Ethik und Naturwissenschaft

Die Entwicklung und Erforschung des Genome Editing fällt in den Bereich der Molekularbiologie. Wie wir mit dieser Technik umgehen wollen, kann uns diese Wissenschaft aber nicht allein vorgeben. Wir brauchen stattdessen einen interdisziplinären Ansatz. Welche Rolle kommt dabei der Naturwissenschaft, welche der Ethik zu? Wie ergänzen sie sich im gesellschaftlichen Diskurs?

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Ethik in den Naturwissenschaften¹

Dr. Lilian Marx-Stölting

Viele naturwissenschaftliche Entwicklungen haben gesellschaftliche Auswirkungen und sind mit ethischen Fragen verbunden. Diese zu erkennen und dazu Stellung zu beziehen ist nicht nur Aufgabe von professionellen EthikerInnen (etwa PhilosophInnen oder TheologInnen), die dann den NaturwissenschaftlerInnen und der Gesellschaft vorschlagen, was sie tun sollen, sondern auch Teil der Verantwortung der NaturwissenschaftlerInnen selber. Dies steht im Widerspruch zu einem Verständnis von Naturwissenschaften als rein beschreibend und möglichst neutral, nicht wertend. Allerdings ist bereits die Auswahl und Förderung bestimmter Forschungsthemen gegenüber anderen mit Wertungen verbunden. Außerdem können NaturwissenschaftlerInnen als Erste Konsequenzen ihrer Forschung erkennen, ggf. die Gesellschaft frühzeitig warnen und Wege aufzeigen, wie die weitere Entwicklung gesteuert werden könnte.

Beim Genome Editing gab es verschiedene Aufrufe beteiligter WissenschaftlerInnen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, ein Moratorium (einen zeitlich befristeten Forschungsstopp) zu veranlassen, um die mit der Keimbahntherapie verbundenen Fragen klären zu können, bevor Fakten geschaffen werden, in diesem Fall bevor die Technik zur Keimbahntherapie eingesetzt werden würde. Diese Aufrufe brachten das Thema ins Bewusstsein der Medien. Das Moratorium konnte jedoch bislang nicht durchgesetzt werden. Außerdem konnte die Geburt der ersten gentechnisch manipulierten Zwillinge Lulu und Nana in China nicht verhindert werden. Dieser frühe und ethisch höchst problematische Eingriff wurde jedoch seitens der Wissenschaftlichen Gemeinschaft scharf verurteilt und der verantwortliche Wissenschaftler wurde auch bestraft. Inzwischen wurden von verschiedenen Gremien Vorschläge für Kriterien unterbreitet, die erfüllt sein müssten, bevor ein verantwortbarer Einsatz von Keimbahntherapien möglich wäre. Hierzu gehören etwa die medizinische Notwendigkeit und Alternativlosigkeit des Verfahrens, der zu erwartende große Nutzen, die technische Beherrschbarkeit der Methode, die Durchführung von Langzeitstudien, die Aufklärung und informierte Einwilligung der Eltern, die Einbeziehung der Gesellschaft in die Debatten um die Zulässigkeit der Methode und viele mehr.

Um über mögliche Entwicklungspfade für die Zukunft entscheiden zu können, ist die Zusammenarbeit ganz verschiedener Disziplinen und die Einbeziehung der Öffentlichkeit wichtig. Der Beitrag der Naturwissenschaften liegt dabei nicht nur in der Bereitstellung von Hintergrundinformationen und Fakten, sondern auch im Aufzeigen von Unsicherheiten, möglichen Alternativen und Problemlösungen. Wo es verschiedene Handlungsmöglichkeiten gibt, müssen diese bewertet und gut begründete Entscheidungen getroffen werden, womit die Ethik ins Spiel kommt, die ja nach dem richtigen Handeln fragt und deren Kerngeschäft es ist, Entscheidungen unter Rückgriff auf Werte, Prinzipien, Tugenden oder bestimmte Verfahren zur Entscheidungsfindung zu begründen. Ethik und Naturwissenschaften sind somit eng miteinander verwoben. Bei der Keimbahntherapie kann beispielsweise darüber gestritten werden, ob diese überhaupt medizinisch notwendig ist, da es Alternativen gibt. Es ist eine Aufgabe der NaturwissenschaftlerInnen, solche Handlungsalternativen im Blick zu behalten und auch außerhalb der Wissenschaft zu kommunizieren, um die Bevölkerung umfassend zu informieren und eine einseitige Meinungsbildung zu verhindern.

