Pünktlich zum Start des neuen Semesters taucht leider auch wieder ein Problem auf, das zwischenzeitlich fast schon für erledigt gehalten wurde: das Führen von Anwesenheitslisten in Seminaren und Vorlesungen.
Worum geht es?
Seit der Einführung des Bachelor- bzw. des sog. modularisierten Diplomstudiengangs müssen die Studierenden in ihren Veranstaltungen die „aktive und regelmäßige“ Teilnahme nachweisen. Ersteres bedeutet meistens, ein (kurzes) Referat halten oder ein Protokoll schreiben zu müssen; für letzteres gilt die Regelung, dass die/der Studierende in 85% der Sitzungen da gewesen sein muss, das entspricht bei einer Veranstaltung mit zwei Semesterwochenstunden etwa zwei unentschuldigten Abwesenheiten pro Semester. Zur Kontrolle greifen die DozentInnen mittlerweile auch am OSI immer mehr zu Anwesenheitslisten.
Wo liegt das Problem?
Anwesenheitslisten stellen in unseren Augen eine Entmündigung der Studierenden dar. Uns wird unterstellt, dass wir nicht aus Interesse, sondern zum „Scheine abgreifen“ Seminare besuchen. Das, was gemeinhin als die „intrinsische Motivation“ von Studierenden bezeichnet wird, also dass wir studieren, um etwas zu lernen, um wissenschaftlich zu arbeiten, um unseren Horizont zu erweitern, wird uns abgesprochen. Stattdessen wird ein Zwang aufgebaut, der die Motivation zum Besuch von Veranstaltungen verschiebt: Weg vom Interesse an den angebotenen Themen, hin zum simplen Leisten einer Unterschrift, um den benötigten Eintrag im Campus Management zu erhalten. Es ist nicht das Problem der „ehrlichen“ Studierenden, wenn einE KommilitonIn, die/der ein paarmal weniger im Seminar war, den selben Schein erhält – haben nicht vielmehr diejenigen einen Nachteil, die das Seminar ohne zusätzliche Erkenntnisse verlassen? Auch den DozentInnen entsteht kein Nachteil: wer hält schon gerne eine Vorlesung, in der die Hälfte der HörerInnen nur wegen einer simplen Unterschrift anwesend ist und sich die erzwungene Zeit im Hörsaal mit Zeitung lesen oder noch störenderen Aktivitäten vertreibt? Noch viel grundsätzlicher sehen wir Anwesenheitslisten aber auch als einen Ausdruck der zunehmenden Verschulung der Studiengänge und der Kontrolle der Studierenden. Wir sollen nicht mehr selbstbestimmt und interessengeleitet studieren dürfen, sondern möglichst zielgerichtet festgelegte Pflichtveranstaltungen absitzen. Anwesenheitslisten, aber auch andere Formen der Kontrolle, wie „Teilnahmescheinklausuren“, willkürliches Abfragen einzelner Studierender und dergleichen erinnern denn auch mehr an die Mittelstufe eines Provinzgymnasiums als an eine Universität. Schnell beginnt daher, gerade bei langweiligen Veranstaltungen, das unwürdige Versteckspiel mit dämlichen Ausreden und gefälschten Unterschriften. Nochmal: Wir sind hier, weil wir es so WOLLEN – wohl so ziemlich jedeR hat sich bewusst für ein bzw. dieses Studium entschieden – uns diesen Willen abzusprechen, ist bei näherer Betrachtung fast schon eine Unverschämtheit.
Was tun?
Am OSI war mensch sich dieser Problematik schon lange mehr bewusst als an anderen Instituten. Vor seiner Emeritierung schickte denn auch Prof. Dr. Bodo Zeuner einen Brief an die DozentInnen des Instituts, in dem er diese zum Verzicht auf das Führen von Anwesenheitslisten aufforderte. Leider ist das schon einige Zeit her, mit der hohen Fluktuation an Lehrbeauftragten und dem anscheinend schlechten Gedächtnis an einigen Lehrstühlen steigt daher die Zahl der Seminare, in denen Anwesenheitslisten geführt werden, wieder.
Wichtig ist es daher stets, eine Diskussion anzufangen: Thematisiert die Listen! Verhindert, dass sie einfach so hingenommen werden! Einige DozentInnen werden überrascht sein, andere werden sich auf die Studienordnungen berufen und mit den „Vorteilen“ für diejenigen, die häufig fehlen, argumentieren, einige wenige werden euch zustimmen (wobei die meistens von Anfang an keine Listen führen). Lasst auf jeden Fall nicht nach, bringt das Thema immer wieder zur Sprache und fordert im Zweifelsfall eine Abstimmung unter den SeminarteilnehmerInnen, ob diese eine Anwesenheitsliste wünschen oder nicht. Für den Fall, dass andere Kontrollen der Teilnahme vorgesehen sind, etwa spontane Abfragen zufällig ausgewählter Personen, zeigt euch solidarisch – beantwortet die gestellte(n) Frage(n) gemeinsam, oder sprecht ab dass niemand sie beantwortet. Sollten alle Stricke reißen, die Dozentin oder der Dozent sich gänzlich uneinsichtig zeigen, so hat die Vergangenheit gezeigt dass so eine kleine, auf sich gestellte Liste schnell mal „verloren“ geht…
In diesem Sinne: Für ein freies und selbstbestimmtes Studium!
3 Gedanken zu „Kleiner Leitfaden für Anwesenheitslisten“