Genom-Editing durch CRISPR/Cas9 – ein illegitimer Eingriff in das menschliche Erbgut?

Ein Überblick verschiedener Meinungslager

Ein Beitrag von Aynisa Rende, Jules Link und Ömer Faruk Saka und ihrem Lehrer Hussein Chahine

Die bahnbrechende Entdeckung der CRISPR/Cas9-Methode von Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna hebt das Genom Editing auf ein ganz neues Level. Von dieser Methode erhofft sich die Wissenschaft, bisher unheilbare Krankheiten zu bekämpfen bzw. diesen vorbeugen zu können. Allerdings bringt CRISPR/Cas9 nicht nur Vorteile mit sich, weil diese Methode einen tiefgehenden Eingriff in die menschliche Zellkeimbahn und eine damit einhergehende nachhaltige Veränderung des menschlichen Erbguts ermöglicht. Eine solche Methode sorgt entsprechend für viel Wirbel in der Gesellschaft, vor allem auf politischer und ethischer Ebene und wird kontrovers diskutiert.

Kritiker befürchten, dass diese Methode nicht nur zur Erforschung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten, sondern auch beispielsweise zur aktiven Gestaltung von sogenannten Wunschbabys, auch bekannt als „Designerbabys“, missbraucht werden könnte.

Unterschiedliche Meinungslager in der gesellschaftlichen Diskussion

In der gesellschaftlichen Diskussion lassen sich daher auch verschiedene Meinungslager erkennen.

Große Befürworter der Technik des Genom-Editing sind natürlich Wissenschaft und Medizin. Menschen könnten durch die CRISPR/Cas9-Genschere vor Erbkrankheiten bewahrt bzw. von diesen geheilt werden, was einen großen Meilenstein in der Wissenschaft darstellen würde. Durch die Entdeckung der CRISPR/Cas9-Methode sind Wissenschaftler zu vielen neuen Erkenntnissen gekommen und die Forschung im Gebiet der Gentechnik konnte vorangetrieben werden.

Der Funktionserfolg der Methode wurde zwar bereits bewiesen, zum Beispiel in der Forschung an Pflanzen, Mikroorganismen und Bakterien. Allerdings kann nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden, dass Bereiche, die nicht verändert werden sollen, unabsichtlich von der Genschere geschnitten werden, die sogenannten Off-Target-Effekte[1].

Was bei Pflanzen auf den ersten, nicht naturwissenschaftlichen Blick politisch und ethisch unbedenklich scheint, könnte bei der Anwendung am Menschen und einem damit einhergehenden eventuellen „Fehlschnitt“ verheerende Folgen mit sich bringen. Wenn schon Hersteller von mit CRISPR/Cas9 veränderten Pflanzen beweisen müssen, dass ihre Produkte hundertprozentig sicher sind, sollte man davon ausgehen können, dass Gesetze existieren, die die Anwendung von CRISPR/Cas9 am Menschen regeln.

Uneindeutige Gesetzeslage bei der Anwendung am Menschen

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 25. Juli 2018 diese Art der Gentechnik und die daraus erzeugten Organismen als „gentechnisch veränderte Organismen“ (GVO) eingestuft und bestimmt, dass die Verwendung von CRISPR/Cas9 gesetzlich neu geregelt werden müsse[2]. Aktuell würde dies allerdings bedeuten, dass Menschen, deren Gene durch CRISPR/Cas9 verändert werden, laut der veralteten GVO EU-Richtlinie 2001/18/EG[3] als „genetisch veränderte Organismen“ angesehen werden. Da die Verordnung allerdings nicht für die Anwendung an Menschen gedacht war, stellt sich die Frage, wie eine neue Verordnung für die Nutzung von CRISPR/Cas9 am Menschen aussehen sollte.

