Das Prinzip der Lust – Hedonismus
Vorgestellt von Annett Wienmeister
Der Begriff „Hedonismus“ stammt vom altgriechischen Wort „ἡδονή“ (hēdonḗ) ab, was so viel bedeutet wie angenehme Empfindung, Freude, Vergnügen, Lust und Genuss. Vielleicht hast du den Begriff im Alltag schon einmal gehört – als Hedonist wird jemand bezeichnet, dessen Handlungen vorwiegend durch Luststreben und die Vermeidung von Schmerzen und Unlust motiviert sind. In diesem Kontext wird der Begriff oft abwertend gebraucht, nämlich für eine Person, die sich lediglich an ihren momentanen, sinnlichen Bedürfnissen orientiert und die für die Befriedigung ihrer Gelüste sogar egoistisch handeln würde.
Die Lust als das Einzige an sich selbst Gute
Neben dem Alltagsgebrauch des Ausdrucks „Hedonismus“ steht der Begriff aber auch noch für eine ethische Position, nämlich für eine ganz spezifische Form der Glücksethik. Demnach ist menschliches Lustempfinden das Einzige an sich selbst Gute und Unlust oder Schmerz das Einzige an sich selbst Schlechte. Alles andere, das wir als gut oder schlecht bezeichnen würden, ist nur bedingt gut oder schlecht, nämlich insofern, wie es Lust als das höchste Gut befördert oder Schmerz als das höchste Übel verhindert.
Die Theorie des Hedonismus hat ihre Wurzeln in der Antike. Sie wird vor allem mit dem Philosophen Epikur (ca. 341 – 270 v. Chr.) in Verbindung gebracht, der als ein gemäßigter Vertreter dieser Position bezeichnet werden kann. Epikur hat seine Gedanken zum Hedonismus u. a. in einem Brief an einen Studenten mit dem Namen Menoikeus festgehalten. In diesem Brief behauptet Epikur, dass letztlich alle unsere Handlungen von der Absicht begleitet sind, Lust zu empfinden, Schmerz zu vermeiden und sich durch nichts übermäßig aus der Fassung bringen zu lassen. Für ein glückseliges Leben sind deshalb ihm zufolge vor allem körperliche Gesundheit und eine ungestörte Seelenruhe wichtig. Epikur argumentiert, dass schon kleine Babys nach Lust streben und Unlust vermeiden wollen – die Ausrichtung des Lebens auf Lusterfüllung sei uns also angeboren. Im Brief an Menoikeus schreibt er:
Epikur in einem Brief an Menoikeus zur Bedeutung der Lust:
„Eben darum ist die Lust, wie wir behaupten, Anfang und Ende des glückseligen Lebens. Denn sie ist, wie wir erkannten, unser erstes, angeborenes Gut, sie ist der Ausgangspunkt für alles Wählen und Meiden und auf sie gehen wir zurück, indem diese Seelenregung uns zur Richtschnur dient für die Beurteilung jeglichen Gutes.“
Ein bedachter Umgang mit der Lust
Epikur sagt also, dass Lust von Natur aus etwas Gutes ist und Schmerz von Natur aus ein Übel. Dennoch, so stellt er fest, entscheiden wir uns nicht immer für jedes Lustgefühl, dass sich uns anbietet – z. B. verzichten wir dann, wenn sich aus einer Erfahrung der Lust längerfristig ein Übermaß an Unlust oder gar Schmerz ergeben würde. Andererseits sagt er, dass wir manchmal bereit sind, Schmerzen zu ertragen, weil sich daraus längerfristig doch ein größeres Maß an Lust ergibt. Wir lernen also im Lauf unseres Lebens, auszuwählen, welche Begierden wir befriedigen und welche wir besser vermeiden wollen. Eine Vertreter_in des Hedonismus ist demnach nicht automatisch ein Hedonist oder eine Hedonistin im alltagssprachlichen Sinne, der oder die vorrangig an der Befriedigung momentaner Gelüste interessiert wäre. Epikur sagt selbst wörtlich Folgendes:
„Denn nicht Trinkgelage mit daran sich anschließenden tollen Umzügen machen das lustvolle Leben aus, […] sondern eine nüchterne Verständigkeit, die sorgfältig den Gründen für Wählen und Meiden in jedem Falle nachgeht und mit allen Wahnvorstellungen bricht, die den Hauptgrund zur Störung der Seelenruhe abgeben“.
