Ein Beitrag von Sebastian Brodkorb, Julia Dietrich und Annett Wienmeister
Bei der Sichtung von Unterrichtsmaterialien im Bereich der Angewandten Ethik bzw. der Bioethik ist uns immer wieder aufgefallen, wie unterschiedlich die jeweils naturwissenschaftlichen und ethischen Voraussetzungen für die ethische Urteilsbildung in diesen Materialien dargestellt werden. Häufig ist dies mit medialen Stereotypen verbunden, die „heimliche Botschaften“ zum Anspruch und zur Leistungsfähigkeit von Naturwissenschaft und Ethik senden. So wird zum Beispiel bereits im Titel unseres Beitrags ein solches Stereotyp zitiert: „Genome Editing. Wissenschaftliche Grundlagen und ethische Fragen“. Aha: Wissenschaft und Ethik werden gegenübergestellt, so, als ob Ethik keine Wissenschaft sein könne – denn implizit ist ja klar, dass mit „Wissenschaft“ eigentlich nur „Naturwissenschaft“ gemeint ist. Und dann braucht man erst einmal Grundlagen, bevor es an die Ethik gehen kann – aber diese Grundlagen kommen allein aus der Naturwissenschaft und nicht etwa auch aus der Ethik selbst, die im Übrigen darauf reduziert wird, dass sie Fragen stellt, so als ob sie nicht auch Antworten zu bieten hätte. Da ist doch schon naheglegt, welche Disziplin leistungsfähiger ist, oder?!
Die stereotypischen Darstellungsformen sind nicht unbedingt im engeren Sinne falsch – denn es gibt ja tatsächlich wissenschaftliche Grundlagen und ethische Fragen. Aber sie sind eben sehr einseitig und treffen theoretische Vorentscheidungen, die nicht mehr als solche transparent sind. In ihrer Einseitigkeit, Allgegenwart und Gesamtheit können sie dazu führen, dass die Ethik immer als die schwächere Disziplin erscheint, welche auf naturwissenschaftliche Entwicklungen nur fußlahm reagieren kann und in der es weniger zu wissen, zu können und zu lernen gibt – und das hat uns natürlich geärgert. Wir haben daher viele Stereotype, Einseitigkeiten und heimliche Botschaften in einem einzigen Poster zusammengestellt, wobei wir uns das Meiste aus tatsächlich publizierten Unterrichtsmaterialien abgeschaut und einfach nur auf das Genome Editing beim Menschen übertragen haben. Wir mussten am Schluss dieses Poster mit einem warnenden roten Rand versehen, denn viele Kolleg_innen, denen wir es bei der Planung gezeigt haben, haben es für ein echtes und gutes Unterrichtsmaterial gehalten.
Bei der Suche nach den „kritischen Punkten“ kann man sich von einigen Grundzügen einer Didaktik der Angewandten Ethik leiten lassen und sich z. B. fragen: Wird ein nicht-reduktionistisches Wissenschaftsverständnis ermöglicht, dass nicht nur die Anwendungsdimension einer technischen Entwicklung, sondern z. B. auch den Forschungsprozess selbst als eine ergebnisoffene und ethisch relevante Praxis umfasst? Inwiefern wird auch die Ethik als eine wissenschaftliche Disziplin deutlich, in der es intersubjektive Standards gibt? In welcher Form wird die Interdisziplinarität zwischen beiden charakterisiert und wie wird deutlich, dass für die ethische Urteilsbildung beide gleichberechtigt notwendig sind? Und übergreifend: Werden mit der medialen Darstellungsweise bereits bestimmte naturwissenschaftliche, ethische oder philosophische Vorannahmen, Thesen, Positionen oder Deutungen nahegelegt?
Natürlich spiegeln sich in Materialien auch didaktisch-methodische Entscheidungen wider, die vom jeweiligen Lehr-Lernziel in Bezug auf eine bestimmte Lerngruppe geleitet sind, so dass manche Vereinfachungen in bestimmten Kontexten notwendig sind. Wir haben daher auch keine „Musterlösung“, aus der heraus sich ergäbe, was legitim ist und was nicht. Es geht uns hier vor allem darum, den Blick für die allzu selbstverständlichen, immer gleichen Darstellungsformen zu schärfen.
Wieviele Stereotypen, Einseitigkeiten und heimliche Botschaften sind im Poster versteckt?! Es sind nicht nur die, die wir mit einem „minus“ markiert haben! Wer die meisten findet, gewinnt!