Mitglieder der Arbeitsgruppe Genom-Editierung des Ethikrates der Max-Plack-Gesellschaft haben in einem Diskussionspapier von 2019 unter anderem Stellung zu dem Eingriff durch die Genschere in menschlichen Zellen bezogen. Darin betonen sie das „enorme therapeutische Potenzial“ der CRISPR/Cas9-Technologie, weisen aber auch ausdrücklich darauf hin, dass sie noch nicht präzise genug sei und es möglich wäre, dass andere Stellen im Genom unbeabsichtigt geschnitten und somit editiert werden könnten. Eine Reform im Hinblick auf die Anpassung und Regulierung der gesetzlichen Bedingungen und Richtlinien bezüglich der Anwendung der Genschere am Menschen sei deshalb erforderlich. Konkret sei die Anwendung der Genschere beim Menschen auf „die Verhütung einer schweren Krankheit“ zu beschränken. Ebenfalls sei „ein umfassendes und langfristiges Nachsorgeverfahren über mehrere Generationen“ vonnöten, „um Nebenwirkungen auszuschließen“. Die Erfüllung solcher Anforderungen erscheine nach aktuellem Stand allerdings „schwierig bis unmöglich“, weshalb „Eingriffe in die Keimbahn mit CRISPR (…) unter diesen Bedingungen derzeit nicht in Frage“ kämen.[4]

Technologischer Fortschritt, „Designerbabys“, Genthrapie

Vor der Meldung der Geburt genmanipulierter Zwillinge in China im Jahre 2019 hat die FDP-Bundestagsfraktion eine entsprechende Debatte angestoßen, indem sie einen Antrag mit dem Titel: „Technologischen Fortschritt nicht aufhalten – Neue Verfahren in der Gentherapie einsetzen“ stellte. In diesem wurde gefordert, dass die Nutzung von CRISPR/Cas9 am Menschen nicht zu sehr aufgrund ethischer Bedenken eingeschränkt werden solle. Die FDP möchte, dass die Innovation und das damit einhergehende Potential der neuen Technologie mehr in den Fokus gerät. Schließlich würde ein liberaler Umgang mit CRISPR/Cas9 den Forschungsstandort Deutschland attraktiver machen. Deutschland dürfe nicht denselben Fehler machen wie bei der Digitalisierung, nämlich den Anschluss zu verpassen und dadurch sein wirtschaftliches Potential zu verspielen.[5]

Zudem wird diese Methode von den Befürwortern nicht als Angriff auf das höchste Gut, die Menschenwürde, angesehen. Sie bewahre vielmehr die Würde, da man Menschen von gefährlichen Erbkrankheiten befreien könnte. Bei der Jahrestagung des Ethikrates im Jahre 2016 positionierte sich der Medizinrechtler Jochen Taupitz für die neue Methode, indem er sagte, dass es kein Recht auf eine angeborene Krankheit gebe.[6]


Genome Editing erzeugt bei vielen Menschen die Befürchtung, dass sogenannte „Designerbabys“ entstehen. Zurecht?


Andere Parteien sind dahingehend kritischer.

Mit der Begründung, dass Eingriffe in die menschliche Keimbahn in Deutschland streng verboten seien und der Schutz des Menschen an erster Stelle stehe, lehnte Albert Rupprecht, der forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU, die Anwendung von CRISPR/Cas9 am Menschen ab. Ebenfalls lehnte er die Ermöglichung von sogenannten „Designerbabys“ ab. Menschen sollten demnach nicht „nach irgendwelchen Idealwünschen auf die Welt kommen.[7]

René Röspel äußerte sich stellvertretend für die SPD dazu. Er legte den Fokus allerdings nicht auf die Designerbaby-Problematik, da es in Deutschland ohnehin „glücklicherweise“ nicht möglich sei, solche Babys auf die Welt zu bringen. Er möchte aber, dass der Fokus der Debatte auf die Heilung von Krankheiten gelegt werde. Beispielsweise mit sogenannten somatischen Gen-Therapien. Allerdings forderte er, dass die Methoden dazu aber ethisch und gesellschaftlich verantwortbar seien müssen.[8]

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, lehnte den Antrag der FDP mit der Begründung ab, dass dieser zu voreilig sei. Man wisse heute noch nicht genau, welche Risiken und Nebenwirkungen mit dem Einsatz von CRISPR/Cas9 verbunden seien. Deshalb müsse man die Nutzung regulieren und den Fortschrittsaspekt zunächst der Sicherheit der Methode unterordnen.[9]

„Leidvermeidung oder Glückvermehrung“?

