von Xenia Saljukowa
In einem kleinen Klub im Keller eines Kreuzberger Wohnhauses drängen sich so viele Leute, dass ein Durchkommen kaum möglich ist. Die niedrigen Räume erinnern mehr an eine Sauna, als an eine Diskothek. T-Shirts kleben an den Körpern, der Schweiß tropft von der Decke, und auf die angelaufenen Türen ließen sich Hieroglyphen zeichnen. Durch die schwitzenden Körper hindurch drängt sich Natalia Pomozowa zum Pult des DJs. Die schlanke Blondine will sehen, wie er arbeitet, welche Platten er heute spielt.
Natalia ist 25 Jahre alt und selbst DJ, Künstlerin und Designerin. Eigentlich stammt sie aus Lettland, aus der Hauptstadt Riga. In Berlin ist sie seit drei Jahren, um an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft Kommunikation zu studieren. „Viele Musiker, DJs und Künstler kommen hierher“, erzählt Natalja. „In letzter Zeit wird Berlin häufig mit New York auf eine Stufe gestellt“.
Auf Partys kommt Natalia nicht nur weil sie Lust darauf hat, sondern auch, um neue musikalische Ideen zu schöpfen. Die Flyer, die Natalia interessant erscheinen, hebt sie gerne auf. Es sind wahrscheinlich schon 200 Stück an der Zahl.
Der Klub, in dem Natalia diesen Abend verbringt, heißt „Kleine Reise“. Er wurde in Kreuzberg vor ein Paar Monaten eröffnet. Der DJ ist ein junger deutscher Typ und nennt sich „Motor City Drum Encemble“. Heute spielt er eine lebendige Mischung aus verschiedenen Stilen, zwischen noch nie gehörten Disco-Tracks, klassischem House und Detroit-Techno. Natalia tanzt ohne Unterbrechung. Ihre Haare sind zerzaust, das T-Shirt klebt ihr am Körper, die Augen brennen. „Ich bin seit ich 14 in den Klubs“, sagt das Mädchen lustvoll. „Diese musikalische Energie, die Vibrationen gefallen mir sehr. Auf dem Tanzboden fühlt man die Bewegung des Lebens, empfindet, wie die Welt sich dreht.“
Die Zahl der Berliner Klubs ist beinahe unendlich: einige existieren Jahrzehnte, andere arbeiten einige Monate, werden geschlossen, ändern ihren Namen und öffnen wieder neu. Doch es ist nicht einfach, zur Klubszene zu gehören. Die Zahl der DJ’s ist groß, die Konkurrenz ist stark.
„Es sind Leute die sich ziemlich ehrgeizig mit Eigenwerbung beschäftigen. Sie lassen ihre Promo-CD´s in den Klubs und warten darauf, eingeladen zu werden“, erzählt Natalia. „Doch es ist sehr wichtig, sich nicht aufzudrängen. Es ist der schrecklichste Fehler, den ein Mensch in Berlin begehen kann.“ Natalia wirbt nicht für sich selbst. Sie hat einen eigenen Plattenspieler erst seit anderthalb Jahren. Bis dahin konnte sie von der lieben Technik nur träumen. Doch DJ-ing ist für sie mehr ein Hobby, als ein Handwerk. Aber es ist ein sehr wichtiges Hobbys! Sie geht viel lieber Schallplatten kaufen, als Klamotten.
„Als ich das letzte Mal in einem Klub gespielt hatte, habe ich gesehen, wie glücklich die Leute lächeln. Ich habe gefühlt, dass ich ihnen etwas gebe, das schön ist. In solchen Momenten empfinde ich mich wie eine Quelle der universellen Liebe“, sagt Natalia und ihren slawischen Gesichtszügen leuchten vor Begeisterung. „Ich fühle mich stark vom DJ-Pult angezogen.“
Das Mädchen ist überzeugt, dass jeder in Berlin früher oder später seine Nische finden kann. Dafür muss man eine einfache Bedingung erfüllen: Man muss wissen, was man wirklich will.
„Wenn du kein konkretes Ziel hast und herkommst, um dich selbst zu finden, gehst du ganz schnell verloren“, ist Natalia überzeugt. „Niemand wird dir helfen. Weil Berliner sich nicht für verlorene Leute interessieren.“ Ihre großen klaren Augen wandern am arabischen Kellner vorbei, ein Lächeln geht über ihre vollen Lippen.
Noch ein Geheimnis des Erfolges ist die Unabhängigkeit von fremden Meinungen. Natalia ist keine geborene Deutsche. Ihre Familie ist nach Deutschland emigriert, als sie acht Jahre war. Sie hat ihr erstes deutsches Jahr in einer Spezialklasse für Migranten verbracht. Die neue Sprache hat sie dort schnell gelernt. Sie war die erste aus der Gruppe, die in eine deutsche Klasse gewechselt ist.
„Die neuen Klassenkameraden waren sehr voreingenommen“, erinnert sich Natalia ohne Bedauern. „Ich habe mich oft fremd gefühlt und war nur mit Außenseitern befreundet.“ Aber sie hat nie an sich gezweifelt: „Ich habe gewusst, dass nicht ich das Problem bin, sondern sie.“ Zu jener Zeit erschien die Musik in ihrem Leben. Wenn sie freie Zeit hatte, war sie in den Clubs der Stadt unterwegs, um Musik zu hören und musikalische Vibrationen einzufangen. Mit 15 verstand sie, dass sie selbst Musik machen möchte. Der Weg von diesem ersten Wunsch nach eigenen Kompositionen bis zum ersten Plattenspieler dauerte zehn Jahre.
„In dieser Zeit habe ich eine einfache Sache gelernt“, sagt Natalia. „Für die Erfüllung von Wünschen ist manchmal viel Zeit notwendig. Doch der Wunsch muss wie die Pflanze aus einem Samen sprießen, sich durch die Schicht der Erde drängen, sich zum Licht hin ausdehnen. Nur dann wird es Früchte tragen.“ Wesentlich ist das Vergnügen nicht nur am Ergebnis, sondern auch am Prozess selbst. Manchmal braucht man zehn Jahr dafür.
Die Autorin
Ksenia Saljukowa ist in der Stadt Tomsk in Sibirien geboren und aufgewachsen. Von 2004 bis 2009 hat sie in der Tomsker Staatlichen Universität Journalismus studiert. Von 2006 bis heute arbeitet sie als Redakteurin in der städtischen Wochenzeitung «Die Tomsker Nachrichten».