Wie kann eine schulische Prüfungsleistung zum Thema Genomeditierung aussehen? Es folgt als Anregung der grobe Ablauf einer exemplarischen mündlichen Abiturprüfung (zwei Prüflinge, mit Powerpointpräsentation) mit den von den Lehrenden im Anschluss an die Präsentation gestellten Nachfragen.
Leitfrage: „Warum geht uns die Frage, ob Genomeditierung an der Keimbahn bei Embryonen ethisch vertretbar ist oder nicht, als Gesellschaft etwas an?“
Erster Teil: Powerpoint-Präsentation der zwei Schüler
Im ersten Teil stellten die Prüflinge das Thema und die Leitfrage vor und boten eine Einführung in die Technik der Genomeditierung und ihre möglichen Anwendungsbereiche.
Im zweiten Teil der Präsentation, die zur Beantwortung der Leitfrage führen soll, wurde zuerst die gegenwärtige rechtliche Situation skizziert und dann auf die ethischen Aspekte eingegangen. (Dabei lag der Fokus der Prüflinge auf den Konzepten der Menschen- und Gattungswürde und der Autonomie, inkl. der reproduktiven Autonomie.)
Zweiter Teil: Nachfragen der Prüfer:innen
Der zweite Block der Prüfung bestand aus einer Fragerunde der anwesenden Lehrkräfte, die jeweils unterschiedliche thematische Schwerpunkte zwischen Philosophie/Ethik und Biologie setzten.
Fragen zum Utilitarismus (bzw. zu Nutzenabwägungen)
- Wie tauglich ist Ihrer Meinung nach der Utilitarismus zur Beurteilung der Ausgangsfrage? Gibt es andere Faktoren, die einzubeziehen sind und die von einer utilitaristischen Herangehensweise nicht eingefangen werden?
- Wie würde eine Utilitaristin gemäß dem Nutzenprinzip die genetische Modifizierung von Tieren zur Ertragssteigerung bewerten? [Die Prüflinge hatten als Beispiel den Fall eines genetisch modifizierten Huhns ohne Federn vorgestellt, das deshalb einfacher zu verarbeiten ist.] Was halten Sie in diesem Fall von der utilitaristischen Beurteilung anhand des Nutzenprinzips?
- Was wird hier überhaupt gesteigert? Wenn das Ziel ist, mehr hungrige Menschen mit Essen zu versorgen, wird das durch die genetische Modifizierung direkt erreicht?
- Wem nutzt eine Steigerung der Gehirnkapazität des Menschen (im Unterschied zu einer Optimierung von Tieren oder Pflanzen)?
Fragen zu Gefahren des Eingriffs in biologische Systeme
- Darf man Menschen optimieren? Was ist mit der Bedeutung der Variabilität innerhalb einer Art?
- Können Sie die Rolle der Individualität, insbesondere der genetischen Individualität innerhalb einer Art in die Bewertung miteinbeziehen?
- Inwiefern darf die Gesellschaft in den Vorgang der natürlichen Selektion eingreifen?
- Wir könnten z.B. Unfruchtbarkeit, die durch Genomeditierung beseitigt werden könnte [ein von den Prüflingen genannter Anwendungsbereich der Genomeditierung], im Kontext der natürlichen Selektion als präzygotische Verhinderung der Fortpflanzung ansehen. Dann wäre die Beseitigung dieser Unfruchtbarkeit ein Eingriff in die natürliche Selektion. Ist dies erlaubt?
Fragen zur Missbrauchsgefahr
- Wir haben in unserer Gesellschaft sehr starke Erfahrungen gemacht mit dem Missbrauch von Technik. Wie ist in dieser Hinsicht die Genomeditierungstechnik zu beurteilen?
- Kann es vertretbar sein, die Forschungsfreiheit über die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu stellen?
Diskursausblick
- Wenn wir bejahen, dass die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit der Genomeditierung für die Gesellschaft wichtig ist: Wie könnte dann eine gesellschaftliche Diskussion dazu aussehen?