So ist etwa bei der überwiegenden Mehrzahl der monogenen Erbkrankheiten (also von Erkrankungen, die durch Abweichungen in einem bestimmten Gen hervorgerufen werden) eine Präimplantationsdiagnostik (PID) möglich. Darunter versteht man die genetische Diagnostik nach künstlicher Befruchtung und vor der Übertragung des Embryos in die Gebärmutter. Bei dem Verfahren werden der Frau mehrere Eizellen entnommen und diese außerhalb des Mutterleibes künstlich befruchtet. Den sich entwickelnden Embryonen werden dann in einem frühen Stadium Zellen entnommen, um sie auf bestimmte genetische Merkmale zu testen, die im Verlauf der weiteren Entwicklung zu einer bestimmten Erbkrankheit führen würden. Danach werden diejenigen Embryonen ausgewählt, die diese Merkmale nicht tragen. und nur sie werden in die Gebärmutter eingepflanzt, wo sie sich bis zur Geburt weiterentwickeln. Durch diese Selektion kann die Geburt von Kindern mit bestimmten Erbkrankheiten verhindert werden, aber um den sehr hohen Preis, dass die Embryonen „verworfen“ oder eingefroren werden, bei denen zur Krankheit führende Gene nachgewiesen wurden. Aus diesem Grund ist auch die Methode der Auswahl von Embryonen mit der PID ethisch umstritten und in Deutschland nur unter sehr strengen Auflagen möglich. Ein Argument für die Keimbahntherapie ist daher, dass es doch besser sei, betroffene Embryonen zu heilen, als sie zu verwerfen. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt auch eine gezielte Heilung durch Genome Editing eine PID erfordert und somit die entsprechenden ethischen Bedenken hervorruft.

Nehmen wir als Beispiel die Krankheit zystische Fibrose (auch Mukoviszidose genannt). Hierbei handelt es sich um eine Krankheit, bei der es zu zähflüssigen Körperflüssigkeiten und damit auch zu erhöhter Schleimbildung in der Lunge kommt und die früher oft schon im Kindesalter tödlich endete. Für diese Krankheit wäre zum Beispiel eine Keimbahntherapie bei Embryonen denkbar. Jedoch müsste auch in diesem Fall zunächst eine PID durchgeführt werden, um festzustellen, welche Embryonen voraussichtlich von der Krankheit betroffen wären. Dann müsste die Keimbahntherapie durchgeführt werden und anschließend deren Erfolg mit einer weiteren PID kontrolliert werden. Alternativ könnte man stattdessen auch gleich mit einer PID ohne Keimbahntherapie die Embryonen auswählen und übertragen, die das Krankheitsrisiko nicht tragen. Außerdem gibt es bei der Mukoviszidose inzwischen auch Therapieoptionen, die ein Leben mit der Krankheit ermöglichen.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, bei denen bei einer PID keine nicht betroffenen Embryonen erzeugt werden können. (Etwa dann, wenn beide Eltern dieselbe rezessive genetische Erbkrankheit ausgebildet haben, also sowohl von der Mutter, als auch vom Vater nur Keimzellen mit dem Merkmal gebildet werden können. Oder wenn ein Elternteil homozygot für eine dominant vererbte Erbkrankheit ist, also zweimal dasselbe Allel trägt und es daher auf jeden Fall an alle Keimzellen weitergibt). Dann wäre eine Keimbahntherapie die einzige Option, ein nicht von der Krankheit betroffenes gemeinsames genetisch verwandtes Kind zu erzeugen. Diese Fälle sind jedoch äußerst selten.

Zum Zeitpunkt der Feststellung eines embryonalen Gendefektes ist außerdem oft nicht klar, wie stark sich die Krankheit oder Beeinträchtigung in diesem Menschen ausprägen würde, wenn er als Embryo nicht behandelt werden würde. Das Ausmaß des Nutzens ist also im Einzelfall unklar und eine Abwägung gegen Risiken oder Nachteile schwierig.

Was in einem Land erlaubt sein soll und was verboten, ist letztlich dann eine politische Entscheidung. Um diese demokratisch zu legitimieren, fordern alle Stellungnahmen zum Thema einen breit angelegten öffentlichen Diskurs.

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Quelle: https://www.cartoonistgroup.com/properties/peters/art_images/MP081001.jpg

¹ Das diesem Beitrag zu Grunde liegende Verständnis einer „Ethik in den Wissenschaften“ wurde vom Interdisziplinären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen geprägt. Für mehr Informationen siehe: https://uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/internationales-zentrum-fuer-ethik-in-den-wissenschaften/das-izew/ueber-das-izew/ [6.11.2020]