Kritik an der Begründungsbeziehung

Ein Beitrag von Annett Wienmeister

Wenn wir kritisch hinterfragen, inwiefern die Prämissen die Konklusion stützen, schauen wir nicht, ob die Prämissen wahr oder falsch sind, sondern ob der Übergang von den Prämissen zur Konklusion gut ist oder nicht. Eine Kritik an der Begründungsbeziehung kann für verschiedene Arten von Argumenten vorgenommen werden. Im Folgenden zeigen wir dir zunächst am Beispiel der sogenannten deduktiven Argumente, wie sich Argumente mit einer guten Stützungbeziehung von Argumenten unterscheiden, bei denen der Übergang von den Prämissen zu den Konklusionen nicht gut ist.

Deduktive Argumente

Wenn man ein deduktives Argument vorbringt, erhebt man den Anspruch, dass es schlüssig ist. Schlüssig ist ein Argument, wenn gilt, dass die Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusion gewährleistet. [1] Einfacher ausgedrückt: Wenn die Prämissen wahr sind, dann muss auch die Konklusion wahr sein. Hier einmal ein sehr einfaches Beispiel:

  1. Susanne ist eine Ethikerin. (Prämisse 1)
  2. Alle Ethikerinnen sind sterblich. (Prämisse 2)
  3. Susanne ist sterblich. (Konklusion)

Man sieht leicht, dass die Konklusion wahr ist, wenn es der Fall ist, dass die Prämissen wahr sind. Um die Schlüssigkeit eines deduktiven Arguments zu prüfen, müssen wir aber die Frage, ob die Prämissen wahr sind, überhaupt nicht klären. Denn die Schlüssigkeit ergibt sich allein aus der Form des Arguments. Das wird deutlich, wenn wir für die Begriffe „Susanne“, „Ethikerin“ und „sterblich“ Buchstaben als Platzhalter einfügen: g für „Susanne“, H für „Ethikerin“ und I für „sterblich“.

  1. g ist H. (Prämisse 1)
  2. Alle H sind I. (Prämisse 2)
  3. g ist I. (Konklusion)

Wir sehen also, dass deduktive Argumente allein aufgrund ihrer Form schlüssig sind. Zwei weitere sehr bekannte deduktive Argumentschemata haben die folgende Form (und besondere Namen):


Modus Ponens 

  1. Wenn p, dann q. (Prämisse 1)
  2. p. (Prämisse 2)
  3. q. (Konklusion)

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: P1: „Wenn Struppi ein Hund ist, dann ist er ein Tier.“ P2: „Struppi ist ein Hund.“ K: „Also ist Struppi ein Tier.“

Modus Tollens 

  1. Wenn p, dann q. (Prämisse 1)
  2. Nicht q. (Prämisse 2)
  3. Nicht p. (Konklusion)

Wenn wir wieder das Hundebeispiel nehmen, ergibt sich folgender Modus Tollens: „P1: Wenn Struppi ein Hund ist, dann ist er ein Tier.“ P2: „Struppi ist kein Tier.“ K: „Also ist Struppi kein Hund.“

Aus den schlüssigen Argumentschemata des Modus Ponens und des Modus Tollens können Fehlschlüsse werden, wenn man eine Kleinigkeit an ihnen verändert: beim Modus Ponens durch die Bejahung des Nachsatzes (q) anstelle des Vordersatzes (p) und beim Modus Tollens durch die Verneinung des Vordersatzes (p) anstelle des Nachsatzes (q):

Fehlschluss der Bejahung des Nachsatzes

  1. Wenn p, dann q. (Prämisse 1)
  2. q. (Prämisse 2)
  3. p. (Konklusion)

Nehmen wir wieder unser Hundebeispiel: „P1: Wenn Struppi ein Hund ist, dann ist er ein Tier.“ P2: „Struppi ist ein Tier“ K: „Also ist Struppi ein Hund“. Stellen wir uns die Frage, ob es sich hier um ein schlüssiges deduktives Argument handelt, von dem gilt, dass die Konklusion wahr sein muss, falls die Prämissen wahr sind. Dies ist mitnichten der Fall. Denn es könnte sein, dass Struppi eine Katze ist. 

Fehlschluss der Verneinung des Vordersatzes

  1. Wenn p, dann q. (Prämisse 1)
  2. Nicht p. (Konklusion)
  3. Nicht q. (Konklusion)

Für unser Hundebeispiel ergibt sich folgendes Argument: „P1: Wenn Struppi ein Hund ist, dann ist er ein Tier.“ P2: „Struppi ist kein Hund.“ K: „Also ist Struppi kein Tier“. Auch hier gilt wieder: Struppi könnte eine Katze und somit ein Tier sein. Es handelt sich also nicht um ein schlüssiges deduktives Argument.

Bei beiden Fehlschlüssen handelt es sich um formale Fehlschlüsse, weil sie nicht schlüssig sind. Die Wahrheit der Prämissen gewährleistet nicht die Wahrheit der Konklusion.

