstsein und einen vagen Wunsch, „es denen zu zeigen“ hervorgebracht.

Kernaspekt meines Unterfangens, es (unklar, was genau) denen (unklar, wem genau) zu zeigen, war, mich durch gute schulische Leistungen hervorzutun. Bei uns zu Hause wurde ohnehin großer Wert auf die Schule gelegt und ich war es deshalb gewöhnt, viel zu lernen. Die gewünschten Ergebnisse stellten sich auch weitestgehend ein; ich war meistens Klassenbester. Interessant waren die Reaktionen meiner Eltern. Einerseits waren sie extrem stolz. Anderseits haben auch die besten Noten nicht ausgereicht, um ihnen die Unsicherheit zu nehmen, dass ich vielleicht doch nicht so ganz in das Milieu hineinpasse, in dem ich mich nun mal befand. Den Vorschlag meiner Mutter, mich erstmal auf die Realschule zu schicken, konnte meine Grundschullehrerin genauso wenig nachvollziehen, wie ich neun Jahre später die Empfehlung meines Vaters, nach dem Abitur doch zunächst eine Ausbildung als Berufskraftfahrer zu machen, um etwas in der Hand zu haben. Nicht, dass irgendetwas grundsätzlich gegen Realschulen oder die Berufskraftfahrerei spräche. Aber beides waren eher ungewöhnliche Ratschläge für Schüler mit meinem Notenschnitt.

Was waren für Sie besondere Schwierigkeiten, die mit Ihrem Hintergrund zu tun hatten oder haben? 

Hauptschwierigkeiten für mich waren der Mangel an Geld und der Mangel an sozialem Kapital. („Mangel“ ist hier jeweils relativ zu verstehen, da ich meinen sozialen Hintergrund am privilegierteren Ende des breiten Spektrums an nicht-universitären Hintergründen verorten würde).

Geld. Dass Geldmangel auch ganz direkt den Bildungschancen schaden kann, habe ich erst recht spät, in der 11. Klasse, zu spüren bekommen. Vorher hatte er sich eher außerhalb der Schule (wenig bis kein Geld für Musikinstrumente, Sportvereine oder Reisen) bemerkbar gemacht. Mit Beginn der Oberstufe gingen dann aber die Kinder wohlhabender Eltern mehr oder weniger geschlossen ins Ausland. Zurück blieben die, die sich so etwas nicht leisten konnten. Danach konnten die einen gut Englisch, die anderen eben nicht. Später an der Uni gab es zum Glück BAföG. Aber trotz (beinahe) Höchstsatz, Nebenjob und einem WG-Zimmer für 150€, war ich am Monatsende meistens pleite. Das hat bei mir zu einem Gefühl des Gehetztseins geführt. Die Regelstudienzeit des Bachelors zu überschreiten war keine Option, mit jedem zusätzlichen Semester sinkt der Rabatt auf die BAföG-Schulden. Auch Master und Promotion mussten so schnell wie möglich durchgezogen und zu 100% durch Stipendien gedeckt werden. Lief das eine aus, musste woanders Nachschub her, damit bloß keine Lücke entsteht. Trotz seiner positiven Konnotationen hat ein, sich daraus zwangsläufig ergebender, „zielstrebiger“ Studienverlauf auch handfeste Nachteile. Dass bei der Vergabe von Stellen oft auf die Anzahl der Publikationen pro Jahr nach Abschluss der Promotion geschaut wird, finde ich vom Ansatz her richtig. Problematisch finde ich die Wahl des Stichtags: sie bevorzugt die, die die Mittel haben, sich auf dem Weg zum Doktortitel auch mal ein paar Jahre mehr Zeit zu lassen, gegenüber denen, die diese Möglichkeit nicht haben. Wer den Weg vom Studienanfang bis zum Doktortitel in zwölf statt acht Jahren gehen kann, hat anderthalbmal so viel Zeit sein Publikationsportfolio auf- und auszubauen, bevor es auf den Jobmarkt geht.