Der evangelische Ethiker und frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, erklärte, es müsse strikt voneinander getrennt werden, wo man zwischen „Leidvermeidung und Glückvermehrung“ unterscheidet. Zudem führt er an, dass die Anwendung von CRISPR/Cas9 eine Verletzung der körperlichen Selbstbestimmung und der Würde des Menschen sei, auch wenn im Falle eines Eingriffes das Kind noch nicht geboren ist. Zudem könne die Genschere nicht nur am Menschen, sondern auch an Tieren wie der Anopheles-Mücke genutzt werden. Dies würde einen massiven Einschnitt in unser Biosystem bedeuten.[10]

Mehr öffentliche Debatten notwendig

Die CRISPR/Cas9-Methode gilt als effizientes, schnelles und preisgünstiges Instrument der Wissenschaft.

Befürworter argumentieren mit der Begründung, dass diese Methode genauer erforscht werden sollte um in der Zukunft Menschen von schwerwiegenden Erbkrankheiten zu befreien und diese auch endgültig auszulesen.

Anders als von Wolfgang Huber dargestellt, könnte der Eingriff in die Biodiversität aber auch positive Aspekte mit sich bringen. Man könnte eventuell zuerst mit Tierversuchen starten, um diese Methode zu erforschen. So könnte man z.B. die DNA der Anopheles Mücke, die ein Überträger der Malaria ist, so umschreiben, dass diese sich nicht mehr mit Malaria anstecken kann oder das Virus auf andere potenzielle Träger überträgt.[11]

Während es für viele verlockend klingt, bereits in der Schwangerschaft sicher zu wissen, ob sie ein gesundes Kind gebären oder die äußeren Merkmale ihres Babys bestimmen zu können, wird der Genschere aber auch genauso viel Kritik entgegengebracht.

Zum einen ist die Genschere keine hundertprozentig sichere Methode. Zum anderen wirft die Debatte um die neue Gentechnik ethische und politische Fragen auf. Eine stärkere Debatte in der Öffentlichkeit ist daher auf jeden Fall notwendig.




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Vollständiges Quellenverzeichnis und weiterführende Links:

Autor/in/innen o.A. (26.04.2016); „CRISPR-Cas9 als revolutionäre Methode des Genome Editing“. In: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/fact-sheet/details/news/crispr-cas9-als-revolutionaere-methode-des-genome-editing/ [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Autor/in/innen o.A. (18.05.2020); „Europawahl: Positionen der Parteien zur neuen Gentechnik: „Europawahl: Positionen der Parteien zur neuen Gentechnik“. In: https://www.bauernstimme.de/news/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=2462&cHash=ca5b82d89b781cc939bd89b38c2f6a77 {letzter Zugriff am 15.12.2020]

Autor/in/innen o.A. (Datum o.A.); „Reform der Gentechnik-Vorschriften: Die Wissenschaft drängt, die Politik zaudert“ In:https://www.transgen.de/aktuell/2774.gentechnik-reform-eu-wissenschaft-politik.html [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Autor/in/innen o.A. (15.01.2020); „CRISPR trifft. Oder: Das Vorsorgeprinzip und die Zufälligkeit natürlicher Mutationen“. In:https://www.transgen.de/aktuell/2785.crispr-mutationen-vorsorgeprinzip.html  [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Arnold, Norbert (24.10.2017); „Segen und Fluch – Fortschritte und Folgen des Genome Editing“. In: https://www.kas.de/de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/segen-und-fluch [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Dr. Beck, Christina & Dr. Ottleben, Ilka (27.05.2019); „Genome Editing am Menschen: Forscher beziehen Stellung“. In: https://www.laborpraxis.vogel.de/genome-editing-am-menschen-forscher-beziehen-stellung-a-833398/?p=2 [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft (14.10.2019): „Diskussionspapier zur wissenschaftlichen Bedeutung der Genom-Editierung und zu den potenziell damit verbundenen ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen“. In:  https://www.mpg.de/13953957/ [letzter Zugriff am 29.12.2020]

Europäische Kommission (30.04.2004); „Fragen und Antworten zur GVO-Regelung in der EU

