Digital Governance in China – BCCN Lecture Series

You are warmly invited to this semester’s fascinating Berlin Contemporary China Network (BCCNOnline Lecture Series on Digital Governance in China starting on 2 November!

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Armutsbekämpfung in Xinjiang (von Johannes Nentwig)

Im Seminar „Kontinuität und Wandel in der chinesischen Armutsminderung“ im Sommersemester 2023 haben wir in mehreren Sitzungen einerseits über verschiedene Formen von Armut und andererseits über die großen regionalen Unterschiede bei der Verbreitung von Armut in China diskutiert. Insbesondere das erhebliche Ungleichgewicht in der Entwicklung zwischen Stadt und Land und zwischen der Küstenregion im Osten und dem westlich gelegenen „Hinterland“ war wiederholt Thema. Immer wieder musste ich dabei an das nordwestchinesische Gebiet Xinjiang denken, das auf der einen Seite innerhalb Chinas zu den ländlichen und ärmeren Regionen zählt, und auf der anderen Seite auch selbst als Region eine große Stadt-Land-Diskrepanz bei der Verteilung von zum Beispiel Einkommen oder Bildung aufweist. Dazu kommt in Xinjiang ein weiterer Faktor, der wiederum mit geografischen wie wirtschaftlichen Faktoren eng verknüpft ist: die Zugehörigkeit eines Großteils der Bevölkerung zu einer der turksprachigen ethnischen Minderheiten, in der Regel zur Ethnie der Uiguren.

Im ersten Teil dieses Beitrages wird Xinjiang etwas genauer vorgestellt und außerdem beschreibe ich einige Zusammenhänge zwischen ethnischer Zugehörigkeit und der wirtschaftlichen Situation. Im zweiten Teil gehe ich kurz auf staatliche Repressalien gegen die Minderheitsbevölkerung ein, bevor ich im dritten Teil den Ausbau des Tourismus als eine Stütze der Armutsbekämpfung etwas genauer beleuchte.

Ethnische Minderheiten und ökonomische Ungleichheit

Spätestens seit dem Jahr 2000 liegt in China mit der Strategie der „Großen Entwicklung des Westens“ (kurz GEW; chinesisch 西部大开发 Xībù dà kāifā) ein Fokus auf der wirtschaftlichen Entwicklung des westlichen Teils des Landes, der bis dahin noch nicht im großen Stil vom sprunghaften Wachstum der Wirtschaft erfasst worden war. Unter dieser Dachstrategie wurden Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte zusammengefasst, die diese Unterschiede überbrücken sollten und so „auch die Grenzregionen stärker an die Zentrale […] binden“ sollten ( Alpermann, 61). Zum „Entwicklungsgebiet“ gehört u. a. auch das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang (kurz Xinjiang, chinesisch 新 疆 Xīnjiāng). Dieses ist mit 1,66 Millionen km² Fläche die größte Verwaltungseinheit der Volksrepublik China, jedoch ist es mit 25,87 Millionen Einwohnern (2022) nur sehr dünn besiedelt, da es landschaftlich zu einem großen Teil von Wüsten und Hochgebirgen dominiert wird.

Der zunehmende Zuzug von Han-Chinesen in das Gebiet und deren häufige Vormachtstellung in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen führt zu fortwährenden interethnischen Spannungen (Alpermann, 62). So waren bei der ersten Volkszählung der Volksrepublik China 1953 von 4,78 Millionen Menschen in Xinjiang noch 93% Angehörige einer ethnischer Minderheiten; bereits deutlich vor der Kampagne zur wirtschaftlichen Entwicklung, im Jahr 1990, waren es nur noch 62,4% und auch seitdem ist der Wert weiter, auf 57,7% im Jahr 2020, zurückgegangen. Beim Zensus 2020 wurden 11,62 Millionen Uiguren gezählt, was einem Anteil von 45% der Gesamtbevölkerung bzw.von 77,8% der ethnischen Minderheiten entsprach. (Im verlinkten „Weißbuch“ zur Bevölkerung Xinjiangs wird in absoluten Zahlen ein Wachstum der Minderheitsbevölkerung ausgewiesen, bei Betrachtung der relativen Zahlen erkennt man aber einen Rückgang.)

Bei der geografischen Verteilung der Bevölkerung zeigen sich deutliche Ungleichheiten, nämlich z.B. dass die Verbreitung der Minderheiten, besonders der uigurischen Bevölkerung, im südlichen Xinjiang deutlich größer ist als im Norden und dass die ihr Angehörigen deutlich häufiger in ländlichen Gebieten als in den Städten leben. Entscheidend sind diese Faktoren, wenn man betrachtet, dass es beim Pro-Kopf-Einkommen ein erhebliches Nord-Süd-Gefälle sowie größere Stadt-Land-Unterschiede gibt und dass viele Investitionen vorrangig in den Norden geflossen sind (Alpermann, 75).