Soziales Kapital. Im Rückblick finde ich es faszinierend, was man in Schule und Gymnasium, selbst wenn sie gut sind, alles nicht lernt. Ich hatte ein prima Abi, aber wenig Ahnung, wie man einen Lebenslauf verfasst oder eine Email an eine:n Professor:in schreibt (sind die Grüße jetzt freundlich, lieb, herzlich oder die besten? Oder doch lieber erstmal mit „hochachtungsvoll“ auf Nummer Sicher gehen?). Dem gutgemeinten familiären Rat meinen CV bunt zu gestalten („dann werden sie direkt auf dich aufmerksam!“) bin ich zum Glück nicht lange gefolgt. Meine Bekannten aus klassischen Akademikerfamilien habe ich immer um ihre Wissensressourcen in solchen Belangen beneidet. Die kannten immer jemanden, der sich schonmal auf dieses oder jenes beworben hatte, und wussten einfach, was man bei einem Vorstellungsgespräch trägt, wie man ein Praktikum bekommt oder worauf es bei einem Anschreiben ankommt. Zu meinem von Hause aus schlechtem Netzwerk kam bei mir zunächst auch eine gewisse Unfähigkeit zum Netzwerken hinzu. Ich habe lange gebraucht zu verstehen, dass die Teilnahme am Konferenzdinner für Karrierezwecke bisweilen wichtiger ist als die Teilnahme an den eigentlichen Vorträgen. Ich habe noch länger gebraucht, dem Verständnis auch Rechnung zu tragen und mich nicht vor dem Abendessen zu scheuen. In meiner Familie ging man nicht nur nicht ins Theater, sondern auch nicht ins Restaurant. Neben der Sorge, mich dort durch schlechte Umgangsformen zum Deppen zu machen, hatte ich immer die Befürchtung, nicht mitreden zu können. Die Erkenntnis, dass nicht alle Professor:innen ausschließlich über Wein und Opern sprechen wollen, hat sich bei mir erst relativ spät eingestellt.

Was hat Ihnen dabei besonders geholfen, diese oder andere Schwierigkeiten zu überwinden?

Geholfen haben mir, neben den bereits genannten Aspekten, vor allem Mentor:innen. Leute, die mir z.B. klar gemacht haben, dass man auch ein Stipendium oder einen Platz an einer internationalen Top-Uni bekommen kann, wenn man einfach gute philosophische Arbeit leistet, und nicht nebenher noch im Bundesjugendorchester und der Hockeynationalmannschaft spielt. Auch habe ich Lehrveranstaltungen als umso angenehmer empfunden, je mehr es dort ganz konkret um die zu lesenden Texte und die darin enthaltenen Argumente und Thesen ging, und je weniger um das Assoziieren kultureller Referenzen. Meiner Erfahrung nach ist dieser Fokus auf philosophische Sachfragen (vermutlich ein theoriebeladener Begriff) innerhalb der analytischen Philosophie stärker ausgeprägt als außerhalb.

Der Verfasser dieses Beitrags ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität.

Uwe Peters

Von Grübelei zum gesellschaftlichen Nutzen

Meine Eltern stammen aus schlichten DDR-Verhältnissen aus dem Ostberliner Umland und sind keine akademischen Leute. Mein Vater, der unter anderem auch länger auf dem Bau gearbeitet hat, verlässt regelmäßig den Raum, wenn ich philosophische Themen anspreche. Und nachdem ich meinen PhD 2016 fertiggestellt hatte, meinte meine Mutter, dass Philosophieren sicher nur Grübelei sei und zu viel Grübelei nicht gesund sein könne.

Die Reaktionen meiner Eltern kann ich nachvollziehen. Sie verloren ihre Arbeit, als die Mauer fiel. Da das Geld langsam ausging, geriet unsere Familie (als ich 9 und meine Schwester 12 war) in eine finanzielle Krise. Die legte sich irgendwann wieder. Aber die Angst, finanzielle Sicherheit zu verlieren, blieb und war möglicherweise gravierend genug, dass meine Eltern eine Abneigung gegenüber generell eher brotlosem Theoretisieren oder Philosophieren entwickelten.

