Hinterfrage die Metaphern des Genome Editing

Ein Beitrag von Yoo Yung Lee

Metaphern in den Naturwissenschaften und Wissenschaftskommunikation

Im traditionellen Sinne wurden Metaphern oft als sprachliche Mittel verstanden, die einem stilistischen bzw. poetischen Zweck dienen und ausschmückenden Charakter haben. Daher mag es auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass die Metaphern auch in den naturwissenschaftlichen Disziplinen, wie in der Genetik, verwendet werden. Hier wollen wir gemeinsam die Sprache des Genome Editings in den Medien genauer analysieren. Welche Metaphern kommen in der Wissenschaftskommunikation vor und welche Rolle spielen sie denn bei der ethischen Urteilsbildung über das Genome Editing?

Was ist eigentlich eine Metapher? Schauen wir uns zunächst die Definition des Dudens an: Eine Metapher ist ein „sprachlicher Ausdruck, bei dem ein Wort (eine Wortgruppe) aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem verdeutlicht“ [1]. Wie das Wörterbuch schön sagt, ist eine Metapher eine Übertragung von Bedeutung aus einem Begriff zum anderen anhand irgendeiner Ähnlichkeit.

Mein Herz brennt für dich. Wenn man diesen Satz einmal liest, wird deutlich, dass mit „Herz“ nicht das Organ selbst gemeint ist, sondern der verliebte Mensch bzw. seine Liebe zu jemandem. Und warum? Weil er auf folgendem metaphorischen Schema beruht [2]:

  • DER KÖRPERTEIL STEHT FÜR DIE PERSON. Für unser Beispiel: Jemandes Herz gewinnen.
  • ORGANE [HERZ] WERDEN VERSTANDEN ALS BEHÄLTER VON GEFÜHLE [LIEBE, BEGEHREN]. Für unser Beispiel: Das Herz bis zum Hals schlagen.
  • LIEBE HÄNGT MIT TEMPERATURSTEIGERUNG ZUSAMMEN. Für unser Beispiel: Jemandem wird warm ums Herz.

Emotionen wie Liebe sind abstrakte Begriffe, die schwer zu fassen sind und werden daher durch Metaphern im Sinne von etwas Konkretem, Visualisierbarem und Spürbarem verstanden. Diese metaphorische Übertragung kann für uns als Sprecher/innen und Hörer/innen bewusst stattfinden. In den allermeisten Fällen geschieht sie allerdings unbewusst und systematisch. Metaphern sind ein konstitutiver Teil von unserem Sprachgebrauch, sie dienen der Konzeptualisierung und daher unserem Verständnis der Welt. Schauen wir uns einige weitere Beispiele an, um dies besser zu verstehen!

Nehmen wir folgende Beispielsätze aus dem einflussreichen Buch Metaphors we live by (1980) von dem Linguisten George Lakoff und dem Philosoph Mark Johnson [2]:

  • “Your claims are indefensible.”

Deine Behauptungen sind unhaltbar.

  • “He attacked every weak point in my argument.”

Er hat jede Schwachstelle in meinem Argument angegriffen.

  • “His criticisms were right on target.”

Seine Kritik traf genau ins Schwarze.

  • “I’ve never won an argument with him.”

Ich habe nie einen Streit mit ihm gewonnen.

Mit diesen Sätzen wird ein bestimmtes Denkmuster verwendet: nämlich die Darstellung eines Streites oder einer argumentativen Auseinandersetzung als verbaler Kampf. Wenn ein Argument als verbaler Kampf und unser/e Gesprächspartner/in dementsprechend als ein/e Gegner/in gesehen werden, gegen den/die wir „den Kampf“ gewinnen oder verlieren können, werden laut Lakoff und Johnson die Opposition und der Wettbewerb zwischen den Gesprächspartnern betont und die kooperativen Aspekte eines Arguments ausgeblendet, wie z.B. dass wir dem anderen Zeit und Aufmerksamkeit widmen, um zu einem gegenseitigen Verständnis zu gelangen.

Also wir können Folgendes feststellen: Erstens, dass Metaphern in der Alltagssprache allgegenwärtig sind – sie sind die Norm, nicht die Ausnahme. Zweitens bieten Metaphern einen Interpretationsrahmen für das Verständnis der Wirklichkeit – sie beeinflussen unsere Wahrnehmung der Welt und unser Denken, indem sie bestimmte Aspekte eines Konzepts oder eines Ereignisses in den Vordergrund stellen, während andere in den Hintergrund treten. Da die systematische Anwendung von solchen Metaphern unser Denken strukturieren können, sind sie nicht nur ein linguistisches, sondern auch ein kognitives Phänomen.