Für Epikur geht man also nicht einfach kopflos allen Begierden nach. Ein lustvolles Leben ist ihm zufolge sogar überhaupt nicht möglich, ohne dass wir zugleich ein genügsames, einsichtsvolles, sittliches und auch gerechtes Leben führen.
Wie bewältigen wir Konflikte zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lustvorstellungen?
Der aus der Antike stammende Hedonismus steht heute als eine umfassende Theorie der Moral eher im Hintergrund.[1] Es wird z. B. kritisiert, dass er als eine Theorie des Guten und als eine Theorie der Moral zu beschränkt sei. Zwar sagt Epikur, dass ein lustvolles Leben auch ein sittliches und gerechtes Leben sei, der Hauptfokus seiner Theorie liegt jedoch auf der subjektiv empfundenen Lust einer jeden einzelnen Person. Und hier sehen Kritiker_innen hauptsächlich zwei Probleme: Zum einen umfasst eine subjektiv empfundene Lust nicht auch andere Dinge, die uns als Menschen grundlegend wichtig sind. Zu denken wäre etwa an den Zustand der Umwelt oder zukünftige Generationen, um die wir uns sorgen können, unabhängig davon, ob es uns persönlich gerade gut geht. Zum anderen läuft der Hedonismus Gefahr, andere Menschen lediglich als Beförderer der eigenen Lust zu betrachten. Warum sollten wir die Bedürfnisse anderer Menschen ernst nehmen, wenn diese unseren eigenen Luststrebungen zuwiderlaufen? Wie gehen wir mit Konflikten um, die sich zwischen Menschen ergeben, die unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was ihnen Lust bereitet?
Hedonismus im Zusammenspiel mit anderen Moraltheorien
Nach der Antike galt der Hedonismus deshalb eher als eine Theorie des individuellen Guten, die nicht für sich auch eine Theorie des moralisch Richtigen umfasst, sondern, die mit verschiedenen anderen Moraltheorien verknüpft werden kann und sollte. So wurde er beispielsweise zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Denker_innen des klassischen Utilitarismus aufgenommen und weiterentwickelt. Ihr Ziel war es, ausgehend von einer Theorie des guten Lebens im Sinne des Hedonismus eine Moraltheorie zu entwickeln, die das Glück und das Wohlergehen aller Menschen in den Blick nimmt. Wenn du dazu mehr erfahren möchtest, dann schau doch gleich auf die Seite zum Utilitarismus. Falls du noch eine andere Glücksethik kennenlernen möchtest, die den Fokus nicht vorrangig auf die Lust legt, sondern die das menschliche Glück umfassender versteht, schau dir die Seite zur eudämonistischen Ethik an.
Die Bedeutung von körperlichem und seelischem Wohlergehen
Trotz der oben aufgeführten Kritikpunkte am Hedonismus bleibt ein wichtiger Aspekt dieser Theorie auch in heutigen ethischen Argumentationen erhalten. So werden Gesundheit und ein leidfreies Leben als wichtige, universelle Güter angesehen, die bei der Bewertung moralischer Fragen einen großen Stellenwert einnehmen. Das gilt auch für die Debatte um die moralische Vertretbarkeit des Genome Editing am Menschen, in der einige Argumente auf die Orientierungsmaßstäbe „Lebens- und Integritätsschutz“ sowie „Schädigungsvermeidung und Wohltätigkeit“ Bezug nehmen. Darüber hinaus können wir von der Theorie des Hedonismus die Aspekte der Seelenruhe und der emotionalen Ausgeglichenheit als wichtige Impulse mitnehmen. Durch sie werden wir daran erinnert, kritisch zu hinterfragen, inwiefern uns bestimmte Verbesserungen körperlicher Eigenschaften im Sinne des Enhancement, wie sie potentiell mit Genome Editing möglich sind, auf lange Sicht zufrieden und glücklich machen würden.
Textquelle: Epikur, „Brief an Menoikeus“, in: Philosophisches Lesebuch, herausgegeben von Hans-Georg Gadamer, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004, S. 203 – 207.
[1] Siehe jedoch den Beitrag von Bernulf Kanitschneider, Das hedonistische Manifest, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2011.