Obdachloser Yogalehrer gibt sich als Australier aus
von Becky Bratu
Am Nachmittag vor dem Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft war das Café „Taqueria Florian“ auf der Oranienstraße in Kreuzberg fast leer. Spanische Musik klang – wahrscheinlich ahnungsvoll – laut in der Lautsprecherbox. Ein paar Leute lasen Zeitung im sanften Licht und die unbeschäftigte Kellnerin schien gelangweilt zu sein. Draußen vor dem Café drehte ein Film-Crew eine Szene. Die Stille des Nachmittags war traumhaft.
Plötzlich kam ein bärtiger Mann herein und mit ihm auch die Ausrede für seine Verspätung: „Der Bus fährt immer so langsam, es tut mir leid“, sagte er. „Dieses Café war letzten Winter fast mein Zuhause.“
Doron Noyman, Yogalehrer und Philosoph, ist ziemlich groß, hat lange Haare und ist zurzeit obdachlos. Er sucht eine neue Wohnung, ist aber mittlerweile mit seinem nomadischen Leben zufrieden. Er sagt, er wohne jetzt bei Freunden, müsse aber oft zwischen verschiedenen Freunden wechseln. Das wanderlustige Leben sei ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Noyman bestellte auf Englisch einen Eiskaffee und sprach über die Illusion der Sesshaftigkeit. „Nichts und niemand bleibt der Gleiche“, sagte er. Nach einer langen Zeit im selben Land werde er immer kribbelig, so Noyman. Er habe schon in Japan, Israel, England, Spanien und Indien gewohnt. Letztes Jahr im Oktober ist er nach Berlin gezogen. Am Anfang wollte Noyman nur drei Monate bleiben. Er sei aber länger geblieben, weil Berlin ihm so frei scheine.
„Aufstrebende Künstler können in Berlin überleben. Gerade wenn man kein Geld hat, kann man sich integriert fühlen,“ so Noyman. Er sagt, er habe sein eigenes Yoga-Studio in der Stadt, aber zur Zeit sei er im Urlaub. Man kann ihn am Sonntag auf dem Flohmarkt am Mauerpark sehen, wo er Schmuck verkauft. Aber er mag es nicht, immer sehr beschäftigt zu sein. In Berlin sei ein schönes Leben möglich, ohne schwere Arbeit, so Noyman. „Aber Berlin ist trotzdem nicht meine letzte Station”, sagte er.
Der Yoga Lehrer wurde im Tel Aviv geboren. Sein Gewissen wurde seit seiner Jugend stark von der Vergangenheit geprägt. Jetzt, da Noyman in Berlin ist, fielen ihm diese Erinnerungen unerwartet ein: „Meine Erziehung, die Geschichten meiner Familie, die Bilder und meine Ausbildung in Israel – es ist komisch, wie alles zurück kommt“, sagte er. Trotzdem fühlt er sich in Berlin voll akzeptiert und habe viele deutsche Freunde.
„Ich fühle mich ein bisschen zu viel akzeptiert, nur weil ich Israeli bin“, sagte Noyman. „Ich muss nicht unbedingt akzeptiert werden, nur wegen meiner Herkunft.“ Aus diesem Grund erwähnt Noyman gegenüber den Leuten nicht mehr, dass er Israeli sei. Er kreiert einfach neue Identitäten für sich und stellt sich etwa als Australier vor.
Noyman spricht kein Deutsch und fühlt sich auch nicht dem unter Druck, die Sprache zu lernen. „Zur Zeit genieße ich es, nur Zuschauer zu sein“, sagte Noyman. „Manchmal gefällt es mir, die Leute und die Situationen nicht genau zu verstehen. Das macht meine Erfahrung echt.
Die Autorin
Becky Bratu ist in Arad, Rumänien geboren und aufgewachsen, ihr Bachelor-Studium hat sie in Amerika gemacht. Bratu hat Journalismus und Deutsch an der Washington and Lee University in Lexington, Virginia studiert. Für ein Jahr hat sie als Vertriebsdirektorin für eine Software-Firma gearbeitet. Nach diesem Programm wird Bratu ihre Master-Arbeit in Digital Medien an der Columbia University in New York City machen.