Dass ich ein Philosophiestudent der ersten Generation in meiner Familie wurde, ist auch aus anderen Gründen eigenartig. Nach der Schule schien mir zunächst eine Handwerksausbildung sinnvoll. Da ich Holz gut finde (mittlerweile besonders wenn es noch im Wald steht), entschloss ich mich, eine dreijährige Tischlerausbildung zu machen. Mein Tischlermeister (Jörg Sydow) erlaubte mir, während meiner Lehre, öfter in der Arbeitszeit Nietzsche, Marx, Adorno und de Sade (nicht zu empfehlen) zu lesen, weil die mich interessierten. Nach dem Gesellenbrief arbeitete ich dann noch 4 Jahre lang teilweise auf dem Bau. Das hat überwiegend Spaß gemacht. Aber während der Lehre musste ich teils auch in der Fabrik (EgoKiefer Hennigsdorf) arbeiten, was eher langweilig war, sodass ich mich entschloss, das Abitur abends (in Berlin) neben der Arbeit nachzuholen.

Nach dem Abi 2004 ging ich dann nach Amerika, um dort über den Sommer in Maine (bei Northern Outdoors) als Tischler in einem Resort zu arbeiten (Blockhütten reparieren, etc.). Die Arbeit war gut. Mein J-1 Visum lief allerdings nach drei Monaten ab und ich musste im Spätsommer wieder nach Deutschland. Als ich nach Berlin zurückkehrte, war ich zwar planlos, hatte aber Abitur. Ich erkundigte mich an verschiedenen Unis nach Studienfächern, wo man mir allerdings sagte, dass es Einschreibefristen gebe und diese bereits abgelaufen seien. Greifswald hatte damals aber unter anderem in der Philosophie noch freie Plätze. Da ich Nietzsche während meiner Lehre interessant fand und in Greifswald mit Stegmaier auch ein Nietzsche-Experte lehrte, ging ich dorthin und begann nach 7 Jahren Tischlerarbeit mit dem Philosophiestudium.

Mein Studium versuchte ich, mit meinem ersparten Tischlergeld zu finanzieren. Das reichte allerdings nicht, um für drei Jahre eine eigene Wohnung zu mieten. Meine Eltern gaben etwas Unterstützung, hatten aber selbst nicht viel Geld. Meine Noten waren jedoch schon während meines Abiturs überwiegend sehr gut (vielleicht, weil ich das aus eigenem Antrieb und nicht mehr aus Zwang machte). Die Uni schlug mich deswegen in meinem zweiten BA Jahr bei der Studienstiftung vor, die mich nach einem zweitägigen Selektionstreffen aufnahm.

Ich wollte dann im Ausland einen MA machen, dachte aber, dass die Stiftung höchstens ein Jahr finanzieren würde. Deshalb suchte ich eine Uni, wo ich das zweite MA Jahr selber hätte finanzieren können. Neuseeland war deshalb attraktiv. Und weil ich zudem so weit weg wie möglich wollte (in der DDR durfte man nicht weit reisen), zog ich dorthin und machte einen BA honours und MA in Christchurch. Meine Studienzeit dort war schön. Es gab aber niemanden in meiner Familie, der/die vorher hätte sagen können, dass es gut wäre, an eine andere Uni (z.B. in die USA oder nach GB) zu gehen, da es so was wie Prestigevorurteilen geben könnte. Die Studienstiftung merkte auch nicht, dass eventuell einige Student:innen wegen ihrer sozio-ökonomischen Hintergründe weniger Ahnung haben könnten, wo sie studieren sollten, um bessere Chancen in der Zukunft zu haben.

Die Lehrenden in Neuseeland wiesen mich aber darauf hin. Während der Zeit stellte sich obendrein heraus, dass die Stiftung nun auch zweijährige MAs finanzieren würde. Ich fand dann im Internet noch einen einjährigen MA speziell in Philosophy of Psychology am King’s College London. Da mich Psychologie zunehmend mehr interessierte, ging ich also mit finanzieller Förderung nach London. Dort gab man mir später auch ein AHRC-PhD-Stipendium. Kurz vor Studienanfang stellte sich aber heraus, dass das nur die Studiengebühren beinhalten würde. Mein Erspartes war für die Lebenshaltungskosten in London für 4-5 Jahre zu wenig. Deshalb musste ich während meines PhD-Studiums parallel arbeiten, verpasste Seminare, und das Studium dauerte dementsprechend länger.

