Christine Chwaszcza

Wie würden Sie Ihren sozialen Hintergrund beschreiben?

Mütterlicherseits: Landwirtschaft; väterlicherseits: Handwerk. Prägend für beide Elternteile scheinen mir jedoch die Kriegs- und Fluchterfahrungen in früher Jugend bzw. Adoleszenz zu sein und das damit verbundene Gefühl „Du gehörst hier nicht hin. Du musst erst einmal zeigen, dass Du es verdienst, respektiert zu werden“.

Ansonsten: durchgängig misogyn. – Intelligenz, Bildung und Wissen waren in meiner Familie etwas für „Jungs“. Bei den Mädchen zählten vor allem heiratsförderliche Eigenschaften wie „gute Kuchen backen“, „schöne Beine“ und „häusliche Fleißarbeit“. Den Weiterbesuch des Gymnasiums musste ich nach dem frühen Tod meines Vaters gegen den Wunsch meiner Mutter durchsetzen. Als ich ein Studium begann, fragten einige Verwandte „Warum studierst Du? Hast Du keinen Freund? Willst Du, dass Deine Kinder Oma zu Dir sagen?“

Was waren für Sie besondere Schwierigkeiten, die mit Ihrem Hintergrund zu
tun hatten oder haben, und gibt es ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die diese gut veranschaulicht?

Für mich war das Studium eine Befreiung von der Familie. Das erste Studienjahr
habe ich mir geschenkt und Griechische Philologie belegt, weil der Griechisch-Leistungskurs so enttäuschend gewesen war. Danach begann ich ein Lehramtsstudium, weil das einer der vier akademischen Berufe war, die mir bekannt waren. Die Erfahrung eines studienbegleitenden Praktikums zeigten aber bald, dass ich mich nicht für das Lehramt erwärmen konnte, sondern es genoss, mich in Forschungsfragen zu vertiefen. Ich bekam früh eine Stelle als Hilfskraft angeboten und hatte während dieser Zeit viel Unterstützung durch Dozenten und fortgeschrittene Mitstudierende, nicht zuletzt in den Magistranden- und Doktorandenseminare, die ich als enorm lehrreich wahrnahm. Ähnliches gilt auch für die Zeit vor und nach der Promotion und die Zeit als wissenschaftliche Assistentin. Inhaltlich bewegte ich mich stringent vom Literatur- und Sozialwissenschaftsstudium zur Philosophie, genauer gesagt zur analytischen Philosophie (am Stegmüller-Institut der LMU). Vorbehalte, sofern es welche gab, richteten sich eher gegen mein Interesse an normativer politischer Philosophie – im Gegensatz zu Logik und Erkenntnistheorie – und analytischer Philosophie – im Gegensatz zu Hegel, Hermeneutik und Heidegger.

Erst nach der Habilitation hatte ich öfter Mal das Gefühl als „bunter Vogel“ wahrgenommen zu werden, der nicht dazu gehört. Retrospektiv würde ich dies aber eher meinem Frausein zuschreiben als meiner Herkunft. Nach einem Vorsingen sagte einmal ein sehr bekannter Professor zu mir: „Frau Chwaszcza, Sie werden in Deutschland nie eine Professur bekommen. Sie ja viel zu klein. Sie können ja noch nicht mal über das Rednerpult schauen.“ Ein andermal wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, an einem Projekt der Architektur zur Ästhetik von Parkhäusern aus feministischer Perspektive mitzuarbeiten. Als ich zurückfragte, ob diese Frage auch männlichen Bewerbern gestellt wird, war der einhellige Ärger der Kommissionsmitglieder deutlich spürbar.

Was hat Ihnen dabei besonders geholfen, diese oder andere Schwierigkeiten zu überwinden, und gibt es auch hier ein Beispiel für eine Erfahrung oder Anekdote, die dies gut veranschaulicht?

Ich nehme an verschiedene Dinge: eine autokompetitive Orientierung an akademischen Standards, workaholism, akademische Auslandserfahrungen und ein ungebrochenes Interesse an philosophischen Fragestellungen. Vielleicht: eine intergenerationell ererbte Resilienz gegen Fremdheitserfahrungen. Definitiv: die großartige Unterstützung meiner philosophischen Projekte durch meinen Ehemann.

Gibt es besondere Einsichten oder Perspektiven, die Sie Ihrem Hintergrund
verdanken und die für Ihre philosophische Forschung oder Lehre von besonderem Wert sind?

Inhaltlich-sachlich: Eine profunde Wertschätzung des common sense – die konsequent zur Orientierung an der ordinary language Philosophie geführt hat.

Studienorganisatorisch: Ohne Schüler-Bafög hätte ich weder das Gymnasium abschließen noch ein Studium beginnen können. Ich halte diese Form der Förderung für enorm wichtig und finde, dass es für ihre Aufrechterhaltung auch wichtig ist, das Studium abzuschließen und die Darlehen zurückzuzahlen.

Auch die Einbeziehung junger Studierender in akademisches Arbeiten über HiWi Stellen und Lehraufträge ist nicht nur eine intellektuelle Förderung, sondern ein Modus sozialer Integration, der zeigt, „wie der Betrieb funktioniert“ (auch wenn man Manches erst retrospektiv versteht).

Ein Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich nach einem Jahr zurückgegeben, weil der Betrag für ein Leben in München einfach zu gering bemessen war. Ich habe die Promotion stattdessen durch einen „Job“ finanziert. Das hat mich auch gelehrt, meine Forschung gut zu organisieren, mich auf die entscheidenden Punkte zu fokussieren und einzusehen, dass man Arbeiten auch abschließen kann, ohne alle Fragen erschöpfend beantwortet zu haben. Es gibt auch post-doktorale Forschungsprojekte! Meine persönliche Erfahrung ist: die frühe finanzielle Förderung ist wichtiger als die späte.

Christine Chwaszcza ist Professorin für Politische und Sozialphilosophie an der Universität zu Köln. 

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