Armutsbekämpfung und staatliche Repressalien

Die GEW oder auch besonders auf Xinjiang ausgerichteten Teilbereiche der später folgenden „Belt and Road Initiative“(BRI) zielten beide nicht direkt auf Armutsminderung, sondern bündelten viele Projekte und waren auf allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ausgerichtet. Daneben gab es auch gezielte Kampagnen zum Kampf gegen Armut. Mit großen finanziellen Investitionen und hohem personellen Aufwand wurden Gebiete mit unterdurchschnittlichem Haushaltseinkommen ausgemacht und bei der Eliminierung von absoluter Armut unterstützt, so dass diese schließlich, nach offiziellen Angaben, 2020 überwunden werden konnte. Auch längerfristig gesehen kann bestätigt werden, dass sich, zumindest aus wirtschaftlicher Perspektive, die Lebensbedingungen verbessert haben, sei es durch besser ausgebaute medizinische Versorgung oder gestiegene Löhne in landwirtschaftlichen Betrieben.

Obwohl Entwicklungsprojekte und Armutsbekämpfungskampagnen darauf ausgelegt sind, der lokalen Bevölkerung zugutezukommen, so erreichen sie ihr Ziel doch nicht immer oder verkehren es sogar ins Gegenteil. Beispielsweise können durch die besser ausgebaute Infrastruktur auch größere (vorwiegend Han-chinesische) Handels- und Transportunternehmen im Grenzverkehr operieren und verdrängen damit gewachsene lokale Netzwerke uigurischer Händler. Für die Entwicklung touristischer Attraktionen musste teilweise traditionelle Weidewirtschaft aufgegeben werden, damit Touristen „natürliche“ Landschaften genießen können (Alpermann, 78, 82). Außerdem ist davon auszugehen, dass eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere des Baumwollanbaus, zu ökologischen Problemen führen wird, da bereits jetzt Wassermangel im Tarimbecken, d. h. im südlichen Xinjiang, herrscht.

Abgesehen von der „reinen“ Armutsminderung bzw. der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung müssen insbesondere in Xinjiang staatliche Maßnahmen auch im Hinblick auf die Angehörigen der ethnische Minderheiten betrachtet werden. (Gleiches gilt natürlich auch für die anderen autonomen Gebiete und weitere entsprechende Regionen.) Die viel beschworene Schaffung von Arbeitsplätzen z. B. in der Textilindustrie und die damit verbundene Eingliederung von uigurischen Menschen in ein staatlich gelenktes System wird z. B. von Adrian Zenz als Maßnahme zur Überwachung interpretiert. Noch dazu scheint es einen Zwang zur Arbeit in zugewiesenen Betrieben zu geben bzw. die Verpflichtung, dass mindestens ein Haushaltsmitglied einer Lohnarbeit in einem staatlich regulierten Betrieb nachgeht. Verbunden mit der „industriebasierten Armutsbeseitigung“ („industrial poverty alleviation“ in einigenenglischsprachigen Artikeln) gibt es ein umfassendes System von gefängnisartigen Umerziehungslagern. In diesen erhalten die Insassen zwar auch teils eine Art Berufsausbildung, aber vorrangig sind sie auf Indoktrination von Parteimaterial, sogenannte „De-Radikalisierung“ angeblicher religiöser Extremisten und erzwungenen Chinesisch-Unterricht ausgerichtet. Auch diese starke Fixierung auf die chinesische Sprache in o. g. Lagern, aber auch generell im Ausbau des Bildungsbereichs bis hin zu Kindergärten (Alpermann, 96), kann als ein Zeichen von Geringschätzung oder gar Unterdrückung des Uigurischen gelesen werden, mindestens kommt aber das Gefühlt auf, uigurischsprachigen Menschen würden Entwicklung und Fortschritt nicht zugetraut.

Neben den o. g. Kampagnen wird in Xinjiang außerdem seit geraumer Zeit eine Kampagne zur Bekämpfung der drei „Übel“, namentlich Terrorismus, Extremismus und Separatismus, gefahren, die nach gewaltsamen Unruhen in der Hauptstadt Ürümqi 2009 und nach größeren Anschlägen 2014 noch verschärft wurde (Alpermann, 63, 144). Die Kampagnen laufen teils Hand in Hand und sind im Ergebnis nicht klar voneinander zu trennen, da z. B. für einen großangelegten Ausbau der Polizei und anderer Sicherheitskräfte tausende Stellen geschaffen wurden (Alpermann, 169) oder Menschen in Lagern oder anderswo zu Arbeit gezwungen werden, um sie einerseits aus der Armut zu „heben“ und andererseits von ihren angeblichen extremistischen Gedanken zu befreien.

