Die Japanische Foodscape in Wien als studentisches Forschungsfeld

von Hanno Jentzsch

Meine Fahrrad-Route vom Institut für Ostasienwissenschaften/Japanologie der Universität Wien bis nach Hause führt mich täglich an zahlreichen Belegen für die Popularität, die Vielfältigkeit und die Hybridität japanischer Esskultur in Wien vorbei. Ramen-Bars mit teilweise verwirrender Auswahl an Nudelsuppen „asiatischer Art“, japanische Fine-Dining-Restaurants und die Wiener Interpretation eines Izakaya – samt hölzernen Menütafeln an den Wänden – säumen den Weg: eine ideale Spielwiese für japanologische Feldforschung vor Ort! Dieser Gedanke kam mir zwar oft auf dem Rad, er stammt aber natürlich nicht von mir, wie nicht zuletzt dieser Blog belegt: In Berlin nutzt Cornelia Reiher japanische Esskultur bereits seit Jahren für studentische Forschungsprojekte und die Vermittlung von Methoden. Angelehnt an dieses Projekt haben die Studierenden des Wiener „Proseminars 2“ (ein BA-Kurs mit Schwerpunkt auf die Vermittlung von wissenschaftlichen Methoden in der Japanologie) nun im abgelaufenen Sommersemester die Vielfalt der japanischen „Foodscape“ in Wien untersucht, um anhand dieses Themas erste Forschungserfahrungen zu sammeln.

Rāmen sind in Berlin und Wien gleichermaßen beliebt.
Copyright © Cornelia Reiher 2022

Während ich diesen Beitrag schreibe, feilen die Studierenden alleine oder in Zweier-Teams vermutlich (hoffentlich!) an ihren bald fälligen Seminararbeiten. In Mittelpunkt des Proseminars stand eine erste Heranführung an qualitative Forschungsmethoden – besonders Interviews und (teilnehmende) Beobachtung. Die Themen mussten die Studierenden dabei selber bestimmen. Viele Projektideen kreisen um den Themenkomplex „Authentizität“ und die Hybridisierung von japanischer Esskultur im Wiener Kontext. Wie werden zum Beispiel „Regionalität“ und „Saisonalität“ in japanischen Kaiseki-Restaurants in Wien umgesetzt? Wie passt das Angebot von veganen Alternativen mit dem Anspruch von „authentischen“ Ramen zusammen? Passend zu diesem Schwerpunkt hatten wir die Auseinandersetzung mit der japanischen Foodscape im Unterricht unter anderem in den Kontext der Forschungsliteratur zu „culinary mobilities“ gestellt. Im zweiten Teil des Kurses lag der Fokus dann auf der Praxis: Beobachtungsübung, Interview-Vorbereitung, Interview-Übung, Analyse. Einzeln oder in Zweierteams haben die sich Studierenden an ihre Forschungsinteressen herangetastet, passiv oder aktiv beobachtet, Interviewleitfäden erstellt und Pilotinterviews geführt. Natürlich wollten wir dabei auch wissen, was unsere Vorbilder in Berlin machen. Ende April haben Berliner und Wiener Studierende ihre Forschungsideen und erste Ergebnisse in einem Online-Workshop miteinander geteilt. Ihre Erfahrungsberichte kann man auf diesem Blog und hier nachlesen. Für die Zukunft schlummert in diesem Austausch sicher noch viel mehr Potential für eine vergleichende Perspektive auf japanische Foodscapes in Europa. Welche Elemente im „Glokalisierungsprozess“ japanischer Esskultur ähneln sich, wo und wie wirkt sich der spezifische lokale Kontext der zwei Metropolen aus? Während die unterschiedliche Zeiteinteilung des Studienjahres in Berlin und Wien ein Hindernis darstellte, bietet der Ausbau der digitalen Lern- und Forschungsinfrastruktur neue Möglichkeiten zur Vertiefung solcher Fragen. In Zeiten eingeschränkter Mobilität und einer immer schwereren Energie- und Klimakrise wird es ohnehin weiterhin wichtig sein, japanologische Forschung und Methodenlehre vor Ort (also nicht in Japan) zu gestalten, ohne dabei die Praxis aus den Augen zu verlieren. Japanische Foodscapes in Europa bilden für diese Herausforderung eine machbare und faszinierende Lösung.    


Quelle: https://www.wienermiso.com/

Hanno Jentzsch ist Politikwissenschaftler und Universitätsassistent (postdoc) am Institut für Ostasienwissenschaften/Japanologie der Universität Wien. Er forscht zu den Themen ländliche Revitalisierung, local governance und Staat-Zivilgesellschaft-Beziehungen im ländlichen Japan sowie Landwirtschaftspolitik und soziale Wohlfahrt. Veröffentlichungen u.a. Harvesting State Support (University of Toronto Press, 2021) und Rethinking Locality in Japan (Routledge, 2021, mit Sonja Ganseforth).

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