Wegen meiner siebenjährigen Arbeit vor dem Studium und der Notwendigkeit, während des Studiums einem Nebenjob nachzugehen, war ich am Ende des PhDs bereits älter. Altersdiskriminierung ist mir dann zum ersten Mal begegnet. Zwei Beispiele: Die Altersgrenze für Postdoc Jobs an der UNAM lag zu meiner Zeit bei 40 Jahren. Für den Teorema Young Philosopher Essay Wettbewerb war ich schon zu alt: Die Altersgrenze liegt bei 35 Jahren. Offensichtlich ist man mit 36 Jahren philosophisch senil.

Kurz gefasst: Ich denke, dass Leute an der Uni (Studenten:innen etc.), die aus dem Handwerk kommen und keine akademischen Eltern haben, manchmal eventuell unfair behandelt werden. Sie haben vielleicht weniger Geld, um sich aufs Studium zu konzentrieren. Sie wissen möglicherweise nicht, wo man was wie sinnvoll (d.h., mit guter Aussicht auf Arbeit in der Zukunft) studieren kann/sollte, und können deshalb leichter Prestigevorurteilen ausgesetzt sein. Sie sind vielleicht auch älter, was sie leichter zu Opfern von Altersdiskriminierung machen könnte. Und sie riskieren, sich durchs Studium von ihrer Familie und ihrem ursprünglichen Umfeld zunehmend zu entfremden.

Aber ich glaube, mein nicht-akademischer, handwerklicher Hintergrund hilft mir manchmal auch, gewisse Dinge in einer Art und Weise zu sehen, die in der Philosophie vielleicht sinnvoll sein könnte. Meine Eltern und mein Ex-Tischlermeister (Jörg) fragen sich z.B. oft, was für einen gesellschaftlichen Beitrag ich denn eigentlich an der Uni in der Philosophie leiste. Die Frage ist berechtigt.

Geisteswissenschaftler:innen an der Uni werden üblicherweise von der Gesellschaft finanziert. Manche Menschen mit nicht-akademischem, finanziell weniger gesichertem Hintergrund wissen die Berechtigung der Frage möglicherweise besser zu schätzen, gerade weil ja nun deren Familienmitglieder und Freund:innen diese Frage sicher öfter stellen als in einem akademischen, finanziell wohlständigen Elternhaus, wo das Leisten eines gesellschaftlichen Beitrags generell weniger existenziell relevant sein könnte.

Dadurch, dass sie die gesellschaftliche Relevanz des Faches Philosophie weniger unkritisch als gegeben akzeptieren, sind Personen ohne akademischen Hintergrund eventuell in einer besseren Position, das Fach gesellschaftlich relevanter zu machen (etwa durch ihre Forschungsthemenwahl, durch eine interdisziplinäre Herangehensweise etc.). Ich persönlich finde den Mangel an Fortschritt, Einigkeit und Lösungen grundlegender fachlicher Probleme sowie die empirischen Belege der sozialen Irrelevanz von vielen Teilen der Philosophie eher besorgniserregend. Das Bedenken hat mit Neoliberalismus (den ich ablehne) nichts zu tun, sondern scheint mir vor allem eine Sache der sozialen Verantwortung von Philosoph:innen zu sein.

Vielleicht haben gerade Handwerker:innen oder sozio-ökonomisch Benachteiligte leichter Einsicht in den derzeitigen, meiner Meinung nach etwas begrenzten gesellschaftlichen Nutzen von vielen Teilen der Philosophie und eine stärkere Motivation, das zu ändern. Vielleicht könnten mehr solcher Leute im Fach der Philosophie der Philosophie helfen, mehr soziale Bedeutung zu erlangen. Und vielleicht würde dann sogar mein Vater irgendwann weniger regelmäßig den Raum verlassen, wenn ein philosophisches Thema aufkommt.

Uwe Peters ist Postdoctoral Researcher im Center for Science and Thought (Universität Bonn) und im Leverhulme Centre for the Future of Intelligence (University of Cambridge).