Normative Argumente

Im Rahmen normativer Argumentationen gibt es einen Fehlschluss, den du kennen solltest, den Sein-Sollen-Fehlschluss. Er ist auch bekannt als Verstoß gegen das Humesche Gesetz, weil der Philosoph David Hume als einer der ersten auf diesen Fehlschluss hingewiesen hat. Einen Sein-Sollen-Fehlschluss begeht man, wenn man aus rein deskriptiven Prämissen auf eine normative Konklusion schließt, das heißt, wenn man aus reinen Beschreibungen, wie die Welt ist, folgert, dass es auch so sein soll, wie es ist. Der normative Gehalt der Konklusion ist ja aber gerade das, was bei normativen Argumenten zur Debatte steht und rein deskriptive Prämissen können die Begründung dieses Gehalts nicht leisten. Hier ein Beispiel:

Sein-Sollen-Fehlschluss

  1. Alle Schüler_innen der Klasse 2b geben regelmäßig ihre Hausaufgaben ab. (Prämisse 1)
  2. Anna ist Schülerin der Klasse 2b. (Prämisse 2)
  3. Anna soll auch regelmäßig ihre Hausaufgaben abgeben. (Konklusion)

Auf den ersten Blick ähnelt dieses Argument dem deduktiven Argument oben zur Sterblichkeit der Ethikerin. Hier aber hat sich in die Konklusion eine normative Forderung eingeschlichen, die nicht in der ersten Prämisse genannt ist. Die Wahrheit bzw. Richtigkeit[2] der Konklusion – die Sollensforderung – ergibt sich also nicht zwingend aus der Wahrheit bzw. Richtigkeit der Prämissen. Dieser Fehlschluss lässt sich jedoch leicht beheben, indem man die fehlende normative Prämisse einfügt, für unser Beispiel also: „Alle Schüler_innen der Klasse 2b sollen regelmäßig ihre Hausaufgaben abgeben“. Über diese normative Prämisse ließe sich natürlich kritisch diskutieren. Wenn es aber richtig ist, dass alle Schüler_innen der Klasse 2b regelmäßig ihre Hausaufgaben abgeben sollen, dann trifft das auch auf Anna zu. Wir haben es wieder mit einem schlüssigen deduktiven Argument zu tun.

Nicht-deduktive Argumente

Während für deduktive Argumente gilt, dass, wenn die Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr sein muss, ist dies bei einer anderen Gruppe von Argumenten nicht der Fall – den sogenannten nicht-deduktiven Argumenten. Eine bekannte Untergruppe der nicht-deduktiven Argumente sind induktive Argumente, beispielsweise Verallgemeinerungen: Wenn ich etwa daraus, dass alle bisher beobachteten Schwäne weiß sind, schlussfolgere, dass alle Schwäne weiß sind, bringe ich ein induktives Argument vor. Zu beachten ist, dass bei induktiven Argumenten die Wahrheit der Prämissen nicht die Wahrheit der Konklusion erzwingt, sondern diese lediglich wahrscheinlich macht. Wir sprechen bei induktiven Argumenten deshalb nicht davon, dass sie schlüssig sind, sondern dass sie mehr oder weniger stark sind. Die Stärke induktiver Argumente hängt davon ab, wie wahrscheinlich die Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusion macht, in welchem Maße also die Prämissen die Konklusion plausibel machen. Würde man aus zwei beobachteten Schwänen schließen, dass alle Schwäne weiß sind, wäre das nicht sehr plausibel. Sehr viel wahrscheinlicher ist die Konklusion in der Tat jedoch, wenn alle bisher beobachteten Schwäne weiß waren. Wir könnten aber auch aus diesem Umstand nicht schlussfolgern, dass alle Schwäne weiß sind – die Beobachtung eines roten Schwans würde genügen, um die Konklusion, dass alle Schwäne weiß sind, zu widerlegen. Wir können die Begründungsbeziehung induktiver Argumente kritisieren, indem wir anzweifeln, ob die Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusion ausreichend wahrscheinlich oder plausibel macht.


[1] Oftmals wird anstelle des Begriffs „schlüssig“ auch der Begriff „gültig“ verwendet. Hier verwenden wir lieber den Begriff „schlüssig“, weil es um den Übergang von den Prämissen zur Konklusion, also vom Schluss von den Prämissen auf die Konklusion, geht.

[2] Manchmal wird für normative Aussagen nicht der Begriff der „Wahrheit“ verwendet, weil normative Aussagen keine Aussagen über bereits bestehende Zustände der Welt sind, wie sie in deskriptiven Aussagen behauptet werden. Sie sind also nicht auf gleiche Weise wahr oder falsch. Um dieser Unterscheidung Rechnung zu tragen, können wir sagen, dass normative Aussagen richtig oder nicht richtig sind.