Für den Zeitraum von 1994 bis 2000 konnte eine Studie herausfinden, dass finanzielle Mittel der Zentralregierung, die eine Verringerung von Armut zum Ziel hatten, insgesamt eher genutzt wurden, um den Staats- und Sicherheitsapparat auszubauen und langfristig die staatliche Kontrolle zu stärken. Eine aktuelle Untersuchung gibt es dazu nicht direkt, jedoch lassen all die genannten Punkte für die heutige Zeit auf ein ähnliches Ergebnis schließen.

Entwicklung von Tourismus als wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung

Wie in anderen Regionen mit größerer Minderheitenbevölkerung auch, wird in Xinjiang zur Armutsbekämpfung aufeinen deutlichen Ausbau des Tourismus gesetzt. Aufgrund der bisherigen„Rückständigkeit“ in der Entwicklung und der dezentralen Lage seien die natürlichen Landschaften und die lokalen Bräuche noch„relativ intakt“ und würden dazu einladen, den touristischen Markt zu entwickeln. Allerdings gehen auch mit der steigenden Zahl der Reisenden wiederum staatliche Maßnahmen einher, die für die Lokalbevölkerung nicht nur von Vorteil sein dürften: Durch viele Inlandstouristen lässt sich auch gut die Bevorzugung der chinesischen Sprache rechtfertigen; der Abriss und Neubau der Altstadt von Kashgar hübscht sie nicht nur für Besucherinnen und Besucher auf, sondern macht sie auchgleichzeitig besser überwachbar, weil Straßen und Wege verbreitert und begradigt wurden und Innenhöfe nicht mehr überdacht werden dürfen (Alpermann, 81).

Mit dem Ausbau des Tourismus wird aber neben der Schaffung von Jobs auch noch ein weiteres Ziel verfolgt, nämlich in Xinjiang die Kultur „anzureichern“ mit Elementen aus der Han- chinesischen Kultur. Dazu wurden beispielsweise Ausstellungen über traditionelle Scherenschnitte nach Xinjiang gebracht oder ein ganzes Museum über den Konfuzianismus errichtet. Gleichzeitig werden religiöse Elemente der uigurischen Kultur negiert und ausgeblendet, Moscheen wurden abgerissen und sogar Friedhöfe wurden zerstört und beräumt. Und auch dass ausgewählte Elemente (quasi „wünschenswerte“) uigurischer Kultur gefördert und zu einer Touristenattraktion gemacht wird, seien es Tanzshows, Musikdarbietungen oder traditionelle Kleidung als Souvenir, ist insofern problematisch, dass dahinter eine gewisse staatliche Lenkung steht, die den Betroffenen wenig bis keinen Spielraum bietet, wie und ob sie selbst ihre Kultur und ihre Traditionen präsentieren und entwickeln wollen. Vereinheitlichte Tänze und dem chinesischen Geschmack angepasste Musik haben zudem nicht mehr viel mit traditionellen Praktiken zu tun, wenn sie noch dazu nicht mehr zu ihren ursprünglichen Anlässen aufgeführt bzw. zelebriert werden können, sondern nur noch zur Schau gestellt werden.

Trotz der Einkommenssteigerung und objektiv gesehen verbesserten Lebensumständen, die u. a. mit dem Ausbau des Tourismus einhergingen, bleiben Menschen in Xinjiang so weiter in niedriger bezahlten Service-Jobs und die ethnischen Minderheiten werden einerseits assimiliert, aber gleichzeitig weiterhin exotisiert und als rückständig und „noch zu entwickeln“ marginalisiert.

Erfolg? Eine Frage der Perspektive.

Es ist schwierig, die Lage in Xinjiang einheitlich zu beurteilen. Einerseits gesehen ist die Armutsbekämpfung ein nomineller Erfolg und durch einen „Krieg des Volkes“ konnte die absolute Armut – natürlich „plansollerfüllend“ Ende des Jahres 2020 – in ganz China eliminiert werden. Trotzdem bleiben erhebliche regionale Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb Chinas bestehen und so bleibt die relative Armut weiter ein Thema. Die vielfache Beschäftigung von Uigurinnen und Uiguren in Hilfsberufen in der Industrie, Landwirtschaft und im Tourismus wird auch weiterhin für ein gewisses Ungleichgewicht und eine Marginalisierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit und Sprache sorgen.

