Politikberatung

Wie viel Wissen braucht Politik?

Charakteristika wissenschaftlicher Politikberatung

Versucht man sich mit der Welt der wissenschaftlichen Politikberatung (wiss. Pb.) auseinanderzusetzen, so geschehen unweigerlich zwei Dinge: Zum einen wird während der Lektüre der relevanten Literatur das Wort „Spannungsfeld“ oder „Spannungsverhältnis“ zu einem treuen Begleiter und auf der anderen Seite steht man am Ende seiner Recherche vor mehr Fragen als am Anfang; was für die Wissenschaft per se weder untypisch noch unerfreulich ist. Dennoch, gestaltet sich die klare Definition von Akteur:innen, Prozessen, Zielen und Grenzen von Politikberatung als ambitioniertes Unterfangen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Erwartungshaltungen an die wissenschaftliche Politikberatung von Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft – Sie ahnen es – in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen.  

Hier dennoch der Versuch eine solche Definition auf den Weg zu bringen: 

Zunächst einmal die Akteure: Auf der Seite der Politik können wir Abgeordnete der Parlamente auf Bund- und Länderebene, Gemeinden, Staatssekretär:innen, Minister:inenn und weiter politische Beamt:innen verbuchen (Kurth, Glasmacher 2008: 458). Für die Wissenschaft gehen all die Forscher:innen ins Rennen, die nicht den wissenschaftlichen Diensten der Bundesregierung, politischen Stiftungen oder einer Partei angehören. Eine eigene Öffentlichkeitsdefinition anzustreben, will ich an dieser Stelle auslassen und stelle die Vermutung an, die Öffentlichkeit besteht aus der Gesamtheit der Bevölkerung, die auf nationaler Ebene von den Auswirkungen der politischen Entscheidungen betroffen ist. 

Kommen wir zum „was soll wiss. Pb“-Teil. Bodo Hombach, ehemaliger SPD-Politiker, steckt den Gegenstand der wiss. Pb. wie folgt ab: „Es geht um die adäquate Wahrnehmung der Welt und mögliche Handlungsoptionen“ (Hombach 2016: 469). Vereinfacht dargestellt, benötigen Politiker:innen Wissenschaftler:innen, um komplexe Sachverhalte, zu denen ihnen oft die Expertise fehlt, verständlich darzustellen, zu analysieren und Handlungsempfehlungen, die nach den Regeln der Wissenschaft (objektiv und sachbezogen) erörtert wurden, auszusprechen. Die Tätigkeit als solche deckt dabei ein Spektrum, angefangen bei einem Telefonanruf bis hin zur Berufung einer Kommission inkl. Verfassen öffentlicher Gutachten oder Empfehlungen, ab (Kurth, Glasmacher 2008: 459). Wenn man nochmal genauer die Frage stellt, was konkret erwartet die Politik von der wiss. Pb. dann ist die Antwort von Kurt Biedenkopf, CDU-Politiker, die Kurth und Glasmacher zitieren, recht aussagekräftig: „Die Politik zu unterstützen, wo Wissenschaft dem Machterhalt dient; der Politik Kreise nicht zu stören, wo dies dem Machterhalt schadet“ (2008: 458).

Dass dafür zwingend auf unabhängige Wissenschaftler:innen, die nicht „unter Vertrag“ stehen, zurückgegriffen werden muss, ist nicht in Stein gemeißelt. Tatsächlich konkurrieret die wiss. Pb. auf einem Informationsmarkt auf dem sie sich gegen das Angebot von direktem Austausch mit politischen Partner:innen, der Politik eigene wissenschaftliche Apparate, Medien, Informationsdienste, politische Stiftungen, Interessengruppen und Lobbyisten durchsetzen muss (Schröder 2019: 4-5). Auf der Haben-Seite des wiss. Pb. steht in diesem Kontext jedoch der „Mythos Wissenschaft“ und die Legitimationsstempel „wissenschaftlich begründet“ für politische Entscheidungsträger (Schröder 2019: 4). Der Mythos der Wissenschaftlichkeit und der damit verbundenen Sachlichkeit und Objektivität ist aber dadurch gefährdet, dass die Wissenschaft in den politischen Dienst genommen werden und ihren Wissenschaftscharakter verlieren kann, was gerade dann der Fall ist, wenn Politiker ihre Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit mit Wissenschaftlichkeit rechtfertigen (Schröder 2019: 4). Und hier haben wir es wieder, das Spannungsfeld. 

