Offizierssohn Roman blieb ohne Eltern in Berlin – illegal und ohne Arbeit
„Ich hatte gerade die Schule beendet, als mein Vater mich gefragt hat, ob ich mit der Familie nach Russland zurück gehen will.“ Roman Bayer überlegte nicht länger als fünf Minuten. Er wollte bleiben. „Daraufhin hat mein Vater gesagt: Da sind deine Sachen, dort ist der Ausgang.“ Was für ihn der Beginn eines neuen Lebens war, war für eine halbe Millionen sowjetische Militärangehörige das Ende einer Epoche. Und mit ihr begann Romans Odyssey durch Deutschland. Sein Vater Valentin Majorow war Offizier in einer Potsdamer Garnison und lebte dort mit seiner Frau und zwei Kindern. Den Befehl, nach Hause zurückzukehren, bekam er im Winter 1992. Innerhalb eines Monats sollten sie in Moskau sein.
Jetzt ist Roman 36 Jahre alt und lebt seit 20 Jahren selbstständig in Deutschland. Er spricht Deutsch mit kaum bemerkenswertem Akzent und manchmal verwechselt er die Betonung der russischen Wörter. Roman war zwei Jahre alt, als sein Vater seinen Dienst in Deutschland angetreten hatte. Mit 18 hat er ihn vor die Wahl gestellt. Die Unbestimmtheit des Lebens in der russischen Heimat, die er nur nach den Erzählungen der Eltern kannte, schreckte ihn mehr als die Unbestimmtheit in der deutschen Fremde, welche ihm klar und gewohnt war. „Die Sowjetunion war zusammen gebrochen, ich wusste nicht, was ich dort hätte tun können“, erinnert er sich. Roman ist in Potsdam geblieben, illegal, ohne Deutschkenntnisse, mit dem Pass eines untergegangenen Landes mit abgelaufenem Visum und mit 20 Mark in der Tasche. „Es war mein Sprung ins Leben“, wiederholt Roman häufig.
Immer wieder träumte er davon, seine Eltern zu sehen. Doch erst elf Jahre später konnte er das erste Mal nach Moskau reisen. Diese langen Jahre lassen sich mit einem Wort beschreiben: „Kampf“. Zuerst hat er Asyl beantragt und mit Flüchtlingen aus Jugoslawien und Ghana zusammen gelebt. Für Asylbewerber ist es verboten, zu arbeiten und die Stadt zu verlassen. Roman begann deshalb eine illegale Arbeit als Autowäscher. Später hat er eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, jetzt ist er Regionalmanager für Entwicklung bei einem großen Mobilfunkanbieter.
Aber es hätte auch anders kommen können: „Im Migrationsamt haben sie mir als einzige Variante die Abschiebung angeboten.“ Er ist sicher, dass er nur bleiben konnte, weil er Optimist ist. „Ich weiß, wenn jemand Nein sagt, ist eine positive Antwort trotzdem noch möglich. Man muss es einfach versuchen“, spricht er in leichtem Ton über sein zurückliegendes Leben, wohl weil man sich gewöhnlich nur an das Gute in der Vergangenheit erinnern möchte.
Roman versichert, dass er sich niemals als Migrant gefühlt habe, obwohl er in Luckenwalde, einer Kleinstadt nahe Berlin, als einziger Russe lebte. „Ich habe das Ziel gehabt, mich hier so bald wie möglich anzupassen. Integration kann man auf Kursen nicht lernen“, sagt er. Diesen Weg müsse man selbst erleben. „Man darf sich von der Gesellschaft nicht ausschließen lassen, muss Freunde und Arbeit finden“, ist er überzeugt. „Und die Hauptsache ist, seine Persönlichkeit nicht zu verlieren.“
Roman hat Russland immer als Ausländer betrachtet, bis er ein Jahr in Moskau gelebt hat. Dort hat er zum ersten Mal im Leben einem Polizisten Schmiergeld gegeben. Die russische Mentalität ist ihm fremd „Dennoch ist Russland meine Heimat.“ Er sieht darin keinen Widerspruch: „Ich habe zwei Zuhause, aber nur eine Heimat: Wenn ich nach Moskau fahre, fahre ich nach Hause. Nach Berlin kehre ich zurück, wie nach Hause.“
Plötzlich wird er nachdenklich: „Jetzt erinnere ich mich an mein ganzes Leben, meine Entscheidung, zu bleiben, ohne Sprachkenntnisse und absolut illegal.“ Es schockiert ihn immer noch und er ist sich sicher: „Jetzt könnte ich das nicht mehr. Aber in der Jugend weißt du noch nicht, dass das Leben kein so einfaches Ding ist.“
Die Autorin
Ksenia Powarenkina wurde 1985 in Pervouralsk, im Uraler Gebiet geboren. Sie studierte Kunstwissenschaft an der Charkower Staatlichen Design und Kunst Akademie. Während des Studiums beschäftigte sie sich mit Kunst-Journalistik. In Pervouralsk arbeitet sie beim Radiosender „Svezhij veter“ als Nachrichtenredakteurin und Moderatorin.