Abgesehen von der materiellen Armut kann man auch von anderen Formen der Armut sprechen. Statt einer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und auch Autonomie, wie man sie in einem sogenannten Autonomen Gebiet erwarten könnte, scheint sich eher eine kulturelle und sprachliche Armut auszubreiten, die von politischen und wirtschaftlichen Interessen des chinesischen Staats gesteuert wird.

杀马特我爱你 – We Were Smart (von Melanie Höschele)

Leben und Wandel (in) einer chinesischen Subkultur

Die Dokumentation „杀马特我爱你“ (shāmǎtèwǒàinǐ, „We Were Smart“) aus dem Jahr 2019 befasst sich mit der gesellschaftlich umstrittenen Subkultur der sogenannten 杀马特 (shāmǎtè, im Folgenden: Shamate), die in China in den 2000er Jahren von jugendlichen FabrikarbeiterInnen geprägt wurde und sich durch einen auffallenden Haar- und Kleidungsstil auszeichnet. Der chinesische Regisseur 李一凡 (lǐyīfán, im Folgenden: Li Yifan) beleuchtet hierbei die Lebenswege der Mitglieder dieser Subkultur, die vorwiegend aus ländlichen Regionen in Chinas Westen stammen und zu prekären Löhnen und Arbeitsbedingungen in städtischen Fabriken, beispielsweise in der Elektronikherstellung, oder im Bausektor arbeiten. Damit schließt sich der Film an Li Yifans bisherige Werke „淹没“ (yānmò, „Yan Mo – Before the flood“, 2005) und „乡村档案“ (xiāngcūndàngàn, „Chronicle of Longwang“, 2009) an, die ebenfalls die Lebenssituation der ländlichen Bevölkerung Chinas in den Fokus rücken.

Der Name Shamate, der sowohl als Bezeichnung für die Subkultur selbst als auch für deren Mitglieder genutzt wird, basiert auf einer Transliteration des englischen Wortes „smart“ ins Chinesische und wurde zu einer Eigenbezeichnung in Online-Communities. Das markanteste Merkmal der Shamate sind ihre Haare, die bunt gefärbt und durch viel Haarspray zu möglichst großen, auffälligen Frisuren gestylt werden, wie auch auf dem Filmplakat zu sehen ist. Ergänzt wird der charakteristische Stil durch ebenfalls extravagante Kleidung und erinnert so insgesamt äußerlich an Subkulturen wie die Punkbewegung der 1970er und 1980er Jahre. Die Dokumentation vermittelt Eindrücke über die individuellen Geschichten dieser jungen Menschen, die in der Shamate-Bewegung Gemeinschaft und Identität finden, während sie den harten Arbeitsalltag in den Fabriken bewältigen. Gleichzeitig beschreibt der Film den Niedergang dieser Subkultur und ihre Marginalisierung innerhalb der chinesischen Gesellschaft.

Ich habe die mit englischen Untertiteln versehene Version der Dokumentation im Rahmen des Seminars „Kontinuität und Wandel in der chinesischen Armutsminderung“ im Sommersemester 2023 gesehen. Eingehend diskutiert wurde die Dokumentation im Kontext der Stadt-Land-Ungleichheit in China im Zusammenhang mit Armut unter WanderarbeiterInnen, die aus den ländlichen Gebieten Chinas in die Städte ziehen, um dort Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden und der ländlichen Armut zu entkommen. Daher bestand meine Erwartungshaltung an den Film darin, mehr über die Lebensrealität von jungen ArbeiterInnen in Chinas Städten und ihren Umgang mit einem Leben in Armut zu erfahren.

Das Schicksal jugendlicher FabrikarbeiterInnen aus dem ländlichen China

Inhaltlich lässt sich die Dokumentation grob in drei Abschnitte unterteilen. Im ersten Drittel werden der Lebensweg und die Arbeitssituation der jugendlichen FabrikarbeiterInnen beleuchtet. Zentral für das Erleben der jungen Menschen sind das Aufwachsen in ländlicher Armut, die langen, monotonen Arbeitstage unter schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken sowie Gefühle von Einsamkeit und Unsicherheit. Es wird deutlich, dass das Internet und die Communities der Shamate als ein Zufluchtsort und als Chance betrachtet werden, sich eine Identität zu bilden.

