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Endstation Gott – Besuch des Malteser Hilfsdienstes in Zugliget am 23. Juli 2014

– beigetragen von Ricarda Breyton

Als uns unsere Gastgeberin bei den Budapester Maltesern die Entwicklungen im Wendejahr erklären will, ist ein Teil der Zeitzeugen nicht da. Sie montieren im hinteren Part des Gotteshauses eine große Tafel ab, auf der es wohl um die Geschichte der Gemeinde geht oder das Kirchen-Inventar, vielleicht aber auch um die Sacré Coeur-Schwestern, die hier Hausrecht besitzen. Eifrig sprechen sie auf Ungarisch über das auf der Tafel Gezeigte. Wir bleiben ahnungslos. Denn die Dame von den Maltesern verzichtet auf eine Übersetzung. Eigentlich will sie uns über die Zeitzeugen einen Eindruck von der Bedeutung der Kirche im Krisensommer 1989 vermitteln, als Tausende DDR-Bürger hier campten und die Kirche kurzerhand von einer Pforte zum Himmel in ein Einlasstor zum Westen umfungierten. Draußen verteilte der kurz zuvor gegründete ungarische Malteser-Hilfsdienst Zelte, Essen und Medikamente an die Deutschen aus dem Osten, die sich – aufgerüttelt von Ungarns Abbau der Grenzbarrieren nach Österreich im Mai 1989 – über das „Land des Gulasch-Kommunismus“ einen einfachen Zugang zur BRD erhofften. Und dann erst einmal  in Budapest steckenblieben, weil eine freie Ausreise bis zum 11. September 1989 eine Illusion blieb. Drinnen hatte die Botschaft der BRD kurzerhand ihr Quartier aufgeschlagen, nachdem der Massenandrang der DDR-Bürger zur Schließung des Hauptgebäudes geführt hatte.

Eingequetscht zwischen Kirchenbank, Kniebank und Nachbarn, versuchen wir uns vorzustellen wie das wohl alles so war vor 25 Jahren. Wo war das Botschaftspersonal? Wo die Flüchtlinge? Wie wurde das alles organisiert? Doch unsere drei Zeitzeugen setzen andere Prioritäten. Wir wollen den Geist der Geschichte atmen, was wir bekommen, ist der Heilige Geist. In der Kirche verweisen uns die Zeitzeugen auf das große Mosaik an der Wand hinter dem Altar – immerhin das größte in Mitteleuropa – das die Hl. Familie darstellt und anhand dessen man den kleinen Kindern so schön die Dreifaltigkeit erklären kann. Es geht auch um den Altar an sich, der nach dem 2. Vatikanischen Konzil ein ganzes Stück näher an die Gemeinde gerückt wurde. Und um einen künstlichen Baum, auf dessen Blättern die Namen der in der Gemeinde Getauften angebracht sind – allerdings immer nur für ein paar Jahre.

Glaube, Kirche, Religion rangieren ganz weit oben bei unseren Zeitzeugen – und das nicht erst seit heute. Unsere Fragen nach dem Wie, Weshalb, Warum der großflächigen ungarischen Unterstützung für die Deutschen (die sie doch gar nicht kannten, deren Nationalität sie doch nach dem 2. Weltkrieg mit Sicherheit mit Argwohn begegneten) landen immer wieder bei dem Einen. Wie alles begann? Mit Pater Imre Koszma, der im August 1989, als die Zahl der aus der DDR strömenden Flüchtlingen überhand nahm, in seiner Gemeinde dazu aufrief, den Gestrandeten unter die Arme zu greifen. Mehr als 600 ungarische Gemeindemitglieder folgten dem Aufruf, engagierten sich in dem von dem Malteser Hilfsdienst eingerichteten Flüchtlingslager oder boten als Gastfamilie bis zu sechs Ostdeutschen auf einmal ein Dach über dem Kopf. Warum dieses große Engagement? Weil es die Nächstenliebe gebietet. Und wie war das eigentlich mit der Finanzierung? Sprengte die mehr als drei Monate andauernde Versorgung der mehreren 1000 Flüchtlinge nicht das Budget der ungarischen Bürger? Gab es irgendwelche Entschädigungen? Die Antwort kommt, als wäre das alles klar: „Gott wird’s uns geben.“

Gott also ist es, der hinter dem Wunder von ’89 steht? Wir wollen das alles nicht so recht wahrhaben, hatten wir doch gelernt, dass Kirche in Ungarn – anders als in der DDR zum Beispiel – nicht vordergründig als Sammelbecken für Oppositionsströme taugte. Was wir hier serviert bekommen, verschiebt unser Weltbild ein bisschen. Klar – hört man angestrengt zwischen den Zeilen – so kann man erfahren, dass es mehr gab, was in die Unterstützungswelle hineinspielte: Eine Prise sozialistische Verbundenheit mit den Nachbarn aus dem Norden, außerdem die Tatsache, dass die Ostdeutschen keine gänzlich Unbekannten waren. Man hatte die Menschen mit Mähne, Konserven und Sportanzügen ja schon mal gesehen – auch unter unseren Zeitzeugen fällt der Begriff „Balaton“ als Ort gemeinsamer Urlaubserinnerungen. Trotzdem – der christliche Glaube als Grundlage für das Engagement bleibt überpräsent während unseres Zeitzeugengesprächs.

An einem Sonntag im August lud Pater Koszma zu Hl. Messe in die Zugliget-Kirche. Anwesend waren auch 150 – 200 DDR-Bürger. Was bewog sie zu diesem religiösen Akt? Taugte Gottesglaube auch als Ventil in einem spannungsgeladenen Lager, in dem die von den Flüchtlingen artikulierten Emotionen irgendwo zwischen manischer Euphorie und tiefer Verzweiflung hin- und herschwappten? Die Spurensuche geht weiter.

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