Betrachten wir nun die Metaphern im Diskurs des Genome Editing.

Metapher Identifikation: X für CRISPR/Cas9

Wenn Metaphern also allgegenwärtig sind, ist es nicht verwunderlich, dass sie auch in den Naturwissenschaften zu finden sind. Besonders in der Genetik sind viele Metaphern inzwischen tief verankert und zu einem konstitutiven Bestandteil der Theorie geworden.

Jetzt bist du dran!

Vielleicht hast du inzwischen auch bemerkt, dass der Ausdruck Genome Editing (Genom-Editierung, Genom-Bearbeitung) selbst metaphorisch ist. Welche Metaphern denkst du, werden mit der Biotechnologie Genome Editing, und speziell für CRISPR/Cas9 häufig verwendet?

N.B. Die anderen Alternativen in dieser Übung sind nicht falsch. Die „Antworten“ sind nämlich die Metaphern, die häufiger vorkommen.

Hier unten sind nun zwei Videos, die das CRISPR-System erklären. Wir empfehlen dir, die Videos mehrmals anzuschauen. Schaue dir die Videos zunächst an, um einen allgemeinen Überblick über die Erklärung von CRISPR zu erhalten. Welche Bilder werden zur Beschreibung von CRISPR verwendet? Wie unterscheiden sich die Erklärungen voneinander?  


ACHTUNG: Daten nach YouTube werden erst beim Abspielen des Videos übertragen.

ACHTUNG: Daten nach YouTube werden erst beim Abspielen des Videos übertragen.

Jetzt schaue dir die Videos ein zweites Mal an und konzentriere dich auf die sprachlichen Ausdrücke, die hier verwendet werden.

Notiere alle weiteren metaphorischen Ausdrücke, die dir auffallen auf einem Papier!

Nun hast du die Metaphern für CRISPR identifiziert. Welche Assoziationen hast du mit den oben genannten Bildern? Versuche auch deine Eltern und Freunde zu fragen, welche Assoziationen ihnen in den Kopf kommen.

Wusstest du das?
In einer Studie über die Metaphern für CRISPR in den britischen und deutschen Zeitungsartikeln von 2013 bis 2020 wurde festgestellt, dass in der deutschen Presse die Metaphern des Schneidens (Schere, Schneidwerkzeug, Schnipseleien, Messerchen) etwa doppelt so häufig vorkommen wie die Metapher von CRISPR als Schreibwerkzeug (Genom-Editier-Werkzeug, Genombearbeitungsmethode). In der britischen Presse finden wir die umgekehrte Tendenz: die Editiermetapher ist mehr als sechsmal häufiger zu finden als die Metapher des Schneidens [5]. Welche Auswirkungen könnten diese verschiedenen Metaphern auf unsere Wahrnehmung der Biotechnologie haben?

Fazit: Die Ethik von Metaphern

Mit diesen Übungen wollen wir keineswegs andeuten, dass Metaphern an sich schädlich sind oder vermieden werden sollten. Im Gegenteil sind Metaphern ein integraler Bestandteil der Alltagssprache und sie spielen eine besonders wichtige Rolle in der öffentlichen Wissenschaftskommunikation – also bei der Vermittlung von Expertenwissen an ein Laienpublikum. Es ist jedoch wichtig, über die verwendeten Metaphern nachzudenken, da sie zwangsläufig vordefinierte Aspekte eines Phänomens hervorheben und verbergen. Sich dessen bewusst zu sein, was nicht erwähnt oder was in den Hintergrund gestellt wird, kann uns helfen, kritischer über das Thema nachzudenken und zu einem ausgewogeneren moralischen Urteil zu gelangen.

Referenzen:

[1]: https://www.duden.de/rechtschreibung/Metapher

[2]: Die Beispiele stammen aus: Gutiérrez Pérez, Regina (2008): A Cross-Cultural Analysis of Heart Metaphors. In: Revista Alicantina de Estudios Ingleses 21 (21), 25-56. Universidad de Alicante.

[3]: Lakoff, George/Johnson, Mark (1980): Metaphors we live by. Chicago: Chicago University Press. S. 4.

[4]: https://www.spektrum.de/magazin/genetisches-alphabet-verdoppelt/1649196

[5]: Lee, Yoo Yung (2020): Genome editing or genome cutting? Communicating CRISPR in the British and German press. In: Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association 8 (1), 45-66. Berlin/Boston: DeGruyter. DOI: https://doi.org/10.1515/gcla-2020-0004