Die Shamate-Kultur wird im zweiten Drittel der Dokumentation facettenreich betrachtet. Dabei werden Treffpunkte, der charakteristische Haar- und Kleidungsstil sowie Online-Communities detailliert beschrieben und es wird deutlich, wie die Subkultur unter ihren Mitgliedern ein Gefühl von gegenseitigem Verständnis und familiärer Zusammengehörigkeit erzeugt. Gleichzeitig werden auch Schwierigkeiten beleuchtet, wie zum Beispiel die Unvereinbarkeit von der Teilnahme an Treffen mit langen Arbeitszeiten oder die auffällige äußere Erscheinung als ein Hindernis bei der Arbeitssuche. Hier wird der Konflikt zwischen dem Wunsch, ein selbstgewähltes, freies Leben zu führen, und der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, um die eigene Existenz zu sichern, klar herausgearbeitet.

Im letzten Drittel der Dokumentation wird beschrieben, wie die Shamate-Communities zum Großteil zerschlagen wurden und wie sich die Subkultur heutzutage in kleinerem Rahmen und besonders im Internet in Form von Livestreaming fortsetzt. Es wird auf die Erfahrungen von gesellschaftlicher Abwertung eingegangen, aber auch darauf, wie das Leben der Jugendlichen sich entwickelt hat und welche Wünsche und Träume sie für die Zukunft haben.

Die in der Dokumentation behandelten Themen haben eine große aktuelle Relevanz und gehen weit über eine reine Betrachtung der Subkultur hinaus. Die Stadt-Land-Ungleichheit und Armut von ländlichen WanderarbeiterInnen sind wichtige Themen, die sowohl in chinesischen als auch internationalen wissenschaftlichen Artikeln und Medien große Aufmerksamkeit erfahren. Aber auch andere sehr relevante gesellschaftliche Themen werden in der Dokumentation angesprochen. Beispielsweise wird auf das Ungleichgewicht des Geschlechterverhältnisses in Folge der Ein-Kind-Politik und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der PartnerInnensuche eingegangen. Ein weiteres Thema ist die Bildungs- und Lebenssituation der auf dem Land zurückgelassenen Kinder, die häufig ohne Eltern aufwachsen, da diese in den Städten in Fabriken arbeiten. Hinzu kommen die Problematik der Kinderarbeit und die häufig schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken hinsichtlich Arbeitssicherheit sowie die Unsicherheit, ob überhaupt Lohn ausgezahlt wird.

Beurteilung der filmischen Gestaltung

Die Dokumentation basiert hauptsächlich auf Interviews, die mit über 40 aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern der Shamate-Subkultur aufgezeichnet wurden. Ergänzt werden diese Aufnahmen durch Handyaufnahmen aus Fabriken, Foto und Videomaterial, welches aus den sozialen Netzwerken stammt bzw. von den interviewten Personen zur Verfügung gestellt wurde, sowie aktuelle Videoaufnahmen der zentralen Treffpunkte der Shamate.

Insgesamt wirkt das Videomaterial, insbesondere die Aufnahmen aus den Fabriken, auf den ersten Blick sehr einfach und größtenteils in der Qualität niedriger als man es von Dokumentationen üblicherweise gewohnt ist. Eine Erklärung, die in der Dokumentation selbst nicht zu finden ist, liefert Regisseur Li Yifan in einer Rede auf yixi.tv, einer Medienplattform, die regelmäßig Präsentationen und Reden zu verschiedenen Themen veröffentlicht. Im Kontext von Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Produktion der Dokumentation berichtet er, dass es nicht möglich war, in den Fabriken Aufnahmen zu machen bzw. er die Befürchtung hatte, dass die Fabriksituation für den Dreh geschönt werden würde. Daher rief das Filmteam online zu einem Videowettbewerb auf: Die ArbeiterInnen sollten Videos von ihrer Arbeit in der Fabrik drehen und für einen Geldpreis einsenden. Insgesamt wurden so 915 Videos abgekauft und bildeten anschließend die Grundlage für die Dokumentation. Dadurch wirkt die Qualität der Aufnahmen zwar ungewöhnlich niedrig, im Gegenzug sind die Aufnahmen jedoch sehr authentisch.

Auch die Interviews sind im realen Lebensumfeld der ProtagonistInnen gedreht wie beispielsweise der eigenen kleinen Wohnung im Arbeitsviertel oder in der ländlichen Heimat, sodass man im Hintergrund Lärm aus der Nachbarwohnung hört oder Nutztiere und Felder sehen kann. Meiner Meinung nach wirken die Aufnahmen dadurch ebenfalls sehr authentisch und bilden die Lebenssituation zum Greifen nah nach, auch wenn die Tonqualität teilweise darunter leidet.

