Richtige Entscheidung

Serbisches Ausnahmetalent schmiedet in Köln große Pläne

von Alexey Imaew

Es ist ein sonniger, warmer Sommertag. Hinter dem Fenster zwitschern die Vögel. Der Raum eines Studentenwohnheims in Köln füllt sich mit den wunderschönen Klängen einer Beethoven-Sonate. Im Zimmer sitzt ein junger sympathischer Mann am Klavier und lässt seine Finger über die Tasten gleiten. Boris Radulović heißt der 26-jährige Musiker. Er wurde in Belgrad geboren und erhielt seinen ersten Klavierunterricht mit sechs Jahren. Wenige Jahre später schaffte er es sogar zum Moderator einer Kindersendung im serbischen Fernsehen. Damals aber stellten ihn seine Musiklehrer vor die Wahl: „Entweder Musik oder Fernsehen.“ Boris hat sich für die Musik entschieden. Vielleicht hat die Welt damit einen begabten Fernsehstar verloren, aber dafür einen talentvollen Pianisten gewonnen.

„Viele Leute denken, dass es einfach ist zu musizieren, dass es nur Spaß macht. Aber das ist nicht so. Sänger äußern ihre Gefühle mit Worten, der Pianist arbeitet mit abstraktem Stoff. Um so arbeiten zu können, muss man viele Bücher lesen und sich viel mit der Welt beschäftigen. Kurz gesagt, sich weiterbilden, sich vervollkommnen. Beim Spielen eines Musikstücks spiegelt sich die Seele des Musikers wieder.“

Boris Radulović ist Preisträger vieler nationaler und internationaler Klavierwettbewerbe in unterschiedlichen Kategorien. Mehrfach wurde er mit einem Grand Prix und ersten Plätzen in Ländern wie Italien, den Niederlanden und Russland prämiert. Boris erhielt zahlreiche Stipendien von Stiftungen für junge Hochbegabte. Der junge Mann bekam einen Preis in Anerkennung seiner kulturellen Leistungen und wurde als „Schüler der Generationen“ vom serbischen Thronfolger Aleksandar Karadjordjević ausgezeichnet.

Sein Studium an der Musikhochschule Köln hat er erfolgreich absolviert. Aber der junge Musiker entwickelt sich weiter und macht jetzt ein Konzertexamen, ein Aufbaustudium für instrumental besonders Begabte. Auch hier diskutieren die Meister der Musikwelt oft lange und heftig über die Vor- und Nachteile einer bestimmten Schultradition, etwa der serbischen und der deutschen Klavierschule.

„Es kommt drauf an, bei welchem Lehrer man studiert. Ich würde nicht die Grenze zwischen einer West- und einer Ost-Schule ziehen. In erster Linie hängt das Studium vom Lehrer ab. Mein Professor kommt zum Beispiel aus Estland, einem ehemaligen Teil der Sowjetunion. Er hat das Beste der russischen Schule bewahrt: die besondere Spieltechnik und das tiefe Verständnis für Musik und Psychologie. Das ist eine gute Kombination.“

Immer noch flattern seine Hände über die Klaviertastatur. Alle Hände hat Boris auch sonst voll zu tun: Er unterrichtet an der städtischen Musikschule in Solingen und wirkt bei verschiedenen Rundfunk- und Fernsehaufnahmen mit. So war er in der 11. Spielzeit der Konzertreihe „Best of NRW” zu hören. Im Rahmen dieses Projekts treten junge hochbegabte Musiker in verschiedenen deutschen Städten auf. Die Konzerte der Hoffnungsträger Nordrhein-Westfalens werden vom WDR aufgezeichnet und im Radio übertragen. Doch mittlerweile versucht Boris, abseits seiner Vorbilder eine eigene künstlerische Sprache zu finden.

„Wenn man zu viele andere Musiker hört, fängt man unwillkürlich an, sie nachzuahmen. Ich kann natürlich ein paar Namen nennen, die ich besonders mag und die alle kennen, wie Richter und Rubinstein, und weniger bekannte wie Dinu Lipatti, Claudio Arrau oder Radu Lupu. Von ihrer Spielart bin ich wirklich begeistert. Nach den Aufführungen ihrer Werke war ich bereit, auf der Stelle zu sterben, mit den Worten „Oh, Gott, jetzt habe ich alles in meinem Leben gehört!“

Aber nicht nur in Deutschland konzertiert Boris Radulović. Er hatte Auftritte in der Schweiz, Österreich, Kroatien, Estland, Slowenien und Japan. Wie viel er dabei verdient, will er nicht sagen.

„Als Student bekommt man für ein anderthalbstündiges Konzert genug Geld, um zehn Leute in ein Restaurant einzuladen. Das ist nicht wahnsinnig viel, aber auch nicht wenig.“

Trotz des gespannten Lebens, das für Boris aus Studium, Unterricht, Konzerten und Üben besteht, versucht der Musiker, auch Zeit für seine Freunde zu finden.

„Um Gottes Willen, ich bin kein Sonderling. Ich gehe oft mit meinen Freunden ins Kino oder in ein Pub. Manchmal auch in einen Klub. Wenn ich eine Party mache, höre ich gerne auch Elektro oder House. Ich tanze gern und zu Hause höre ich alten Jazz, Blues, Rock und gerne auch Pop. Dank dieser Musik kann ich von der Welt abschalten.“

Seine Entscheidung, den Weg in die Musikwelt zu gehen, hat Boris noch nie bereut. Die gespannten Saiten des Klaviers werden immer noch mit den mit Filz überzogenen Hämmerchen angeschlagen. Die Töne werden begleitet von der Vögelsymphonie im Garten. Im Gesicht des Pianisten sind gleichzeitig Konzentration und Entspannung zu sehen. Absolute Zufriedenheit. Absolute Harmonie. Genau so wie in der Sonate von Beethoven.

„Wenn jemand sieht, wie viel Freude ich am Spiel einer Beethoven-Sonate habe, während er tausende und abertausende Regeln und Gesetze für sein Jurastudium paukt, wird er langsam neidisch auf mich. Ich kann ihn verstehen und wünschte, alle könnten genauso wie ich sagen: Ich habe eine richtige Entscheidung getroffen und bin wahnsinnig glücklich.“

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Der Autor

Alexej Imaew wurde in Baschkortostan, Russland geboren. Er studierte an der Kasaner Staatlichen Pädagogischen Universität Deutsch und Englisch. Bis 2007 arbeitete er als Journalist und stellvertretender Programmleiter für den Radiosender „Europa Plus“, seit 2008 ist er freier Mitarbeiter für die DW-Radio in Russland.

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