Eine weitere Ebene des omnipräsenten Spannungsfeldes eröffnet sich uns, wenn wir den Fokus nochmals auf das jeweilige Arbeitsumfeld von Politik und Wissenschaft und die daraus resultierenden Anforderungen an die jeweils andere Partei rücken. „Wo der Wissenschaftler lange zögern und zweifeln darf, muss der Politiker oft rasch entscheiden“ (Hombach 2016: 479). Diese Ausgangslage ist insofern problematisch, dass es nichts nützen würde, Wissenschaftler:innen zu zügigeren Entscheidungen zu drängen, da gerade in der sorgfältigen Prüfung des Sachverhalts die Wissenschaftlichkeit liegt. Während Politiker:innen schnelle Antworten auf (tages-)aktuelle Fragen benötigen, fehlt Wissenschaftler:innen oft die nötige Zeit für eine sachgemäße Bearbeitung. „Wissenschaft braucht Ruhe und Konzentration in einem möglichst geschützten Raum. Politik dagegen ereignet sich im öffentlichen Raum“ (Hombach 2016: 470).

Auf der anderen Seite finden Trends, die die Wissenschaft identifiziert, nicht immer Berücksichtigung bei den politischen Entscheider:innen, da innerhalb der politischen Welt alles „unter Handlungszwang, unter dem Druck der Ereignisse, im Takt von Wahlen, in Abstimmung mit internationalen Gegebenheiten [geschieht]“ (Hombach 2016: 470). Diese „Ungleichzeitigkeit“ spiegelt also eine „natürliche Antinomie zwischen Wissenschaft und Politik“ wieder, da „Wissenschaftliche Forschung ist ihrer Zeit zumeist voraus“ (Hombach 2016: 470).

Durch diese gravierenden Unterschiede innerhalb der Betriebsabläufe von Politik und Wissenschaft, ist eine „direkte Übertragung der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in politisches Handeln nicht möglich“ (Schröder 2019: 4). Für eine erfolgreiche Politikberatung ist es deshalb unabdingbar, dass der „Forscher ein Grundverständnis des Politikbetriebs erwirbt und sich darüber Gedanken macht, was Politiker und Apparate antreibt, welche Ziele sie verfolgen, wie sie denken (…). [Ohne], dass die Beratung den wissenschaftlichen Charakter einbüßt, und dass der Wissenschaftler von der Politik benutzt wird, um politisches Handeln zu legitimieren“ (Schröder 2019: 4).

Zum Abschluss noch eine Auswahl an Fragen, die vorerst ungeklärt geblieben sind, dafür aber für unsere weitere Auseinandersetzung mit dem Thema äußerst interessant erscheinen: 

  • „Gibt die Wissenschaft einen verlässlicheren Rat als die Erfahrung in Politik und Demokratie?“ (Gabriel 2016: 508)
  • „Erreichen wissenschaftliche Erkenntnisse die Politik auf kurzen Wegen und in ausreichendem Maß?“ (Hombach 2016: 474)
  • Ist wiss. Pb. in der Lage, dem Wählervolk das „Notwendige“ und „Wünschbare“ zu vermitteln? (Hombach 2016: 474)
  • „Gibt es noch – im täglichen Getümmel der Sensationen und Skandale – Journalisten, die ein wissenschaftliches Gutachten verstehen und es kompetent und angemessen transportieren? Und finden sie ein Publikum, das ihre Berichte aufnimmt und sich damit kritisch, aber auch konstruktiv auseinandersetzt?“ (Hombach 2016: 474)
  • „Welche Kompromisse muss der Wissenschaftler eingehen? Wann ist er Bürger, wann ist er Wissenschaftler? Ist die Politikberatung wissenschaftlich? Oder agiert er selbst schon als Politiker?“ (Schröder 2019: 5)
  • Erreicht wiss. Pb. die Politik? Wenn ja, was sind die Voraussetzungen einer erfolgreichen wiss. Pb.?

Literaturverzeichnis: 

Gabriel, S. (2016). Politikberatung zwischen Wahrheitsanspruch und Gestaltungswille. In Fortsetzung folgt (pp. 507-518). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Hombach, B. (2016). Wissen schafft Politik. In Fortsetzung folgt (pp. 467-487). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Kurth Reinhard Prof Dr, & Glasmacher S. (2008). Was ist gute Wissenschaftliche Politikberatung? Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 51(4), 458-466.

Schröder, H.-H. (2019). Politikberatung und Osteuropaforschung. Russland-Analysen, (372), 2–5.

Streeck, W. (2016). Wissenschaftliche Politikberatung. In Fortsetzung folgt (pp. 489-506). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

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