Alles in allem arbeitet der Film mit wenigen Effekten durch Musik, Schnitttechnik etc., sondern fokussiert sich auf eine nüchterne Erzählweise und versucht die Inhalte komplett aus der Perspektive der Shamate darzustellen. Die ZuschauerInnen werden während des Films nur wenig geleitet. So gibt es zum Beispiel keinen Einsatz von Voice-Over durch einen Erzähler, der den Betrachtenden Erklärungen geben könnte. Die einzigen strukturierenden Elemente, die in der Version mit englischen Untertiteln zum Einsatz kommen, sind gelegentliche Texteinblendungen, die im Stil an Internetforen der 2000er Jahre mit schwarzem Hintergrund und knallbuntem Text angelehnt sind. So wird am Anfang kurz der Hintergrund der Shamate-Communities erläutert und am Ende ein Fazit gezogen. Innerhalb des Filmes werden einzelne Aspekte beispielsweise die im Internet kursierenden Parodien der Shamate und die darauffolgende Zerschlagung der Communities kommentiert. In diesen Texteinblendungen wird oft ein gesellschaftliches Problem herausgestellt und zu diesem eine klare Position bezogen.

Die geringe Strukturierung ist meiner Meinung nach ein Kritikpunkt, den man bei dem Film anbringen könnte, da die Erzählstruktur teilweise nicht ganz klar ist und gelegentlich Fragen offenbleiben, wie zum Beispiel aus welcher Zeit und Quelle gezeigte Aufnahmen stammen. Auf der anderen Seite finde ich persönlich diese Wahl der Narration dennoch sehr passend, da sie so die ProtagonistInnen komplett in den Vordergrund stellt und die Geschichten wirklich aus ihrer eigenen Perspektive erzählen lässt.

Insgesamt unterstützt die Wahl der filmischen Mittel und der Erzählstruktur die Botschaft des Filmes sehr gut. Die präsentierten Informationen stammen alle aus erster Hand der beteiligten Personen und sind dadurch sehr authentisch und glaubwürdig. Die Dokumentation schafft es so, dass die Subkultur der Shamate von ihnen selbst erläutert wird und gleichzeitig klar auf gesellschaftliche Probleme hinzuweisen.

Persönlicher Eindruck und Fazit

Mein persönlicher Eindruck von der Dokumentation ist sehr positiv, da sie auf sehr emotionale Weise ein authentisches Bild der Shamate-Subkultur darstellt und es gleichzeitig schafft, gesellschaftlich relevante Themen wie Armut, Identitätssuche und Marginalisierung herauszustellen. Der Begriff 杀马特 hat sich in China zu einem Ausdruck entwickelt, der genutzt wird, um extravagant gekleidete oder übertrieben gestylte Menschen zu beschreiben, unabhängig davon, ob diese Personen wirklich der Shamate-Subkultur angehören oder nicht. Der Ausdruck wird dabei nicht selten mit einer abwertenden Konnotation oder als Beleidigung verwendet, was zeigt wie verbreitet die Marginalisierung dieser Subkultur auch Jahre nach ihrem Verschwinden noch ist. Vor diesem Hintergrund leistet die Dokumentation meiner Meinung nach einen wertvollen Beitrag, indem sie die Shamate selbst zu Wort kommen lässt und so auf respektvolle Weise ein neues Verständnis für die vorurteilsbehaftete Gruppe ermöglicht. Besonders das Ende der Dokumentation hat mich sehr berührt und nachdenklich gemacht. An vielen Stellen hat mich die Shamate-Subkultur zudem an die ungefähr zeitgleich in Europa und den USA populäre Emo-Subkultur erinnert und es war sehr interessant, hier Parallelen aber auch Unterschiede zu erkennen.

Aus diesen Gründen ist die Dokumentation aus meiner Sicht sehr sehenswert, da sie authentisch eine sehr spannende Subkultur in China betrachtet, auf gesellschaftlich relevante Probleme aufmerksam macht und dabei die Perspektive der Shamate in den Vordergrund rückt.

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Dieser Text ist Teil einer Reihe von studentischen Beiträgen aus unserem MA-Studiengang Chinastudien. Dieser Beitrag wurde im Rahmen eines Seminars über die Kontinuität und den Wandel der Armut(sreduktion) in der Ming-Dynastie und der Volksrepublik China verfasst.

