Ein russisches Au-Pair-Mädchen über ihre deutsche Gastfamilie
von Saira Sakarigaewa
Saida (25) aus Russland, begann ihren Weg in Deutschland als Au-Pair-Mädchen in der kleinen norddeutschen Stadt Emden. Jetzt studiert sie Film- und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Noch kann sie sich nicht als echte Berlinerin bezeichnen, aber langsam kommt dieses Gefühl. Um ein paar Fragen zu stellen, treffen wir uns in einem kleinem Berliner Pub, wo Saida sich etwas hinzuverdient.
?: Saida, warum hast Du beschlossen, für ein ganzes Jahr Dein Studium, alle Freunde und die Verwandten zu verlassen und in eine fremde Familie mit ganz anderer Mentalität zu gehen?
!: Als unsere Lehrerin uns vom Au-Pair-Programm erzählt hat, dachte ich: Das ist eine perfekte Chance, meine Deutschkenntnisse zu verbessern. In Russland gibt es Stereotype über Deutsche, sie seien pünktlich, fleißig und eisig. Ob sie wirklich in dieses Klischee passen, wollte ich direkt an der Quelle erfahren.
?: Und, passen sie?
!: Nicht ganz. Ich habe verschiedene Deutsche getroffen: arbeitsame und faule, eisige und ganz herzenswarme. Aber natürlich liebt jeder Deutsche Wurst und Bier. (Sie lacht.)
?: War die Integration in Deine Gastfamilie leicht?
!: Meine Eltern sind geschieden. Deshalb war meine Gastfamilie für mich das Beispiel einer echten Familie. Sie war einfach toll. Sie nahmen mich nicht nur wie die Kinderfrau ihrer Kinder, sondern wie eine ältere Tochter, mit echter Sorge und Liebe. Sie haben mich allen Verwandten vorgestellt, an den Feiertagen gingen wir in die Kirche. Deshalb war die Integration für mich von Anfang an sehr leicht.
?: Dennoch war es eine ganz andere Art des Lebens, ungewöhnlich für Dich. Was war für Dich am kompliziertesten bei der Anpassung an das Leben in Deutschland?
!: Vielleicht nur alltägliche Einzelheiten. Zum Beispiel ist es in Deutschland üblich, den Müll in verschiedenen Containern zu sortieren. Oder die Wassereinsparung war für mich auch eine Überraschung. Bei uns haben wir keine Wasserzähler und wir kümmern uns nicht um verbrauchtes Wasser. Aber das sind Kleinlichkeiten, an die ich mich schnell gewöhnt habe.
?: Du hast Glück mit Deiner Familie. Aber für viele Au-Pairs entpuppt sich Deutschland nicht immer als das erwünschte Schlaraffenland. Warum passiert das?
!: Die Gastfamilie spielt meistens eine entscheidende Rolle. Es hängt fast immer von der Familie ab, ob die Au-Pair-Mädchen zufrieden sind oder enttäuscht nach Hause fahren. Vom Land selbst hängt es meist nicht ab.
?: Hast Du Dich während des Aufenthaltes mit deutschen Jugendlichen angefreundet? Hast Du leicht Kontakt zu ihnen gefunden?
!: Ehrlich gesagt habe ich fast keine deutschen Freunde. Alle, mit denen ich seit meiner Au-Pair-Zeit befreundet bin sind ebenso Migranten wie ich: Russen, Vietnamesen, Türken, Spanier und viele andere. Ob die Deutschen freundlich sind ist schwierig zu sagen. An einem Tag sind sie sehr freundlich und zu einer Freundschaft bereit, bis das der Tod uns scheidet. Am nächsten Tag gehen sie einfach vorbei, ohne dich zu beachten. Ich bin schon das dritte Jahr in Deutschland, aber das bleibt ein Geheimnis für mich.
!: Früher hast Du in Emden gewohnt. Jetzt bist Du nach Berlin gezogen. Wo fühlst Du Dich behaglicher?
?: Emden ist eine kleine Stadt in Westdeutschland. Die Leute dort sind spießig. Das Leben läuft da nicht schlecht, aber es ist ein bisschen langweilig und vorhersehbar. Berlin ist etwas ganz anderes, eine Stadt, die die Freiheit atmet. Es ist die Mischung der Kulturen. Berlin ist ein Ort, wo der echte pulsierende Rhythmus des modernen Lebens empfunden wird. Dafür mag ich Berlin!
Die Autorin
Saira Sakarigaewa, wurde in Dagestan, Russland geboren. Sie studierte Linguistik, Anglistik und Germanistik und interkulturelle Kommunikation in der Dagestaner Staatlichen Universität bis 2006. Heute arbeitet sie für die Jugend-Zeitung „Orlyonok-Dagestan“ als Nachrichtenredakteurin.