Was sind GVO und GVM?“. In: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_04_102 [letzter Zugriff am 15.12.2020]

EU- Richtlinie 2002/18/EG; In: https://eur-lex.europa.eu/TodayOJ/ [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Gen-ethisches Netzwerk e.V. (03.02.2017); „Präzise Technik? Kritik an Genome Editing. Stellungnahme“. In: https://gen-ethisches-netzwerk.de/gen/positionspapier_genome_editing [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Habermalz, Christiane (24.01.2019); „Genschere CRISPR/Cas – Babys nach Maß, auch in Deutschland?“. In: https://www.deutschlandfunk.de/genschere-crispr-cas-babys-nach-mass-auch-in-deutschland.862.de.html?dram:article_id=439243 [letzter Zugriff am 29.12.2020]

Hochschule Fulda (24.10.2019); „Braucht die EU ein neues Gentechnik-Gesetz? Kontroverse um CRISPR/Cas9 bei Nutzpflanzen.“ In: https://www.presseportal.de/pm/121509/4413330 [letzter Zugriff am 15.12.2020]

Rannenberg, Wiebke & Buschow, Corinna (22.06.2016); „Pro und Kontra: Sollte die Gen-Schere Erbgut des Menschen verändern?“ In: https://www.evangelisch.de/inhalte/135743/22-06-2016/pro-und-kontra-sollte-die-gen-schere-erbgut-des-menschen-veraendern [letzter Zugriff am 29.12.2020]

Schurr, Ulrich (10.01.1019); „Urteil zu Genome Editing ist bedenklich“

https://www.helmholtz.de/wissenschaft-und-gesellschaft/urteil-zu-genome-editing-ist-bedenklich/

Urteil des EuGHs (25.07.2018); „Vorlage zur Vorabentscheidung – Absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt – Mutagenese“ In: http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-528/16 [letzter Zugriff am 29.12.2020]

Aynisa Rende, Jules Link, Ömer Faruk Saka

Stand: 29.12.2020


Fußnoten:

[1] „CRISPR trifft. Oder: Das Vorsorgeprinzip und die Zufälligkeit natürlicher Mutationen“. In: https://www.transgen.de/aktuell/2785.crispr-mutationen-vorsorgeprinzip.html [letzter Zugriff am 15.12.2020]

[2]Urteil des EuGHs: http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-528/16  [letzter Zugriff am 15.12.2020]

[3] EU- Richtlinie 2002/18/EG: https://eur-lex.europa.eu/TodayOJ/ [letzter Zugriff am 15.12.2020]

[4] Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft (14.10.2019); „Diskussionspapier zur wissenschaftlichen Bedeutung der Genom-Editierung und zu den potenziell damit verbundenen ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen. In:  https://www.mpg.de/13953957/ [letzter Zugriff am 29.12.2020]

[5] Habermalz, Christiane (24.01.2019); „Genschere CRISPR/Cas – Babys nach Maß, auch in Deutschland?“ In: https://www.deutschlandfunk.de/genschere-crispr-cas-babys-nach-mass-auch-in-deutschland.862.de.html?dram:article_id=439243 [letzter Zugriff am 29.12.2020]

[6] Pro und Kontra: Sollte die Gen-Schere Erbgut des Menschen verändern? In: https://www.evangelisch.de/inhalte/135743/22-06-2016/pro-und-kontra-sollte-die-gen-schere-erbgut-des-menschen-veraendern [letzter Zugriff am 29.12.2020]

[7] Genschere CRISPR/Cas – Babys nach Maß, auch in Deutschland? In: URL und letzter Zugriff siehe oben.

[8] Genschere CRISPR/Cas – Babys nach Maß, auch in Deutschland? In: URL und letzter Zugriff siehe oben.

[9] Genschere CRISPR/Cas – Babys nach Maß, auch in Deutschland? In: URL und letzter Zugriff siehe oben.

[10] Pro und Kontra: Sollte die Gen-Schere Erbgut des Menschen verändern? In: URL und letzter Zugriff siehe oben.

[11] Pro und Kontra: Sollte die Gen-Schere Erbgut des Menschen verändern? In: URL und letzter Zugriff siehe oben.