Grain Production and Distribution in Maoist China (by Roland Zeidler)

China[1] has been an agricultural society for most of its history (Lardy 1983:7). In the mid-19th century, industrialisation became a desirable target and has been high on Chinese rulers’ agenda since. After 1949, under newly established communist rule, the founder of the People’s Republic of China, Mao Zedong, too, was highly ambitious to lead the country out of backwardness and on a path towards industrialised nations. In order to achieve this long-desired goal, he decided to both step up industrial capacities and simultaneously shift the agricultural production mode from private to collective farming. Collectivisation should enable the state to extract as much grain as possible for unfaltering support of the industry. During his nearly thirty years of reign, the land underwent an unprecedented reshaping of production and distribution routine in the agricultural sector. However, this process was not straightforward featured regional and ideological variations that sometimes gained modest success and sometimes even fabricated huge failures. Eventually, it was abandoned in 1978 after the reopening of the economy and the heralding of a new era of reforms.

In this essay, I first give a brief historical overview of the transformation of agricultural production under Mao. Second, I explore the phenomenon of clientelism in the grain distribution system. Against common belief, clientelism not only exists in corruptive elite levels of society but also flourished during the collectivisation period in the PR China. A special focus is laid on why clientelism played such an important role in the distribution system. For the theoretical foundation of this essay, I mainly draw on Jean C. Oi’s (1989) and Lardy’s (1983) extensive work on collectivisation.

In a liberal, market-driven agricultural system, the state normally plays a bystander role and interferes in the producer-consumer relationship only through taxation, incentives, or business regulations. Contrarily, in a centralised socialist planning system, the state meddles with this relationship by taking over the entire control of production and distribution (Oi 1989:1).

In the wake of Japanese occupation and civil war, extreme poverty and hunger favoured the call for a replacement of the long-established policy of extraction with a new system of production. Based on ideological claims (Scheidel 2018:223), the first land reform (土改tugai) brought brutal expropriation of land from landlords and rich peasants. After 1952, large numbers of previously poor peasants could eventually own a plot of land. A more equalised land ownership, tax reductions, and an economy, which in the early 50’s still was, to a certain degree, incentivised by market demands, resulted in increased agricultural productivity (Karl 2020:118). Lardy (1983:18-19) identifies this kind of economy as “indirect planning.”

A few years later, indirect planning, however, was replaced by “direct planning” (Lardy 1983:19) – a centralized quota system. The central leadership decided to move from privatized farming to a collective production routine with set prices, fixed production targets, allotted field management, and a tight grip on grain distribution in order to fully take control over the entire food production sector. Through this quota system, the non-agrarian, i.e. urban population, should receive optimal support for rapid transformation towards industrialisation (ibid. p.98). 

The land that just a few years ago has been distributed among individual peasant families was now collectivised and cultivated by small production teams (生产小队shengchan xiaodui). These mostly resembled naturally grown hamlets or smaller villages. From the teams, the harvest was then transferred to the brigade (生产大队shengchan dadui), where it was weighed and registered. The brigade consisted of local cadres, who mainly were peasants themselves, from the same area, and often team leaders or their relatives. Here, the grain became subject to state control. The transport from the brigade to the commune (公社gongshe) was then in the hands of state cadres, who organised the further distribution. These cadres were not directly related to the local community or involved in the production process. They were on the state’s payroll and acting on behalf of the state. The system of collectivisation was in place from 1956-1960, abandoned for a short period after the disastrous outcome of the Great Leap Forward (大跃进da yue jin), and reinstalled from 1966-1977 (Lardy 1983:19). 

Image 1: Sketch of the production process, marking the friction point position of the team leader. Source: author’s own design

During collectivisation, the state-society relationship was quite narrowly defined. The friction point, i.e. the point where both entities interact and collaborate, was impersonated by the team leaders (see image 1). At the same time, team leaders were both peasants and representatives of the state. In the brigade, agricultural products were going through their hands – from society to the state (Oi 1989:3). If the peasants needed (or wanted) to retain more grain than was originally allocated to them by the central administration, the team leaders were the appropriate link in the chain to be addressed with this concern (Oi 1989:6). They were the only people who had the means of manipulating numbers and accounts. Hence, maintaining a good relationship with their team leader was essential for the peasants. 

Oi (1989:7) identifies this as a typical patron-client relationship or clientelism: both sides benefit from this relationship. They can keep more grain, build mutual trust, and stand shoulder-to-shoulder against an extractive system. Moreover, it served as an appeasing method for dissatisfied team members and could serve as a success story for higher administrative levels. Both sides acted according to their own interests and, at the same time, bypassed the central government’s directive and established a new form of applied policy.

Oi (1989:7-9) regards this as a method of informal political participation. Due to the lack of meaningful forms of participation in communist systems, the masses often seem to have no choice but to build on bilateral personal ties. She even argues that the more stringent and inflexible a system is in its exercise of power, the more chances there are for circumventing the power cascade. On the lowest level of production and distribution, clientelism resembles the prevailing form of socialist reality. As long as there is inequality and a mere top-down approach to addressing this inequality, clientelism will be the natural way of any economic relationship (ibid. p.9).

In addition to the intrinsic clientelism factor in socialist agricultural production, there has been an ideological conflict as well that has kept the peasants reluctant to submit the demanded amount of grain. The fact that, on the one hand, the state deprived the peasants of their right to keep control over their own product (in order to push for industrialisation), but on the other hand, hailed them as the central part of the revolution, encouraged the peasants to think even more of alternative, individual, and informal solutions (Oi 1989:1).

This was exacerbated by the fact that the state would not only, as claimed, extract the surplus grain. In fact, the state demanded all the grain apart from the subtracted portion for fodder, seed grain, and the peasants’ ration, which often was too little. On top of that, the tax system was difficult to assess and often implemented arbitrarily or inaccurately, which increased the pressure on poorer areas or poor peasant families (ibid. p.21-23). 

The general reluctance of the peasants and teams to comply with state regulation and the role of the team leader to work as the link between state and society made it a logical consequence to establish an alternative method in order to sideline the socialist quota system in an effective way. The team leaders were relying on a productive team to fulfil the demands from above, but at the same time, they would not dare drive the team to its limits, which was prone to backfire sooner or later. Additionally, he/she was a member of the team as well. The system of clientelism, therefore, proved to be highly effective to juggle with and balance out failures or surpluses. 

Clientelism even involved the local cadres on the brigade level as well. The team leaders often sought a client-patron relationship with them, for they, too, belonged to the local community and partially shared a similar destiny with the peasants. After all, the welfare of the teams was part of their responsibility. Moreover, a good relationship with a team was beneficial for them in various aspects, e.g. the provision of rare items or rewards after a good harvest (Oi 1989:125-127). 

Consequently, a functioning micro-system was rewarding for the local community in any aspect. It not only put the team in a good bargaining position after a good harvest but also enabled the peasants to keep more grain for themselves after a bad harvest. Given this ‘self-regulating’ character of the clientelism system, it might not be too far-fetched to claim that the existence of this relationship, in its function as a buffer at the lowest level, was a saviour for the entire socialist quota system, even if not deliberately designed as such.

It may be worth further exploring whether or not village-level clientelism is indeed valid for all or most socialist-administered states or only for Maoist China. This has to be considered with regard to cultural characteristics, including religious, political, educational, geographical, or historical aspects. However, the close resemblance with guanxi as well as family ties, as Oi (1989:129) points out, might suggest a certain distinctiveness of the Chinese model.

Conclusively, in Maoist China, the huge transformation of agricultural production from a private to a collective model was initially received with optimism by a large portion of the public. However, with increasing control by the state, questionable implementation feasibility, and unfair and ideologically illegitimate extraction and distribution methods,dissatisfaction over the quota system was one of the main reasons why clientelism on a village level was thriving. Only a system built on personal relationships seemed to enable the peasants to cope with various challenges. However, as Oi (1989:104) puts it, this should not be regarded simply as corruption but as a guarantee for survival and peasant participation (ibid. p.8), which is based on the interests of individual actors and exists parallel to an official economic system.

References:

Karl, Rebecca E. (2020). China’s Revolutions in the Modern World: A Brief Interpretive History. Verso Books.

Lardy, Nicholas R. (1983). Agriculture in China’s modern economic development. Cambridge University Press.

Oi, Jean C. (1989). State and peasant in contemporary China: The political economy of village government. University of California Press.

Scheidel, Walter (2017). The Great Leveler. Violence and the History of Inequality from the Stone Age to the Twenty-First Century. Princeton University Press.


[1] In this context, the term “China” refers to the predominant Han-culture and most parts of the area inhabited by Han-people.

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This text is part of a series of student contributions from our MA program in China Studies. This contribution was written as part of a seminar on the continuity and changes of poverty (reduction) in the Ming Dynasty and the People’s Republic of China.

Survey Methods in Contemporary China Studies

This semester (SS23), as part of a social science research methods class, MA students of the Institute of Chinese Studies at Freie Universität Berlin conducted a survey among Chinese international students in Germany. The aim of the survey was to get a better understanding of the drivers of Chinese students studying in Germany and their experiences with integrating into German society. The survey results will be presented to various audiences, including policymakers and the academic community. Here you can find the preliminary results of the survey. We will update these as we further analyse the data.